Schöne Individualität

Durch die Vernunft bist du eins

Einig sollst du zwar seyn,
doch Eines nicht mit dem Ganzen,
Durch die Vernunft bist du eins ,
einig mit ihm durch das Herz.
Stimme des Ganzen ist deine Vernunft,
dein Herz bist du selber,
Wohl dir, wenn die Vernunft immer im Herzen dir wohnt

Friedrich Schiller

Friedrich Schiller (1759 – 1805), deutscher Dichter, Philosoph, Arzt, Historiker, Essayist.

Wahrheit und Wort

Die Wahrheit ist ein Strahl aus Überwelten

Wahrheit und Wort

Die Wahrheit ist ein Strahl aus Überwelten,
Der plötzlich einbricht in die Selbstversenkung.
Wir schaudern vor der himmlischen Beschenkung,
Wenn sie uns trifft, unangesagt und selten.

Im Geiste ringt, dem unbewußt erhellten,
Der reine Strahl nach wörtlicher Erdenkung.
Doch leiden muß er Beugung, Brechung, Schwenkung,
Wie jedes Licht, entsandt von Sternenzelten.

Die Sprache gleicht der Erden-Atmosphäre,
Kein Wesen lebte hier, wenn sie nicht wäre;
So kann der Geist auch nie dem Wort entrinnen.

Ihn trifft der Strahl. Der Sternenhimmel schickt ihn.
Der Dunst der Sprache aber bricht und knickt ihn
Und was er kündet, läßt sich kaum gewinnen.

Franz Werfel

Franz Viktor Werfel (1890 – 1945) österreichischer Schriftsteller. Beeinflusste den lyrischen Expressionismus nachhaltig

Erster Frühling

Auf dem noch unüberkieselten Weg liegt Laub

Erster Frühling

Seht man heut durch den Stadtpark, ist das Stroh von den Beeten weg,
Und schon schwillt stellenweise aus dem Braun des Rasens ein grüner Fleck.

Auf dem noch unüberkieselten Weg liegt Laub, Spreu und anderes Zeug verstreut.
Ihr starken Luftgeräusche! Woran erinnere ich mich heut'?

An mein Kinderzimmer, wenn jemand an der Nähmaschine saß.
Vergessenes Duett: Nähmaschine und fistelndes Gas!

Lagen da nicht auch, wie heute, Laub, Spreu und anderes mehr, -
Bunte Streifen, Flicken, Bänder, Volants und Seidenreste umher?

Franz Werfel

Franz Viktor Werfel (1890 – 1945) österreichischer Schriftsteller. Beeinflusste den lyrischen Expressionismus nachhaltig

der Dichter

Ich, nur ich bin aus Glas

Der Dichter

Ich, nur ich bin wie Glas
Durch mich schleudert die Welt ihr schäumendes Übermaß.

Die Ähren sind wie Eisen und Holz
Auf ihren festen Charakter, die Unduchstrahlbarkeit stolz.

Manchmal schaun sie zu mir hin
Und sehn mich nur, wenn ich vom durchbringenden Strom blind und qualmig bin.

Franz Werfel

Franz Viktor Werfel (1890 – 1945) österreichischer Schriftsteller. Beeinflusste den lyrischen Expressionismus nachhaltig

An*

sanftes Herz, das mein gedacht

Ach, wie ist´s möglich dann,
Daß ich dich lassen kann!
Hab dich so herzlich lieb,
Das glaube mir!
Du hast das Herze mein
Ganz mir genommen ein,
Daß ich kein andre lieb,
Als dich allein!

Blau blüht ein Blümelein,
Das heißt Vergiß nicht mein,
Das Blümelein leg ans Herz,
Und denk an mich!
Stirbt Blum´ und Hoffnung gleich,
Wir sind an Liebe reich,
Denn die stirbt nicht bei mir,
Das glaube mir!

Wär´ ich ein Vögelein,
Bald wollt´ ich bei dir sein,
Scheut´ Falk´ und Habicht nicht,
Flög´ schnell zu dir.
Schöß mich ein Jäger tot,
Fiel´ ich in deinen Schoß,
Sähst du mich traurig an,
Gern stürb´ ich dann! 

