An dem großen, bis zur Zimmerdecke reichenden Baum
An dem großen, bis zur Zimmerdecke reichenden Baum wuchsen all die Silber- und Goldnetze, die roten, blauen und grünen Papierketten, all die vergoldeten Nüsse und zierlichen Sächelchen, an denen fleißige Kinderhände sich wochenlang gemüht. Auf der langen Tafel lagen für jedes die Gaben ausgebreitet, nützliche Sachen, zum Wärmen, aber auch ein Spielzeug fürs Herz.
Else Ury
Johanna Else Ury (1877 – 1943, KZ Ausschwitz-Birkenau), deutsche Schriftstellerin, Kinder- und Jugendbuchautorin
Foto: Else Ury (1877 – 1943)
aus: „Nesthäckchen im weißen Haar“, Erzählung für junge Mädchen. Von Else Ury. Illustriert von Professor R. Sedlacek. Verlag: Meidinger’s Jugendschriften Verlag G. m. b. H., Berlin, 1918. Kapitel 6.
Der Frühlingstag
(Sophiens Schattengewidmet)
Wenn über mir das reine Blau der Luft
Und rings um mich der Blüthenbäume Duft
Den Frühlingstag in mein Gedächtniss ruft,
Der unsre Herzen liebend einst verband,
Als ich zuerst Dein Innerstes verstand –
Dann blick’ ich, wie in meines Glücks Ruinen,
Hin auf Dein Grab, um das Cipressen grünen.
Und dann berührt das Bild vergangner Stunden
Auf’s neu in mir der ew’gen Trennung Wunden.
Dich zu verlieren hatt’ ich Dich gefunden! –
Und Thränen fliessen jenem Frühlingstag
Und Dir, die Du ihm lächelnd glichest, nach.
Doch ach, so heiss, so bitter sie auch rinnen –
Sie können nicht der Gruft Dich abgewinnen.
Natalie
Charlotte von Ahlfeld
Charlotte Elisabeth Luise Wilhelmine von Ahlefeld (1781 – 1849). Pseudonyme: Elisabeth Selbig, Natalia, Emetine, Frau Charlotte Seebach Felicitas, Elise Selbig, Marie Müller. Deutsche Schriftstellerin, Dichterin
aus: „Gedichte von Natalie“ Charlotte von Ahlefeld. Verlag: Berlin, Johann Friedrich Unger, 1808. Seite 84
Zeichnung: Charlotte von Ahlefeld (1781 – 1849)
Bleistiftzeichung von Ferdinand von Blumenbach um 1800
Maler und Tierfreund
Ich hatte eine Landschaft in Öl gemalt,
Und sie gefiel mir sehr:
Ein blauer Himmel, aus dem die Sonne wie Wonne strahlt,
Und darunter weites, ruhiges, grünes Meer.
„Einsame Sehnsucht.“
Danach fuhr ich irgendwo hin,
Um einen kleinen Affen zu erwerben,
weil ich ein Tierfreund bin.
Aber was einem die Tiere nicht alles verderben.
Wieder zu Haus, stieß ich aus einen Schrei,
Denn mein Bild war verhext.
Erstens hatte mein Papagei
Etwas Groteskes ins Meer gekleckst
Und das geradezu künstlerisch kühn.
Aber das Wasser selber war abgeleckt
Von meinem Wolfshund. Der lag vom Schweinfurter Grün
Vergifet am Boden, verreckt.
In den Himmel hatte sich eine Fliege geklebt,
Und zwar mir dem Rücken.
Die strampelte, wie man, wenn man Großes erlebt,
Mit den Beinen strampelt vor lauter Entzücken.
Und offenbar nicht minder beglückt
In ihrer Nähe
Hing auch mein Laubfrosch ans Bild angedrückt
Und tat so, als ob er die Fliege nicht sähe.
Da wollte mein Affe mit lautem Geschrei – – –
Doch ich band ihn fest. Und lächelte dann.
Wie gut, daß man bei der Ölmalerei
Alles noch übermalen kann.
