Den Weg studieren
bedeutet,
sich selbst studieren.
Sich selbst studieren
bedeutet,
sich selbst vergessen.
Sich selbst vergessen
bedeutet,
sich in Harmonie befinden;
mit allem, was uns umgibt.
Dōgen Zenji
Nichts gleicht der Süße deiner lieben Worte,
Die tränenschwer ins tiefste Herz mir sinkt.
Mir ist, als spränge eine ehrne Pforte,
Aus der die Lichtflut klarer Liebe dringt.
Nicht meine Kunst, die gramvoll sich verschleiert,
Nicht meine Rede, die sich unnütz müht,
Hat solche Güte zarten Worts gefeiert,
Wie aus den Zeiten deines Briefs sie blüht.
Wolf von Kalckreuth
Wolf von Kalckreuth (1887 – 1906), deutscher Dichter, Übersetzer
Es gibt Düfte, frisch wie Kinderwagen
Süß wie Oboen, grün wie junges Laub
Verderbte Düfte, üppige, voll Prangen
Wie Weihrauch, Ambra, die zu uns im Staub
den Atemzug des Unbegrenzten bringen
Und unserer Seele höchste Wonne singen.
Charles Baudelaire
Charles Baudelaire (1821 – 1867), französischer Schriftsteller, Übersetzer, Herausgeber
Text stammt aus
‚Les fleurs du mal‘
Gedichte – Die Blumen des Bösen (1857 – 1866) Insel-Verlag Leipzig, Übersetzung Wolf von Kalckreuth, 1907
Ich scheide wie die Luft; ich schüttle meine weißen Locken
Ich scheide wie die Luft; ich schüttle meine weißen Locken gegen die enteilende Sonne hin; Ich ergieße mein Fleisch in Wirbeln und lasse es hintreiben in fadigen Streifen.
Ich vermache mich dem Schmutz, um aus dem Grasse, das ich liebe, emporzutreiben; Wenn du mich wieder brauchst, so suche mich unter deinen Stiefelsohlen.
Kaum wirst du wissen, wo ich bin, oder was ich meine; Trotz allem aber werde ich dir gut bekommen, Und klären und kräftigen dein Blut.
Wenn du mich nicht sogleich verstehst, bleibe dennoch guten Mutes. Findest du mich nicht an einer Stelle, so such mich an einer anderen. Irgendwo halte ich mich auf und warte auf dich.
Vers aus: Walt Whitman, Grashalme, Eugen Dietrichs Verlag, Leipzig, 1904
‚Leaves of Grass‘, Walt Whitman, Thayer and Eldrige, Boston, Years 85 of the States (1860 – 61). Erstdruck erschien anonym im Selbstverlag, Brooklyn, New York, 1855
Liebesgedicht
Wie ich den Hofraum trete
durch das mittlere Tor,
drängt sich wiederrum das stete
blinde Weinen empor.
Vor zwei Jahren, langen Jahren,
stand ich hier zuletzt.
Blumen, die damals Blüte waren,
duften und blühen auch jetzt.
Und die Halle mit dem Dach,
grün und dunkelbraun,
und das Fenster von meinem Gemach
und den Bambuszaun;
alles nimmt sicht wie damals aus,
atmet die gleiche Ruhe.
Aber am Eingang zum inneren Haus
fehlt nun etwas: Du.
Bai Juyi
Der Brombeerzweig
Sieh', da will ein dorn'ger Zweig
Uns den Pfad verwehren -
Sieh' die Beeren überreich,
Die ihn sanft beschweren.
Beeren, schwarz und rot und grün -
Wie sie mählich reifen
Bei der Strahlen heißem Glüh'n,
Die im Wald sie streifen.
So viel Wünsche sonder Zahl
Trag' ich tief im Herzen,
Das dir schlägt in holder Qual
Und geliebten Schmerzen.
Mancher, schon verblutend, mag,
Daß er ward, bereuen -
Doch es reift ein jeder Tag
Seilig einen neuen!
Ferdinand von Saar
Ferdinand von Saar (1833 – 1906), österreichischer Schriftsteller, Lyriker und Dramatiker.
Gedicht ist ein Lied aus. Erstdruck: : ‚Gedichte‘, im Georg Weiß Verlag, Kassel. 1904
Sonnet - The lotus
Love came to Flower asking for a flower
That would of Flowers be undispated gienn,
The lily and the rose, long, long had been
Rivals for that high honoar. Bards of power
Had sung their claims. "The rose can never tower
Like the pale lily with her Juno mien"-
"But is the lily lovelier?" Thus beer between
Flower - factions rang the strife in Psyche's lowers.
