An Doris

Zwei schöne Tage sind verloren

An Doris

Zwei schöne Tage sind verloren,
Ich sah' an ihnen Doris nicht!
Ich sah' in ihrer Pracht Auroren,
In ihrer Schönheit sah' ich Floren,
Sah Luna's sanftes Silberlicht,
Doch meine Doris sah' ich nicht;
Zwei schöne Tage sind verloren!

Ach hätt' ich doch die Tage wieder,
Wie schöner noch mit ihr, mit ihr!
Mit ihr säng' ich Autoren Lieder,
Die Grazien und ihre Brüder,
Die Liebesgötter alle hier,
Umarmen sie und dienten ihr!
Ach, hätt ich doch die Tage wieder!

J. W. L. Gleim

Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) deutscher Dichter, Sekretär, Fabeldichter, Schriftsteller, Aufklärer

Die Rose

Mein erster Kuss und diese Rose, schön

Die Rose

Wenn meine Doris diese Rose nimmt,
Die in der liebe Feuerfarbe glimmt,
Dann hoff' ich wird sie sich bequemen,
Den ersten Kuss von mir zu nehmen.

Mein erster Kuss und diese Rose, schön,
Wie Doris, mögen dann zusammen gehen,
Wie zwei vertraute gute Seelen,
Und ihrer Liebe mich empfehlen!

J. W. L. Gleim

Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) deutscher Dichter, Sekretär, Fabeldichter, Schriftsteller, Aufklärer

An drei schöne Mädchen

An euch, ihr Grazien, aus euch

An drei schöne Mädchen

Aus euch, ihr Grazien, aus euch
Soll ich die Liebste mir erwählen?
Ihr seht einander ja so gleich:
Die Schönste kann ich nicht verfehlen!
Allein, ihr Grazien, aus euch
Möcht' ich die Zärtlichste mir wählen,
Und ach, die Zärtlichste von euch,
Die könnt' ich nur zu leicht verfehlen! 

J. W. L. Gleim

Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) deutscher Dichter, Sekretär, Fabeldichter, Schriftsteller, Aufklärer

Amor ein Vogel

Sieh‘, wie dort ein kleiner Vogel

Amor ein Vogel

Sieh’, wie dort ein kleiner Vogel

Auf dem Myrthenzweige sitzt,

Lauschend in die Ferne siehet

Und den Mund zum Pfeifen spitzt! 

Denkt er Mädchen, deren Busen

Nicht sein schärfster Pfeil durchdrang,

Hier im Garten zu besiegen

Mit harmonischem Gesang?

 
O, du holder kleiner Vogel,

Meine Magdalis ist hier:

Pfeif’ ein Liedchen, liebster Vogel,

Und ihr Herz erpfeife mir!

J. W. L. Gleim

Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) deutscher Dichter, Sekretär, Fabeldichter, Schriftsteller, Aufklärer

An feinen Blumen

Ihr, meine Blümchen blühet da

An feinen Blumen

Ihr, meine Blümchen, blühet da
Für meinen Geist und mein Gesicht;
O blühet fort und welkt doch ja
In diesen dreien Tagen nicht!

In diesen dreien Tagen will,
Zu meinem himmlischen Entzücken,
Begleitet von den Musen, still
Mein Mädchenkommen und euch pflücken!


J. W. L. Gleim

Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) deutscher Dichter, Sekretär, Fabeldichter, Schriftsteller, Aufklärer

Dämmerstunde

Im Nebenzimmer saßen ich und du

Dämmerstunde

Im Nebenzimmer saßen ich und du;
Die Abendsonne fiel durch die Gardinen,
Die fleißigen Hände fügten sich der Ruh,
Von rotem Licht war deine Stirn beschienen.

Wir schwiegen beid'' ich mußte mir kein Wort.
Das in der Stunde Zauber mochte taugen;
Nur nebenan die Alten schwatzten fort -
Du sahst mich an mit deinen Märchenaugen.

Theodor Storm

Hans Theodor Woldsen Storm (1817 – 1888), deutscher Jurist, Dichter und Novellist

Das Harfenmädchen

Und wenn dir die Mutter zu singen

Das Harfenmädchen

Das war noch im Vaterstädtchen;
Du warst gar zierlich und jung,
Ein süß schwarzäugiges Dirnlein,
Zur Liebe verständig genung.

Und wenn dir die Mutter zu singen
Und Harfe zu spielen gebot,
So scheutest du dich vor den Leuten
Und klagtest mir heimlich die Not.

