Verzweiflung

O Jammer, Tränen, Flehen und Gebete

Verzweiflung

O Jammer, Tränen, Flehen und Gebete
Und immer Jammer, immer Tränen, Flehen, -
Ich Unglückselige - was wird aus mir!

Kaum spüre ich des Sommers laue Nächte,
Da zieht der Winter wieder über Land,
Und rauh und häßlich wird der Wind der Frühe.

Jetzt kommen schon die wilden Schwäne wieder;
Mein Herz ist voller Qual. Wie oft, wie oft
Sah ich euch gehn und kommen, wilde Vögel!

Verschwenderisch erblühn die Chrysanthemen, -
Doch diese Blume hier, versehnt, verkümmert,
Hat niemand denn sie abzupflücken Lust?

Ich sitze ewig nur an meinem Fenster, -
Ist denn der Tag noch immer nicht zu Ende?
Ein feiner Regen näßt die Blüten rings.

Auf leisen Sohlen steigt die Dämmerung nieder,
Der Abend kommt, die Nacht umfängt die Erde, -
In mir jedoch bleibt alles, wie es war.

O Jammer, Tränen, Flehen und Gebete, -
Wer zieht den Dorn aus meinem wunden Herzen?
Verzweiflung wühlt in mir und tötet mich.. !

Li Tsching-dschau

Li Tsching-dschau (1083 – 1151), chinesische Dichterin. Auch Li Qingzaho; Li Qing Zhao

Der Frühling

Der Winters Hülle deckte

Der Frühling

Des Winters Hülle deckte
nicht mehr die öde Flur;
der Hauch des Lenzes weckte
die schlafende Natur.
Es wurden schon die Schatten,
es duftete der Pfad,
den Flora mit dem Gatten
jüngst, Hand in Hand, betrat.

Blauäugige Amoene,
ertönete mein Lied;
verändert ist die Szene,
der rauhe Winter flieht,
kein Nordwind drohet weiter
der zarten Haut Gefahr,
ein West, wie du so heiter,
spielt um dein blondes Haar.

Des Frühlings erste Blume,
komm, suche sie mit mir!
Zu Venus' Heiligtume
bring' ich sie dann mit dir,
dass sie das Denkmal kränze
des Dichters, dessen Lied
unsterblich, gleich dem Lenze,
dem er es weihte, blüht.

Dann schleichen wir zur Laube
bei meiner Flöte Schall;
dort girrt die Turteltaube,
dort ächzt die Nachtigall.
Dort wollen wir im Kühlen,
des Neides Aug' entrückt,
die Macht des Gottes fühlen,
der alles neu beglückt.

Sie teilte das Verlangen,
das meine Brust empfand;
es glüht' auf ihren Wangen,
es schlug in ihrer Hand.
Doch schnell benetzten Zähren
den unruhvollen Blick;
mit jungfräulichem Wehren
zog sie die Hand zurück.

Du weigerst dich, Amoene?
Ist's Misstrau'n? Ist es Scherz?
O trockne diese Träne,
du kennest Damons Herz!
Auch in verschwieg'nen Lauben
ist's, wie die Quelle, rein
und ohne Falsch, wie Tauben,
und ganz, Amoene, dein!

Friedrich Wilhelm Gotter

Friedrich Wilhelm Gotter (1746-1797)deutscher Schriftsteller, Dichter

Mein schöner Rosenstrauch

Man bot mir eine Blume an

Man bot mir eine Blume an,
Wie sie der Mai noch nicht getragen:
Doch sagt' ich, daß ich eine schöne Rose hätt',
Und hab die süße Blume ausgeschlagen.

Ich ging, wo meine schöne Rose stand,
Sie zu pflegen Tag und Nacht:
Jedoch sie hat sich eifersüchtig abgewandt
Und mir nur Dornen dargebracht.

William Blake

William Blake (1757 – 1827), englischer Dichter, Maler, Naturmystiker, Grafiker

Die Rose

Ein Röschen, schön wie’s je der Norden sah

Die Rose

Ein Röschen, schön wie's je der Norden sah,
Ganz einsam wuchs an eines Gärtchen Rand.
Noch nie war eine süße Blume da.
Und schönre Gärten waren nie bekannt.

Die Mädchen tanzten um es Ringelreihn,
Und weise Dichter es im Lied besangen.
Die flinken Elfen nachts im Mondenschein
Begossen es und küßten's voll Verlangen.

Doch weh! Der Gärtner gab nicht mehr drauf acht:
Mädchen und Elfen kamen nimmer wieder:
Und Dürre hatte Raupen hergebracht.
Die ließen sich auf Zweig und Knospen nieder.

