Liebe

Ja, neige, neige dich, du Rosenrot,
Du kleine Ampel, Alabasterstern!
Dir will ich dienen, meinem Ruhm und Herrn,
Dir Opfer bieten, Wein und süßes Brot.

O nimm mich ein. Ich führe, sanftes Boot,
Mit deinem Wind in tiefen Abend gern;
Er wiegt dich sacht, und du bist doch schon fern
Und gleitest scheinend nieder in den Tod.

So ohne Flackern schwindest du, o Licht,
So sinkst du, Nachen, ohne Hilfeschrei.
Ich hör' dein Schweigen: hör' den Jammer nicht,

Ich seh' dich an: die Erde rollt vorbei.
Du bist gestorben, Sommertagsgesicht;
Ich lebe, daß ich trauern mag: verzeih.

Gertrud Kolmar

Gertrud Käthe Cohdziesner (1894 -1943? ermordet in Ausschwitz), deutsche Schriftstellerin, Lyrikerin

Kanarienrose

Des Mädchens Taubenhände gurrten zahm

Kanarienrose

Des Mädchens Taubenhände gurrten zahm
Aus licht zitronenfarb und grüner Seide;
Ihr Haar hing schwarz und still und gleich der Weide,
Und ihre Blicke sanken als ein Gram

Auf jenen Vogel, der von Inseln kam,
Dem zaubernd sie aus weichem Fiederkleide
Die Rose träumte. Blühendes Geschmeide.
Ein Duft, wie Wein so gilbend, süß wie Rahm,
Sang aus dem Käfigglase, blauem Becher,
Mit feinem Tönen, hauchte zitternd nieder
Und lag an ihrem märchenbunten Schuh

Gefaltet, blaß, wie ein verlorner Fächer.
Sie neigte sich. Da ward er Vogel wieder
Und schwirrte den Kanarienwäldern zu.

Gertrud Kolmar

Gertrud Käthe Cohdziesner (1894 -1943? ermordet in Ausschwitz), deutsche Schriftstellerin, Lyrikerin

Ihr Vater züchtete Rosen. Das Gedicht ist der Rose ‚Ville de Paris‘ gewidmet.

Die schönen Wunder

Die schönen Wunder

Die schönen Wunder aus den sieben Reichen,
Die bald Zitronenfalter, groß an Stielen,
Bald Zwergflamingos, die in Büsche fielen,
Bald Muscheln sind aus zauberstillen Teichen,

O meine Rosen. Herzen. Mögt ihr bleichen,
Erschlafft, erschöpft von weißen Sonnenspielen,
Verzehrt vom Überschwang, dem Allzuvielen;
Tragt singend euch zu Grabe, süße Leichen!

Ich will euch doch vom lieben Zweig nicht trennen,
Euch nicht im engen, lauen Glase wissen,
Die kurze Spanne Blühn euch kunstreich dehnen.
O gut: an unermeßnem Glanz verbrennen,
Statt, von der heißen Erde fortgerissen,
Ein langes schales Leben hinzusehnen.

Gertud Kolmar

Gertrud Käthe Cohdziesner (1894 -1943? ermordet in Ausschwitz), deutsche Schriftstellerin, Lyrikerin

Morgens steh ich auf und frage

Kommt seins Liebchen heut?

Morgens steh ich auf und frage:
Kommt seins Liebchen heut?
Abends sink' ich hin und klage:
Ausblieb sie auch heut.

In der Nacht mit meinem Kummer
Lieg ich schlaflos wach;
Träumend, wie im halben Schlummer,
Wandle ich bei Tag.

Heinrich Heine

Heinrich Heine (1797 – 1856), Christian Johann Heinrich Heine (Harry Heine), deutscher Dichter und Romancier, ein Hauptvertreter des Jungen Deutschland, Begründer des modernen Feuilletons

Liebe

Die Rose, die Lilie, die Taube, die Sonne,
Die liebt' ich einst alle in Liebeswonne.
Ich lieb' sie nicht mehr, ich liebe alleine
Die Kleine, die Feine, die Reine, die Eine;
Sie selber, aller Liebe Bronne,
Ist Rose und Lilie und Taube und Sonne.