Mit Phantasie das Gegebne fixiert –
Genie und Farbe und Lichter dick aufgetragen –
Schwarz, Weiß, Rot, Ocker mutig darübergeschmiert – – –
Ein schönes Bild, muß ich selber sagen,
„Mein Selbstporträt.“
Joachim Ringelnatz
Hans Bötticher (1883 – 1934), deutscher Dichter, Schriftsteller, Maler. Pinko Meyer, Fritz Dörry und Gustav Hester, Gustav Dörrig, Fritz Bötticher
aus: „Gedichte – allerdings“, von Joachom Ringelnatz. Verlag: Ernst Rowohlt, Berlin, 1928. Seite 39 – 40
Gasel
Auf deiner Lippe sprosst der erste Flaum,
In deinem Herzen keimt der erste Traum,
So stehst du scheu und keusch und heilig da,
Ein holder Knabe noch, ein Jüngling kaum.
Der Himmel blaut in deinem tiefen Blick
Und eine Kirche deines Herzens Raum.
Du hebst entzückt des Lebens Taumelkelch
Und schlürfst mit Andacht nur den weißen Schaum,
Du schaust mir selig nicht ins Angesicht,
Du küssest leise meines Kleides Saum.
Maria Holm
Maria Auguste Minna von Hedenström (1845 – 1912), deutsche Schriftstellerin, Dichterin, Lehrerin
„Verse“ von Maria Holm. Verlag: Albert Langen, Paris, Leipzig, München, 1900
Mein Falke
O Sehnsucht, wilder Falke mein,
Willst du auch müde werden?
Dess' Heimat hoch im Blauen war,
Behagt's dir nun auf Erden?
Wie oft hast du den jungen Sinn
Aus diesen grauen Tagen
Hoch über Sorge, Not und Leid
Getragen.
Bis mir das dunkle Tal entschwand
Im märchenweiter Ferne
Und um mein glühend Haupt sich bog
Das Diadem der Sterne.
Nun beugst auch du die stolze Stirn
Und läßt die Flügel hängen,
Nun hat auch dich die Sorgenfrau
Gefangen.
Brich deine Fesseln, Wanderfalk,
Und hebe dein Gefieder -
Siehst du die Sterne droben glühn,
Hörst du die süßen Lieder?
Es ist die Heimat, die uns ruft,
Sie lockt mit Lust und Wonne,
Steig auf mit hellem Jubelschrei
Zur Sonne!
Anna Ritter
Anna Ritter, geborene Nuhn (1865-1921), deutsche Schriftstellerin, Dichterin
Bildnis:Anna Ritter (1865-1921)
aus: „Gedichte“ von Anna Ritter. Verlag von Liebeskind, Leipzig, 1898. Das Ringlein sprang entzwei. Seite 1 – 2
Auf den Bergen
Freu’ Dich nicht des blauen Himmels,
Bist Du noch so harmlos, Kind?
Fühlst Du’s nicht? durch Erd’ und Himmel
Zieht gewitterschwüler Wind!
Trau’ nur nicht der Himmelslüge,
Nicht dem Sonnenlächeln trau’,
Denn es regnet, weinet innen –
Nur nach außen lacht es blau!
Ada Christen
Christiana von Breden, geborene Friederik (1839 – 1901), österreichische Dichterin, Schriftstellerin. Bekannt auch als Ada Carla, Christine von Neupauer, Satanella
aus: „Aus der Asche“. Neue Gedichte von Ada Christen. Verlag: Hamburg, Hoffmann & Campe, 1870. Wandernd. Seite 45
Mariechen
Ich schaute ganz wie Du als Kindlein aus,
Nur etwas bleicher waren meine Wangen
Und wurden roth wie Deine, wenn im Haus
Wir polternd über Tisch und Stühle sprangen.
Die Augen waren auch so blau und rein,
Die Locken fielen d'rauf wie gold'ne Fädchen,
Doch liebte Niemand mich, als ich noch klein -
So innig wie ich Dich, Du kleines Mädchen!
Ada Christen
Christiana von Breden, geborene Friederik (1839 – 1901), österreichische Dichterin, Schriftstellerin. Bekannt auch als Ada Carla, Christine von Neupauer, Satanella
aus: „Aus der Asche“. Neue Gedichte von Ada Christen. Verlag: Hamburg, Hoffmann & Campe, 1870. Sternenlos. Seite 38
Das Vöglein in blauer Luft / Zugvögel
Vöglein in blauer Luft,
Hab' dich so gerne,
Schwebst über Meer und Kluft
Sanft wie die Sterne,
Hin, wo der Frühling blüht,
Trägst du dein schwellend Lied --
Grüß' mir die Ferne!
