UND es mir einst , an Theokrit
zu denken, die von jenen süßen Jahren
gesungen hat und sie sie gütig waren
und gebend und geneigt bei jedem Schritt:
und wie ich saß, antikischem Gedicht
nachsinnend, sah ich durch mein Weinen leise
die süßen Jahre, wie sie sich im Kreise
aufstellen, traurig, diese von Verzicht
lichtlosen Jahre: meine Jahre. Da
stand plötzlich jemand hinter mir und riß
aus diesem Weinen an meinem Haar.
Und eine Stimme rief, die furchtbar war:
'Rate, wer hält dich so?' - 'Der Tod gewiß.'
- 'Die Liebe' - klang es wieder, sanft und nach.
Elizabeth Barrett-Browning
Elizabeth Barrett-Browning, geborene Elizabeth Barrett Moulton-Barrett (1806 – 1861), englische Dichterin, Schriftstellerin
aus: „Sonnette aus dem Portugiesischen“ von Elizabeth Barett-Browing. Übertragen von Rainer Maria Rilke, Im Insel-Verlag zu Leipzig, 1900. Seite III
Das Narzissenbeet
(Ein Capriccio)
Was es doch für eine Frühlingsnacht war,
Unter welchem Mond doch?
Da ich ihn mitten in dem Narzissenbeet doch?
Wie nur hatte er hineingeraten können?
Ihn da zu sehn!
Ich aber habe nicht gelacht.
Wenn ich sagen könnte,
Wie bange mir war!
Gott!
Wenn er angefangen hätte
Zu trampeln!
Doch nein! Wahrhaftig!
Wie wunderbar und mit welcher Galanterie
Er sich hinausfand!
O, es ist keiner so Narzissenkundig wie er!
Aber wer eigentlich?
Ich denke so:
Wie, wenn es nun wirklich
Der weiße Elefant gewesen wäre? ....
Johannes Schlaf
Johannes Schlaf (1800 – 1862), Schriftsteller, Erzähler, Dramatiker, Naturalist.
aus: „Das Sommerlied“ Gedichte, von Johannes Schlaf. Verlag: Axel Juncker Verlag in Stuttgart, 1905. Seite 139 – 140
Tag und Nacht
Es sprach der junge Tag in meinen Traum:
»Wach auf! Sieh! Meines Mantels goldner Saum
Ist über dunkle Dächer ausgegossen,
Und tausend Ströme sind geflossen
Und wurden Morgenlicht und heller Tag.
Nur Du noch ruhst im Traumeshag
Wo alle Wünsche wie lebendig scheinen
Und sich zu wechselbunten Spiele einen. –
Blick auf! Hörst Du aus fernen Dämmern
Den Rythmus der Arbeit mit ehernen Hämmern
Wach auf! – Aus allen Poren bricht das Weltgetriebe,
Kein Glied, das ohne Kraft und Schaffen bliebe
Und jedes schmiegt sich wieder sorgsam ein
In meiner Lande unbegrenzte Reihn
Und keiner ruht. – Nur Du allein!« –
Und tiefer kroch das Leuchten an der Wand.
Auf meinen Augen lag's, wie eine heiße Hand
Und schnell war Lid und Wimper offen
Von goldner Flut des frohen Lichts getroffen.
Und wieder klang die leise Stimme mir:
»Mit erlesenen Gaben komm ich zu Dir.
Mein Kleid ist weit. Doch seine tausend Falten
Vermöchten nicht der Gaben reiche Zahl enthalten,
Die meine Arme Dir entgegenbreiten.
Ich bringe Dir Ehre und Glück aus den Weiten
Ich habe Dir alle Wege geweitet,
Drauf purpurne Rosen und Blüten gebreitet,
Was Deine Gedanken nur betend erwähnt,
Was Deine Wünsche mir Thränen ersehnt,
Was kaum Du erhofft in schüchternem Denken,
Das will ich Dir heute, heute noch schenken.
Ich will Dir den ungeborenen Willen
In leuchtenden Farben zur Wahrheit erfüllen
Und für das Leid aus fernen, schweren Tagen
Werd' ich Dir wunderweiche Worte sagen,
Und Glück und Sorge, was Dich nur umflicht,
Dir wird es wesenlos und lebt nur im Gedicht. –
Ich mache Dir zaubergewaltig den Arm
Ich führe Dich weg von dem neidischen Schwarm,
Der jedes Streben sinnberauscht verlacht.