Helmina von Chézy

Wilhelmine Christiane de Chézy (1783 – 1856), deutsche Dichterin, Schriftstellerin, Journalistin, Librettistin

Seelenklänge der Freundschaft

Ich bin so reich in deinem Angedenken

Seelenklänge der Freundschaft

Ich bin so reich in deinem Angedenken,
Daß ich mich nimmer kann ganz einsam nennen,
Nur wenn ich ganz mich kan hinein versenken,
Vergeß ich es, daß Tal und Flut uns trennen.
Will mir die Welt die eitlen Freuden schenken,

Ich fliehe sie, und mag sie nimmer kennen,
Welt, Himmel, Lenz und Liebe sind vereint,
Wo mir dein Bild, ein süßer Stern, erscheint. 

Helmina von Chézy

Wilhelmine Christiane de Chézy (1783 – 1856), deutsche Dichterin, Schriftstellerin, Journalistin, Librettistin

An Adolph Selmnitz

ein Ort – wohin wir ziehen

An Adolph Selmnitz

Was paßt, das muß sich ründen,
Was sich versteht, sich finden,
Was gut ist, sich verbinden,
Was liebt, zusammensein.
Was hindert, muß entweichen,
Was krumm ist, muß sich gleichen,
Was fern ist, sich erreichen,
Was keimt, das muß gedeihn.

Gib traulich mir die Hände,
Sei Bruder mir und wende
Den Blick vor Deinem Ende
Nicht wieder weg von mir.
Ein Tempel – wo wir knien –
Ein Ort – wohin wir ziehen
Ein Glück – für das wir glühen
Ein Himmel – mir und dir.

Novalis

Georg Philipp Friedrich Leopold Freiherr von Hardenberg (1772 – 1801), deutscher Lyriker

Ein Herbstblatt, das nicht fallen will

Wird’s der Frühling blütenvoll

Ein Herbstblatt, das nicht fallen will

Ausgeweht hat milder West,
Herbstblatt bringt trübe Wetter,
Schüttle, Baum den welken Rest
Deiner letzten Blätter.

Offen ist einmal das Grab,
Alles geht zur Neige,
Streif' auch du dies Blättchen ab
Vom erstorb'nen Zweige!

Gehe hin, was sterben soll!
Aus des Winters Decken
Wird's der Frühling blüthenvoll
Um so früher wecken!

Karl Ferdinand Gutzkow

Karl Ferdinand Gutzkow (1811 – 1878), deutscher Schriftsteller, Journalist und Dramatiker

Meine Lust ist Leben

Gute Nacht, ihr Freunde, ach, wie lebt ich gern!
Dass die Welt so schön ist, dankt' ich dem Herrn.
Dass die Welt so schön ist, tut mir bitter weh,
wenn ich schlafen geh!

Ach, wie möcht' ich einmal noch von Bergeshöhn
meine süße Heimat sonnbeleuchtet sehn!
Und den Herrn umarmen in des Himmels Näh',
eh' ich schlafen geh.

Wie man abends Kinder ernst zu Bette ruft,
führt der Herr mich schweigend in die dunkle Gruft.
Meine Lust ist Leben, doch sein Will' gescheh',
dass ich jetzt schlafen geh'.

Peter Rosegger

Peter Rosegger (1843 – 1918), Pseudonym P. K., Petri Kettenfeier, österreichischer Volksschriftsteller und Erzähler, Autodidakt, begann als Wanderschneider

Ich freue jeden Tag

Ich freue mich durch des Jahres

Ich freue mich jeden Tag

Ich freue mich jeden Tag dem Abend mich entgegen,
Und jede Nacht im Traum mich auf den Morgensegen.

Ich freue still mich mit unungestürmter Lust,
Nicht ungeduldig ist die Freud' in meiner Brust.

Ich freu' mich auf die Stund' und auf den Augenblick,
Auf groß und kleines, mein und anderer Geschick.

Vom Herbst den Winter durch freu' ich dem Lenz mich zu,
Und aus dem Sommer durch den Herbst zur Winterruh.

Ich freu' mich durch des Jahres und durch des Lebens Zeit,
Und aus der Zeit hinaus mich in die Ewigkeit.

Friedrich Rückert