Wenn sich dein Flügel spannt
Seligem Triebe,
Fühlt sich das Herz verbannt,
Wo ich auch bliebe --
Vöglein vergiß mir nicht,
Was meine Sehnsucht spricht:
Grüß' mir die Liebe!
Fliegst in die Welt hinein,
Hörst nicht mein Flehen?
Willst nicht mein Bote sein?
Kannst nicht verstehen,
Ob ich gelacht, geweint?
Nun denn, Ade mein Freund,
Laß mich vergehen!
Und eine andre Schaar
Regt das Gefieder --
Ewig mir treu und wahr
Bleiben die Lieder!
Tragen den Gruß in's All,
Bringen des Himmels Schall
Göttlich mir wieder!
Karoline Fidler
Karoline von Fidler (1801-1874), deutsche Dichterin. andere Namen: Karoline Winkler, Karoline Charlotte Schultz
aus: Gedichte“ von Karoline Fidler. 1844. Als Handschrift erschienen.
Der Sonne schau' am Morgen, schau' am Abend!
Zur Sonne schau' am Morgen, schau' am Abend!
Die Sonne kennt dich nicht, sie sieht dich nicht.
Und tut dir doch so wohl und will dir wohltun.
Sie wirft mir ungeheuer Kraft hinaus
Ins Blaue! Tut sie Gutes nur ins Blaue?
Sie trifft! Sie wächst in Menschen und in Blumen
Und Blüten bis in tiefsten Meeresgrund,
Und nicht ein Strahl geht irgendwo verloren!
Und mußt du kennen, wem du wohltun sollst?
Den Fremden, Fernen weigerst du die Liebe?
Den spätern Menschen und den spätern Blumen?
Und kennst du wirklich auch den Menschen so,
Der vor dir steht? Und wär' er kein Geheimnis,
Er würd' es dir. Denn bist du ganz erfüllt
Für ihn von Lie' und Güte, glaube nur,
Dann siehst du ihn nicht, wie die Sonne dich nicht,
Vor himmelischwarmer Glut und reinem Licht,
Bedarfst du sein nur freudig: daß er sei!
Die Rose ist für ihren Duft schön herrlich
Belohnet durch ihren Düften; und die Sonne
Für ihr Erleuchten durch das Licht! Der Mensch
Ist für das Lieben durch die Liebe reich
Belohnt, der Mensch ist für das Leben voll
Belohnt durch leben. Lerne das am Himmel!
Und lerne das auf Erden, selbst vom tun!
Darum unterscheide keinen, der da lebt!
Nicht den, der deinen Feind sich nennt, noch Freund;
Drum unterscheide nichts, was lebt; die Frucht nicht
Vom Baume, noch den Hirten von der Herde,
Das Lamm vom Grafe nicht, das Gras vom Tau,
Den Tau von seinem Glanz und Schein. Steh' mitten
Im All der Liebe! lebe, liebe nur!
Der Sonne schau' am Morgen, schau' am Abend!
Christian Friedrich Hebbel
Christian Friedrich Hebbel (1813 – 1863), deutscher Dichter, Dramatiker, Lyriker
aus: „Laienbrevier“ von Leopold Schefer. Verlag: Veit und Comp., Berlin, 1837. Juli. XV. Seite 28 – 29
Frühe Sonne, frühe Sonne,
Ach, wo bist du hingefunden!
All des Tages Jugendwonne
Ist im Morgenrot etrunken.
Deine wundersel'gen Augen,
Inseln aus des Himmels Seen,
Sah ich steigen, untertauchen
In den Morgens erstem Weh'n.
Und es steigt ein Nebelschleier
Übers tiefe, stille Blau;
Eine einsame tiefe Feier
Breitet sich durch Wald und Au'.
ruhig unbewegte Bäume;
Kein Gesang, kein Blattgeräusch!
Spinnet ihr die nächt'gen Träume
Wieder an, ihr Blumen keusch?
O Bolgna, dein Zinnen,
Die gelacht im Sonnenstrahl,
Seh`ich bösen Schmuck gewinnen:
Schwarze Flaggen überall!
Clemens von Bretano
Clemens Wenzeslaus Bretano (1778 – 1842), deutscher Schriftsteller
aus: „Seite 373, „Sämtliche Werke“ von Clemens Brentano. Verlag: Müller, München, 1909. Zwnaziste Romanze, Rosarosens Leichenzug, Seite 373