Ich nehm Dir alles, was Dich ihnen ähnlich macht.«
So sprach der Tag. Ich aber horchte fort
Und schlürfte gierig Wort für Wort.
»Doch geb' ich nicht die überreiche Spende
In schlummermüde, arbeitsträge Hände
Und werfe Dir nicht die Gaben dahin. –
Steh' auf und sieh sie im Leben erblühn!
Ich bin der Tag und bin dem Leben gleich
Erfüllung harrt für jeden Wunsch in meinem Reich,
Nicht wirst Du bittend meine Gunst erringen
Nein! Wie ein Weib mußt Du mich zwingen,
Das nicht für weiche Worte seine Gaben giebt
Und nur die Kraft, den starken Willen liebt,
Der sie mit seiner Wucht errungen.«
So sprach der Tag mit leisen, weisen Zungen
Und flammte heiß mit grellen, gelben Lichtern,
Und still ward da mein Herz und schüchtern
Bei dieser Worte wahrheitsschweren Klang
Allein der Tag fuhr fort und sang:
»Doch hat Dich das Schaffen dann müde gemacht,
Führ' ich Dich neu in die Arme der Nacht.
Durch des Abends blütenrote stille Weiten
Will ich Dich zum Traume heimgeleiten;
Diesem schenkst Du, was ich Dir errungen,
Glück und Glanz und echte, große Lieder
Und er giebt es tausendfach Dir wieder
Durch der Traumessänge seligsüße Weise.
Und so dreht sich Tag und Nacht im Kreise
Bist Du bei mir stark und stolz geworden,
Löst die Nacht mit ihres Lieds Accorden
Wieder Deine Einsamkeit und Eigensucht
Und des steten Wechsels reiche Frucht
Ist: Daß Du des Nachts die Seele sehnend weitest
Und des Tags zur That Dich froh bereitest.
Doch nun laß des Morgendämmerns bleiche
Traumesgärten! Auf! Zieh ein in meine Reiche.«
Und es wuchs in mir ein frohes, heißes Beben
Ich sprang auf, hinein ins volle Leben!
Stefan Zweig
Stefan Zweig (1881 – 1942), österreichischer Schriftsteller, Übersetzer, Pazisfist
aus: „Silberne Saiten. Gedichte“ von Stefan Zweig. Titelblatt und Randleisten von Hugo Steiner. Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig, 1901
A l’extérieur, retendue, la figure, la solidité; à l’intérieur, le plaisir, la peine, la pensée, la volonté, l’activité.
Mais ce n’est point là que s’arrête sa conviction ; elle pénètre plus aVant.
Das Äußere ist festgehalten, die Gestalt, die Festigkeit; das Innere ist Freude, Schmerz, Denken, Wille, Aktivität.
Aber das ist nicht der Punkt, an dem seine Überzeugung endet; Sie dringt weiter vor.
Théodore Simon Jouffroy
Simon Joseph Théodore Jouffroy (1796 – 1842), französischer Philosoph, Publizist
aus: „Mélanges philosophiques“ von Théodore Simon Jouffroy. Verlag: Paris: Librairie de L. Hachette, 1860. II. Du Spiritualisme et du Matérialisme, (1825). Histoire de la Philosphie. Seite 128
In der Einsamkeit ist man glücklicher als in der Welt
On est plus heureux dans la solitude que dans le monde. Cela ne viendrait-il pas de ce que dans la solitude on pense aux choses, et que, dans le monde, on est forcé de penser aux hommes ?
In der Einsamkeit ist man glücklicher als in der Welt. Könnte das nicht daher kommen, dass man in der Einsamkeit an Dinge denkt und in der Welt gezwungen ist, an Menschen zu denken?
Nicolas Chamfort
Sébastien Roch Nicolas de Chamfort (1741 – 1794), französischer Dramatiker, Mitglied der Académie Française
Texte établi par Pierre-Louis Ginguené (préface), Baylis, 1796
aus: „Maximes Pensées Caractères et Anecdotes“, Nicolas Chamfort, Précédés D’une notice sur sa vie, 1796
Kurt Tucholsky (1890 – 1935), dt. Schriftsteller, Journalist, Literatur- und Theaterkritiker der Zeitschrift. Zählt zu den bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik.
aus: Tucholsky, Erstveröffentlichung erfolgte 1931 im ernst Rowohlt Verlag, Berlin. Berlin.