Heinrich Heine

Christian Johann Heinrich Heine (Harry Heine), (1797 – 1856), deutscher Dichter und Romancier, ein Hauptvertreter des Jungen Deutschland, Begründer des modernen Feuilletons

Zwei

Sich zu finden, sich zu fassen

Zwei 

Drüben du, mir deine weiße
Rose übers Wasser zeigend,
Hüben ich, dir meine dunkle
Sehnsüchtig entgegen neigend.

In dem breiten Strome, der uns
Scheidet, zittern unsre blassen
Schatten, die vergebens suchen,
Sich zu finden, sich zu fassen.

Und so stehn wir, unser Stammeln
Stirbt im Wind, im Wellenrauschen,
Und wir können nichts als unsre
Stummen Sehnsuchtswinke tauschen.

Leis, gespenstig, zwischen unsern
Dunklen Ufern schwimmt ein wilder
Schwarzer Schwan, und seltsam schwanken
Unsre blassen Spiegelbilder.

Gustav Falke

Gustav Falke (1853 – 1916), deutscher Lyriker und Kinderbuchautor

Ich hörte sie noch nach der Melodie von Tararabumdiä singen

Ich hörte sie noch nach der Melodie von Tararabumdiä singen:

Da hat das Pferd
sich plötzlich umgekehrt
und hat mit seinem Stert
die Fliegen ab-ge-wehrt-

Dann rauschten uns die Bäume in Schlaf.

Kurt Tucholsky

Kurt Tucholsky (1890 – 1935) dt. Schriftsteller, Journalist, Literatur- und Theaterkritiker der Zeitschrift. Zählt zu den bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik.

aus: Tucholsky, Erstveröffentlichung erfolgte 1931 im ernst Rowohlt Verlag, Berlin. Berlin.

singt eine Nachtigall

In Kokenhusen
singt eine Nachtigall
wohl an der Düna Strand.
Und die Nachtigall
mit dem süßen Schall
legt ein Kringelchen in
mei - ne - Hand!

Kurt Tucholsky

Kurt Tucholsky (1890 – 1935) dt. Schriftsteller, Journalist, Literatur- und Theaterkritiker der Zeitschrift. Zählt zu den bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik.

aus: Tucholsky, Erstveröffentlichung erfolgte 1931 im ernst Rowohlt Verlag, Berlin. Berlin.

Wo es Schönheit gibt

Wo es Schönheit gibt, da gibt es auch Hässlichkeit,
wo es Richtig gibt, da gibt es auch Falsch.
Weisheit und Ungissenheit bedingen einander,
Illusion und Erleuchtung kan man nicht trennen.
Dies ist eine alte Wahrheit;

Ryōkan Taigu

Ryōkan Taigu (1758 – 1931) Zen-buddhistischer Mönch der japanischen Sōtō-shū

Ich hatt einst ein Blümchen

Ich hatt‘ einst ein Blümchen

Ich hatt‘ einst ein Blümchen, so lieblich und hold,
Wohl that ich das Blümchen versorgen;
Ich hütet‘ es baß, wie Demanten und Gold,
Und schaut‘ es am Abend und Morgen.

Voll‘ Freude bemerkt‘ ich, wie schön es gedieh,
Doch währte die Freude nicht lange
Es senkte das Häuptchen und duftete nie:
Mir ward um das Blümchen so bange.

Da kam einst ein Mädchen im Garten zu mir
Ich ließ es ja gerne geschehen;
Stolz hob sich das Blümchen, und prangte vor ihr,
Nie hatt‘ ich so schön es gesehen.

Schnell bückt‘ sich das Mädchen und pflückt‘ es für sich,
Mir waren die Sinne geschwunden;
Nicht Worte, nicht Lieder beschreiben, was ich
Bei diesem Verluste empfunden.

Ich konnte nicht klagen, doch thränenvoll hing
Mein Auge noch lang an der Stelle;
Da hört‘ ich ein Stimmchen, als wimmernd ich ging,
Es tönte so silbern und helle.

Du pflegtest ein Blümchen zwar lieblich und schön,
Doch lohnt es die Pflege nur selten:
Denn Männertreu heißt es, meist wirst du es sehn
Die Liebe mit Undank vergelten.

Therese von Artner

Therese von Artner (1772 – 1829), ungarische-deutsche Schriftstellerin