Mondschein

Mondschein

Wie eine seltene Gegend ist dein Herz, wo Masken, die mit Bergamasken schreiten, zum Tanze spielen voll geheimen Schmerz im Truggewand, mit dem sie bunt sich kleiden.

Des gleichen in weichem Ton sie singen, wie der Liebe Sieg dem Lebensglück sich eine, so glauben doch nicht an die Freude sie und ihr Gesang fliesst hin im Mondenscheine.

Im kalten Monschein, der trübe Pracht die Vögel träumen lässt auf ihren Zweigen, um der die Wasserstrahlen weinen mocht, die schlank aus weissen Marmorschalen steigen.

Paul Verlaine

Paul Verlaine (1844 – 1896) französischer Lyriker, Dichter, Schriftsteller

Übertragung von Graf Wolf von Kalckreuth (1887 – 1906)

Gedicht aus:

‚Ausgewählte Gedichte‘, übertragen von Graf Wolf von Kalckreuth, 1906, Insel-Verlag Leibzig

Das kleine Kind schläft

ich lüpfe das Flortuch und schaue lange

Das kleine Kind schläft

Das kleine Kind schläft in seiner Wiege; ich lüpfe das Flortuch und schaue lange, und behutsam scheuch‘ ich die Fliegen mit meiner Hand. Der Knabe und das rotbäckige Mädchen werden sich die Flanke des behuschen Hügels hinauf, von seinem Gipfel aus nehm ich sie wahr.

Walt Whitman

Walt Whitman (1819 – 1892) US-amerikanischer Schriftsteller, Dichter, Schriftsetzer, Lehrer, Essayist

aus: ‚Gesang mit mir selbst‘, übersetzt aus dem Amerikanischen ins Deutsche von Max Hayer. Verlag Leipzig und Wien. Wiener Graphische Werkstätte, 1902.

Krähen

Krähen

Ich will den Tag verbringen in den Feldern,
will lächerlich wie jene Scheache stehen;
die groen Vögel möchten aus den Wäldern
auch so auf mein Gewand herniederwehn.

Um Schultern krallen, flüstern in mein Ohr,
aus Mären, die im grünen Buch sie lassen,
von Hugin und von Munin, Thyr und Thor,
von Yggdrasil, dem Weltenbaum der Asen.

Und was der Väter Dienstwenok beim Adepten,
des Roten Leuen Such, dem Blumengift,
der Mauerspalte, drein sie bergend schleppten
des sie den Herrn geheim erfundene Schrift,

und anderes Gewinde, blumiges Kraus,
altfränkisch duftend wie Leukojenblüten,
was ihnen Nachtrab schrieb und Fledermaus
und was sie selbst in kluges Häuptlein hüten.

Doch manche würden gleich die Scholle hacken,
um meine Füße, die zum Kosten lädt
so wie ein Weißbrot, feucht und frisch vom Backen,
bereitet mit dem blanken Feldgerät.

An weißen Mandeln und dem Zitronat,
an Engerlingen sich und Würmern letzten,
der Süße endlich satt und Rast und Rat
und schweigend sich auf meine Hände setzen.

Und einmal schlügen Schwärme, Riesenwehen,
den wilden Flug aus Mitternacht mir nach
mit harten Liedern, die nur ich verstehe,
in ihrem scharfen, ungefügen Krah.

Mit unheilvollen Braus im düsteren Kleid
und mit erzürnten, drohendem Bewegen;
so fielen sie in gottlose Zeit
und auf die Länder als ein schwarzer Regen.

Die Welt verstummte. Bis der Weile stöhnte.
Und weithin klagte heulend eine Stadt.
Zerfreßnes Auge, das der Vater höhnte
und seiner Mutter Herz verstoßen hat.

Gertrud Kolmar

Gertrud Käthe Choziesner 1894 – 1943, ermordet in Ausschwitz) deutsche Lyrikerin, Schriftstellerin

Gedicht aus: Gesamtausgabe ‚Das lyrische Werk Gedicht aus: Gesamtausgabe Das lyrische Werke

Vertraue dich

nicht irgend jemanden Freund sein

Vertraue dich

Vertraue dich dem Manne nicht an

der jedermanns allgemeiner Freund ist!