"Give me a flower delrcious as the rose
And it ately as the lily in her pride"-
"But of what colours?" ... "Rose - red", "Love first chose,
Then prayed, - "No, lily - whtie,- or bath pride".
And Flora gave the lotun, "rose-red dyed,
And "Lily-white, " - the queenliest flower that blows.
Tour Dutt
Toru Dutt (1856 – 1877), bengalische Dichterin, Übersetzerin, Autorin. Veröffentlichte auf englisch und französisch
Gedicht aus ‚Ancient Ballads and Legends of Hindustan‘ von Toru Dutt, 1882 (Alte Balladen und Legenden von Hindustan“, 1906)
‚Ancient ballads and legends of Hindustan‘, 1906. Mit einer Einführung von Edmund W. Gosse (1849 – 1928),
Der zahme Vogel
Der zahme Vogel, war in einem Käfig, der freie Vogel war im Walde.
Als ihre Zeit gekommen war, trafen sie sich;
so wollte es das Schicksel.
Der freie Vogel ruft: "O Liebster, laß uns zum Walde fliegen:"
Der Vogel im Käfig zwitschert: "Komm her, laß uns beisammen im Käfig leben."
Sagt der freie Vogel: "Wo ist denn Platz hinter Stäben, seine Flügel zu spreiten?"
Der freie Vogel ruft: "Mein Liebling, singe die Lieder der Wälder."
Der Vogel im Käfig sagt: "Setz Die zu mir, ich will Dich unterweisen in der Sprache der Gelehrten."
Der Waldvogel ruft: "Nein, ach nein" Lieder können niemals gelehrt werden."
Der Vogel im Käfig sagt: "Weh mir, ich weiß sie nicht, die Lieder der Wälder."
Ihre Liebe ist heiß, voll Verlangen; doch können sie nie Schwinge fliegen. Durch die Stäbe des Käfigs schauen sie und sehen sich vergebens, einander zu kennen.
Sie flattern sehnsüchtig mit ihren Flügeln und singen: "Komm näher, mein Lieb!"
Der freie Vogel ruft: "Es geht nicht, ich fürchte die verschlossenen Türen des Käfigs. Der Vogel im Käfig zwitschert: "Weh, meine Flügel sind kraftlos und tot."
Rabindranath Tagore
Die einzige autorisierte deutsche Ausgabe. Nach der von Rabindranath Tagore selbst veranstalteten englischen Ausgabe. 1921. Übertragung vom englischen ins Deutsche: Hans Elfenberger / Jan Śliwiński (1884 – 1950)
Es ist
Es ist nicht mehr Tag, der Schatten liegt auf der Erde. Es ist Zeit, daß zum Fluß ich gehe, den Kurg zu füllen.
Die Abenluft ist schwanger von dunkler Musik des Wasser - es ruft mich ins Zwielicht hinaus. In der einsamen Gasse geht Niemand vorüber, der Wind ist auf, die Wellen kräuselnd sich auf dem Flusse.
Ich weiß nicht, ob ich je heimwärts wiederkehre, ich weiß nicht, wen mir der Zufall entgegenführt. Dort bei der Furt in dem kleinen Boot spielt der Unbekannte auf seiner Flöte.
Rabandranath Tagore
Licht
Licht! O, wo ist das Licht? Entzünd es am brennenden Feuer der Sehnsucht! Da ist die Lampe, doch weh, kein Flackern der Flamme - ist das dein Schicksal mein Herz!
Dann wäre dir besser bei weitem der Tod.
Elend klopft an die Tür, seine Botschaft kündet: dein Herr ist wachsam, er ruft durch das Dunkel der Nacht dich zum Stelldichein.
Der Himmel verhängen Wolken; der Regen ist endlos. Ich weiß nicht, was in mir sich regt, weiß nicht seinen Sinn.
Ein Blitzstrahl zieht tieferes Dunkel mir übers Aug, und mein Herz tastet den Pfad, auf den die Stimmen der Nacht mich rufen.
Licht! O, wo ist das Licht? Entzünd es am brennenden Feuer der Sehnsucht. Es donnert, der Wind stürzt kreischend durchs Leere. Die Nacht ist schwarz, schwarz wie ein Stein. Laß nicht die Stunden vergehen im Dunkeln. Zünde die Lampe der Liebe mit deinem Leben.
Rabindranath Tagore