"Wann treff ich dich wieder und wo doch?" -
"Am Schlosse, wenn's dunkel ist."
Und abends bin ich gekommen
Und habe dich fröhlich geküßt.

Sind sieben Jahre vergangen,
Daß ich dich nicht gesehn;
Wie bleich sind doch deine Wangen,
Und waren so blühend und schön!

Wie greifst du so keck in die Saiten
Und schaust und äugelst umher!
Das sind die kindlich scheuen,
Die leuchtenden Augen nicht mehr.

Doch kann ich den Blick nicht wenden,
Du einst so reizende Maid;
Mir ist, als schaut ich hinüber
Tief, tief in vergangene Zeit.

Theodor Storm

Hans Theodor Woldsen Storm (1817 – 1888), deutscher Jurist, Dichter und Novellist

Mondlicht

Mondlicht

Wie liegt im Mondenlichte
Begraben nun die Welt;
Wie selig ist der Friede,
Der sie umfangen hält!

Die Winde müssen schweigen,
So sanft ist dieser Schein;
Sie säuseln nur und weben
Und schlafen endlich ein.

Und was in Tagesgluten
Zur Blüte nicht erwacht,
Es öffnet seine Kelche
Und duftet in die Nacht.

Wie bin ich solchen Friedens
Seit lange nicht gewohnt!
Sei du in meinem Leben
Der liebevolle Mond!

Theodor Storm

Hans Theodor Woldsen Storm (1817 – 1888), deutscher Jurist, Dichter und Novellist

Hyazinthen

Fern hält Musik; doch hier ist stille Nacht

Hyazinthen

Fern hallt Musik; doch hier ist stille Nacht,
Mit Schlummerduft anhauchen mich die Pflanzen.
Ich habe immer, immer dein gedacht;
Ich möchte schlafen, aber du mußt tanzen.

Es hört nicht auf, es rast ohn Unterlaß;
Die Kerzen brennen und die Geigen schreien,
Es teilen und es schließen sich die Reihen,
Und alle glühen; aber du bist blaß.

Und du mußt tanzen; fremde Arme schmiegen
Sich an dein Herz; o leide nicht Gewalt!
Ich seh dein weißes Kleid vorüberfliegen
Und deine leichte, zärtliche Gestalt. - -

Und süßer strömend quillt der Duft der Nacht
Und träumerischer aus dem Kelch der Pflanzen.
Ich habe immer, immer dein gedacht;
Ich möchte schlafen, aber du mußt tanzen.

Theodor Storm

Hans Theodor Woldsen Storm (1817 – 1888), deutscher Jurist, Dichter und Novellist

Weiße Rosen

Weiße Rosen

1

Du bissest die zarten Lippen wund,
Das Blut ist danach geflossen;
Du hast es gewollt, ich weiß es wohl,
Weil einst mein Mund sie verschlossen.

Entfärben ließt du dein blondes Haar
In Sonnenbrand und Regen;
Du hast es gewollt, weil meine Hand
Liebkosend darauf gelegen.

Du stehst am Herd in Flammen und Rauch,
Daß die feinen Hände dir sprangen;
Du hast es gewollt, ich weiß es wohl,
Weil mein Auge daran gehangen.

2

Du gehst an meiner Seite hin
Und achtest meiner nicht;
Nun schmerzt mich deine weiße Hand,
Dein süßes Angesicht.

O sprich wie sonst ein liebes Wort,
Ein einzig Wort mir zu!
Die Wunden bluten heimlich fort,
Auch du hast keine Ruh.

Der Mund, der jetzt zu meiner Qual
Sich stumm vor mir verschließt,
Ich hab ihn ja so tausendmal,
Vieltausendmal geküßt.

Was einst so überselig war,
Bricht nun das Herz entzwei;
Das Aug, das meine Seele trank,
Sieht fremd an mir vorbei.

3

So dunkel sind die Straßen,
So herbstlich geht der Wind;
Leb wohl, meine weiße Rose,
Mein Herz, mein Weib, mein Kind!

So schweigend steht der Garten,
Ich wandre weit hinaus;
Er wird dir nicht verraten,
Daß ich nimmer kehr nach Haus.

Der Weg ist gar so einsam,
Es reist ja niemand mit;
Die Wolken nur am Himmel
Halten gleichen Schritt.

Ich bin so müd zum Sterben;
Drum blieb' ich gern zu Haus
Und schliefe gern das Leben
Und Lust und Leiden aus.

Theodor Storm

Hans Theodor Woldsen Storm (1817 – 1888), deutscher Jurist, Dichter und Novellist