Er wird nicht irgend jemanden Freund sein.

Hesiod

Hesiod ( vor 700 v. Chr.) griechischer Dichter, Ackerbauer, Viehhalter.

hier: Hesiod, Werke und Tage, mit Schulstücker (Scholion) von Manuel Moschopulos (1265 – 1365), in der Handschrift Venedig, Biblioteca Nazionale Marciana (Nationalbibliothek von San Marco, Republik Italien), Gr. 464, fol. 26v.

aus: ‚Werke und Tage, episches Lehrgedicht‘ von Hesiod

um 700 v. Chr., umfasst 828 Hexameter

Mein vertrauter Traum

versteht mein rätselhaftes Wesen

Mein vertrauter Traum

Ich träumte wieder schon so oft ein Traum vor mir gestanden. Wir lieben uns, sie streicht das wirre Haar mit aus der Stirn mit Händen wunderbar.

Und sie versteht mein rätselhaftes Wesen und kann in meinen dunklen Herzen lesen. Du fragst mich ist sie blond? Ich weiß es nicht.

Doch wie ein Märchen ist ihr Angesicht. Und wie sie heißt? Ich weiß es nicht.

Doch es klingt ihr Name süß, wie wenn die Ferne singt – wie ein Name, den du Liebling heißt, und der du ferne und verloren weißt.

Und ihre Stimme Ton ist dunkelfarben wie Stimmen von Geliebten, die uns starben.

Paul Verlaine

Paul Verlaine (1844 – 1896) französischer Lyriker, Dichter, Schriftsteller

Erstveröffentlichung

aus ‚Ausgewählte Gedicht, übertragen von Graf Wolf von Kalckreuth, Verlag Pöschel & Trepte, 1906. Original im Lemerre-Verlag Paris 1866)

Gleich wie Blätter im Walde

Blätter verweht zur Erde der Wind

Gleich wie Blätter im Walde

Gleich wie Blätter im Walde, so sind die Geschlechter der Menschen;
Blätter verweht zur Erde der Wind nun, andere treibt dann
Wieder der knospende Wald, wenn neu auflebet der Frühling;
So der Menschen Geschlecht, dies wächst, und jenes verschwindet.

Heinrich Heine

Heinrich Heine (1797 – 1856), deutscher Schriftsteller, Journalist

Mondlicht

Wie ein Schwan still die Bahn

Mondlicht

Wie ein Schwan
still die Bahn
zieht der Mond ein blassem Glanz
durch den lichten Wolkenkranz.

Heil gensehen
krönt den Hain,
und herab aus Sternenhöhn
goldene Flocken flimmern weh’n.

Einen See
gleich wie Schnee,
in dem klaren Mondschein
liegen Triften, Tal und Hain.

Märchenpracht,
dieser Nacht!
Blatt und Blumenglocke glänzt,
von Demant und Perl‘ bekränzt.

Ew’ge Kraft,
zauberhaft,
führst du deine Himmelsbahn,
laß mich deine Himmel ahnen!

Dilla Helena

Dilia Helena (1816 – 1894) Lyrikerin der Spätromantik

Gedicht „Mondlicht“ wurde auch vertont:

Carl Loewe (1796 – 1869) Album, 3 Lieder, op.107; no 1. Mondlicht, Gesang und Klavier: Robert Wörle, Cord Garben. Verlag Carl Loewe, Lieder & Balladen, Complete Edition Vol. 20. Erstveröffentlichung 1842.

