Das Ringlein sprang entzwei

Es geht ein Liedchen im Volke

  Das Ringlein sprang entzwei

Es geht ein Liedchen im Volke,
Die Mädchen singen's zur Nacht,
Wenn unter den flüsternden Halmen
Im Felde die Sehnsucht erwacht.

Das Lied vom zerbrochenen Ringlein
Und von der Mühle im Grund,
Die Wasser wogten und rauschten,
Dem Burschen war gar so wund.

Ich sang's so oft mit den Andern,
Nun schleich' ich mich leise vorbei
Und berge das Haupt in den Händen:
"Das Ringlein sprang entzwei." 

Anna Ritter

Anna Ritter, geborene Nuhn (1865-1921), deutsche Schriftstellerin, Dichterin

Angelika von Hörmann

Und aufwärts durch Gesträusch‘ und Stein

Hinauf!

An der Schenke im Tal geh' ich vorbei,
Da sitzen die lustigen Zecher;
Die Wirtin kommt, und nach der Reih'
Füllt sie die leeren Becher.

"Der Wein ist kühl, komm' junger Gast,
Sei mit uns froh und heiter."
Ich bleibe nicht, ich halte nicht Rast,
Mein Weg geht höher und weiter.

Wohl kühleren Trunk, gesund und klar,
Schöpf' ich aus dem Felsenfasse;
Wer je ihn gekostet, den lüftet fürwahr
Nicht mehr nach eurem Nasse.

Und aufwärts durch Gesträusch' und Stein
Bin ich noch lange gestiegen;
Im Thal wie Schneckenschalen klein,
Die weißen Häuser liegen.

Ich hab' mit Alpenkresse gepflückt,
Und Alpenwasser getrunken,
Und habe den Kopf in's Moos gedrückt,
In stilles Träumen versunken.

Angelika von Hörmann 

Angelika von Hörmann, geborene Emilie Geiger, verheiratet Emilie Hörmann von Hörbach (1843 – 1921), österreichische Dichterin, Schriftstellerin. Pseudonyme: Angellika von Gera

Auf den Bergen

Freu’ Dich nicht des blauen Himmels

Auf den Bergen

Freu’ Dich nicht des blauen Himmels,
Bist Du noch so harmlos, Kind?
Fühlst Du’s nicht? durch Erd’ und Himmel
Zieht gewitterschwüler Wind!
Trau’ nur nicht der Himmelslüge,
Nicht dem Sonnenlächeln trau’,
Denn es regnet, weinet innen –
Nur nach außen lacht es blau!

Ada Christen

Christiana von Breden, geborene Friederik (1839 – 1901), österreichische Dichterin, Schriftstellerin. Bekannt auch als Ada Carla, Christine von Neupauer, Satanella

The Glacier

The mountain have a peace which non disturb

The Glacier

The  mountains have a peace which none disturb ; The stars and clouds a course which none restrain;

The wild sea- waves rejoice without a curb, And rest without a passion ; but the chain

Of Death, upon this ghastly-cliff and chasm,
Is broken evermore, to bind again,
Nor lulls nor looses. Hark ! a voice of pain

Suddenly silenced ; a quick-passing spasm, That startles rest, but grants not liberty -
A shudder, or a struggle, or a cry -

And then sepulchral stillness. Look on us,
God ! who hast given these hills their place of

 pride,

If Death s captivity be sleepless thus, For those who sink to it unsanctified.

John Ruskin

John Ruskin (1818 – 1900) , englischer Maler, Philosoph Schriftsteller, Dichter, Sozialreformer, Kunsthistoriker, -kritiker

Um Mitternacht

Um kecker rauschen die Quellen hervor

Um Mitternacht


Gelassen stieg die Nacht ans Land,
Lehnt träumend an der Berge Wand,
Ihr Auge sieht die goldne Waage nun
Der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn;
Und kecker rauschen die Quellen hervor,
Sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr
Vom Tage,
Vom heute gewesenen Tage.

Das uralt alte Schlummerlied,
Sie achtet's nicht, sie ist es müd;
Ihr klingt des Himmels Bläue süßer noch,
Der flücht'gen Stunden gleichgeschwungnes Joch.
Doch immer behalten die Quellen das Wort,
Es singen die Wasser im Schlafe noch fort
Vom Tage,
Vom heute gewesenen Tage.

Eduard Friedrich Mörike

Eduard Friedrich Mörike (1804 – 1875) deutscher Lyriker, Autor von Prosatexten, Pfarrer

aus: „Gedichte“ von Eduard Mörike. Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung, Stuttgart, 1867. Seite 184

Abwesenheit der materiellen Hindernisse

Physische Freiheit ist die Abwesenheit

Physische Freiheit ist die Abwesenheit der materiellen Hindernisse jeder Art.

Daher sagen wir: freier Himmel, freie Aussicht, freie Luft, freies Feld, ein freier Platz, freie Wärme, freie Elektrizität, freier Lauf des Strohms, wo er nicht mehr durch Berge oder Schleusen gehemmt ist.

Selbst freie Wohnung, freie Kost, freie Presse, postfreie Briefe, bezeichnet die Abwesenheit der lästigen Bedingungen, die, als Hindernisse des Genusses, solchen Dingen anzuhängen pflegen.

Arthur Schopenhauer

Arthur Schopenhauer (1788 – 1860), deutscher Philosoph, Hochschullehrer, Schriftsteller

Ich flieg‘ aus Blüten her

ich habe eben mit den Blättern der Myrte

Ich flieg‘ aus Blüten her – ich habe eben mit den Blättern der Myrte, mit der Blüte der Zitrone und mit dem Busengefieder der Nachtigall gespielt und habe einer Göttin das Lockenhaar nachgetragen und es auf die Schulter ihres Geliebten gelegt und bin vorausgeflogen, um dem langsam durch Waldwasser und über Berge schreitenden Frühling vorzueilen.

Jean Paul

Johann Paul Friedrich Richter (1763 – 1825), deutscher Schriftsteller, Publizist, Pädagoge, Dichter