Gott schütz' den Stocke! Wenn Himmel HIif' nicht endet,
Der Gartens schönste Blume dann verendet.

William Browne

William Browne of Tavistock (1590 – 1643), englischer Dichter

Die Geburt der Sterne

drin stille Engel unsichtbar goldener Blumen warten

Die Geburt der Sterne

Weißt du} mein Lieb, wann jedesmal am Firmament ein Licht,
ein Stern entsteht? Du töricht Kind, nicht wahr, das weißt du nicht?
Ich muß es dir erzählen, komm, und lege traulich sacht
dein Köpfchen mir ans warme Herz – andämmern laß die Nacht.

Siehst du: der dunkle Himmel dort ist ein unendlicher Garten,
drin stille Engel unsichtbar goldener Blumen warten.
Und jedesmal, wann drunten hier zwei Seelen sich entzünden,
sich, zueinander heiß gebannt, in Glück und Glut verbünden,
dann pflanzen eine Blume sie dem tiefen Grunde ein
und segnen jede junge Lust mit jungem Sternenschein. –

O sieh: schon ist die heilige Nacht gemach herangetreten,
die Blumen leuchten ungezählt her von den ewigen Beeten,
und alle künden und zeugen nur von irdischer Menschen Liebe –
o daß auch unseres Glückes Stern ewig uns leuchten bliebe!

 Otto Erich Hartleben

Otto Erich Hartleben (1864 – 1905), deutscher Schriftsteller, Dichter, Übersetzer, Dramatiker

An die schöne Blume Susanna

Blühet immer Tag und Ncht

XXI.
An die schöne Blume Susanna

1.
Keine Lilie scheint so weiß/
Du hast noch viel schönern Preiß/
Meine Lilie/ deine Zier/
Geht den schönsten Blumen für.

2.
Weiß ist deine Stirn/ dein Hals/
Deine Zähnlein gleiches falls/
Weiß und roth die Wängelein/
Schöner als die Rosen seyn.

3.
Rosenfarbicht ist der Mund/
Lilienweiß das schöne Rund/
Das sich in zwey Berglein gibt/
Das man für zwo Welt beliebt/

4.
Jedes Rund hat mitten inn
Einen köstlichen Rubin/
Der von Milch und Honig fliesst/
Und den Nectar selbst versüsst.

5.
Lilienweiß sind Arm und Hand/
Mehrers ist mir nicht bekandt/
Da fällt gantz kein Zweiffel ein/
Es werd auch der Rest so seyn.

6.
Wo die Berge blumicht stehn/
Kan der Thal nicht minders sehn/
Dann je näher nach dem Fluß/
Je geblühmter ist der Fuß.

7.
O was Lust hat so ein Mann/
Der ihm also betten kan/
Daß sein Liebermattes Blut/
Nur auff Ros- und Lilgen ruht.

8.
Blühet immer Tag und Nacht/
O ihr Ros- und Lilgen Pracht/
Gehet immer mit der Zier/
Allen Ros- und Lilgen für.

9.
Was ich mier davon begehr/
Ist mier viel/ doch dir nicht schwer/
Lasse mich doch nur allein/
Einer Rosen fähig seyn.

10.
Fragestu/ O meine Zier/
Welche Rose dienet dir?
O mein Lieb was fragstu viel/
Weistu nicht was Liebe wil? 


Georg Greiflinger

Georg Greiflinger (1620 – 1677), deutscher Dichter, Zeitchronist, Zeitungsredakteur. Pseudonym Celadon, Seladon

Marguerite

Du standst vor einem Blumenglas am Fenster

 Marguerite

Du standst vor einem Blumenglas am Fenster
und legtest deine Hand
mit einer schönen
unendlich gütigen Bewegung
um eine Marguerite,
ihr von unten her
den Blätterkreis mit der
gekrümmten Hand
verengend
und sie mit einem Seufzer -
mir wenigstens erschien es so -
und voller Liebe anblickend,
dass ich empfand,
dass zwischen dir und jener Blume sich
Geheimnis stiller Zwiesprache
verberge. -
Und wie ich heute selbst
das gleiche Spiel,
mein selber lächelnd, treibe
und ,mit Schmerzen' ende, -
lächle ich nicht mehr -
und denke jenes Abends an dem Fenster
und jener traurig-gütigen Geberde.

Christian Morgenstern

Christian Morgenstern (1871 – 1914), deutscher Schriftsteller, Dramaturg, Journalist und Übersetzer