Thelyma Nelly Helene Branco (1816 – 1894), as Dilia Helena

Liebende

deiner, Falterflügel, zwiegeteilt

Liebende

Ihre Leiber standen in den Abendschatten licht,
schmal und hoch, vor schimmerlose Bleiche: 
Blütenzweige, den Leib für Liebe bricht,
wird gewiegt und taugeküßt am Teiche.
Stirn um Stirn kroch übers Dach sie anzusehen,
und die Schar der zarten Wolkentürme
flockte zögernder in lindern Wehn:
ihre Leiber standen licht ein Dämmen.
War das Eine kurzer Weg hinabgeeilt,
riefs das Andre um mit stillen Schauen;
feiner Falterflügel, zwiegeteilt, schleierblaß,
verwuchsen sie im Grauen.
Leise, wie ein Stückchen leichter Tag,
sind sie dann in Nacht und Gras gegangen.-
Und die braunen Hasen im Verschlag äugten wundernd durch die Gitterstange.

Gertrud Kolma

Gertrud Käthe Cohdziesner (1894 -1943? ermordet in Ausschwitz), deutsche Schriftstellerin, Lyrikerin

aus: „Das lyrische Werk“. Verfasserin: Gertrud Kolma. Verlag: Kösel Verlag 1960

Märztag

Wolkenschatten fliegen über Felder

Märztag

Wolkenschatten fliegen über Felder, Blau umdunstet stehen ferne Wälder.

Kraniche, die hoch die Luft durchpflügen, kommen schreiend an in Wanderzügen.

Lerchen steigen schon in lauten Schwärmen, überall ein erstes Frühlingslärmen

Lustig flattern, Mädchen deine Bänder, kurzes Glück schwamm mit den Wolkenmassen, wollt‘ es halten, mußt‘ es schwimmen lassen.

Detlev von Liliencron

Friedrich Adolf Axel Freiherr von Liliencron (1844 – 1909), deutscher Lyriker, Prosa- und Bühnenautor

Gedicht aus dem Gedichtband: ‚Bunte Beute‘. 1903, Verleger Schuster & Loeffler, Berlin und Leipzig

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Die Gelegenheit

Er zog die Stiefel an

Die Gelegenheit

Vordem kam die Gelegenheit,
Ehr und Reichtum zu erlangen,
zu einem Mann aufs Land gegangen.
„Hans“, rief sie, „komm, geh mit!“
Hans sprach: „Um welche Zeit?“
„Gleich, gleich den Augenblick.“
„So hurtig und wohin?“
„Komm mit, du wirst’s schon sehn.“
„Je nun, so warte doch
zum wenigsten so lange noch
mit der mir zugedachten Gabe,
bis ich mir, weil ich barfuß bin,
die Stiefel angezogen habe.“
Der Bauer dachte nicht, daß die Gelegenheit
in einer oft noch kürzern Zeit
sich einem aus den Händen schwinge,
und oft gar schnell verlorenginge.
Er zog die Stiefel an und rief nach seinem Weibe,
das noch im Bette lag. „Hör“, sprach er,
„lieber Schatz,
räum alle Kasten aus und mach indessen Platz,
damit ich, wenn ich ja bis mittags außenbliebe,
bei meiner Wiederkunft als ein beglückter Mann,
das mitgebrachte Geld darin versperren kann.“
Er lief und öffnete sein Haus im Verlangen;
doch als er vor der Türe kam,
war die Gelegenheit, zu seinem großen Gram,
schon weg und wieder fortgegangen.
Er lief, jedoch umsonst, sein Weib kam auch herbei
und unterstützte sein Geschrei.
Sie liefen hinters Haus, durchsuchten Stall und Scheune,
besahen auch sogar die Herberge der Schweine,
ob die Gelegenheit sich etwa hier versteckt;
jedoch mit aller Mühe ward nirgends nichts entdeckt. –
Der Bauer setzte sich vor seiner Türe nieder
und schwor hinkünftig hurtiger zu sein.
Allein was half ihm dies? Sein Hoffen traf nicht ein,
denn die Gelegenheit kam niemals wieder.

Daniel Stoppe

Daniel Stoppe (1697 – 1747) deutscher Schullehrer, schlesischer Dichter

Gedicht aus: Neue Fabeln oder moralische Gedichte: der Jugend zu einem nützlichen Zeitvertreib; Breßlau, Verlger und Druck Johann Jacob Korn, 1740, Zweiter Teil

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