Der Klapperstorch

Was klappert im Hause so laut? horch, horch!

Der Klapperstorch

1.
Was klappert im Hause so laut? horch, horch!
Ich glaub', ich glaube, das ist der Storch.

Das war der Storch. Seid, Kinder, nur still,
Und hört, was gern ich erzählen euch will.

Er hat euch gebracht ein Brüderlein
Und hat gebissen Mutter in's Bein.

Sie liegt nun krank, doch freudig dabei,
Sie meint, der Schmerz zu ertragen sei.

Das Brüderlein hat euer gedacht,
Und Zuckerwerk die Menge gebracht,

Doch nur von den süßen Sachen erhält,
Wer artig ist und still sich verhält.


2.
Und als das Kind geboren war,
Sie mußten der Mutter es zeigen;
Da ward ihr Auge voll Thränen so klar,
Es strahlte so wonnig, so eigen.

Gern litt ich und werde, mein süßes Licht,
Viel Schmerzen um dich noch erleben.
Ach! lebt von Schmerzen die Liebe nicht,
Und nicht von Liebe das Leben!


3.
Der Vater kam, der Vater frug nach seinem Jungen,
Und weil der Knabe so geweint,
So hat ihm auch der Alte gleich ein Lied gesungen,
Wie er's im Herzen treu gemeint.

Als so ich schrie, wie du nun schreist, die Zeiten waren
Nicht so, wie sie geworden sind,
Geduld, Geduld! und kommst du erst zu meinen Jahren,
So wird es wieder anders, Kind!

Da legten sie, mit gläub'gem Sinn, zu mir dem Knaben
Des Vaters Wappenschild und Schwerdt;
Mein Erbe war's, und hatte noch, und sollte haben
Auf alle Zeiten guten Werth.

Ich bin ergraut, die alte Zeit ist abgelaufen,
Mein Erb' ist worden eitel Rauch.
Ich mußte, was ich hab' und bin, mir selbst erkaufen,
Und du, mein Sohn, das wirst du auch. 

Adelbert von Chamisso (1830)

Louis Charles Adélaïde de Chamissot de Boncourt (1781 – 1838), deutscher Dichter und Naturforscher

Das Mädchen

Uns sie soll in ihrer Wiege

Das Mädchen

Mutter, Mutter! meine Puppe
Hab' ich in den Schlaf gewiegt,
Gute Mutter, komm und siehe,
Wie so englisch sie da liegt.

Vater wies mich ab und sagte:
Geh', du bist ein dummes Kind!
Du nur, Mutter, kannst begreifen,
Welche meine Freuden sind.

Wie du mit den kleinen Kindern,
Will ich Alles mit ihr thun,
Und sie soll in ihrer Wiege
Neben meinem Bette ruh'n.

Schläft sie, werd' ich von ihr träumen,
Schreit sie auf, erwach' ich gleich, –
Meine himmlisch gute Mutter,
O wie bin ich doch so reich!

Adelbert von Chamisso (1830)

Louis Charles Adélaïde de Chamissot de Boncourt (1781 – 1838), deutscher Dichter und Naturforscher

Der Knabe

Gehört vom Lindwurm habt ihr oft

Der Knabe

Gehört vom Lindwurm habt ihr oft,
Ihr meine Spielgesellen,
Nun wird es wahr, was ich gehofft,
Den Drachen werd' ich fällen.
Er liegt gekrümmt am dunklen Ort
Im kleinen Schrank am Spiegel dort,
Da hat er seine Höhle.

Ihr seid die beiden Doggen traut,
Die ich zum Kampfe brauche,
Ich treib' euch an, ihr heulet laut
Und packt ihn unterm Bauche.
Ich geh' mit Schwert und Schild voran,
Mit Helm und Panzer angethan,
Und schrei' ihn aus dem Schlafe.

Hervor! hervor! du Höllenbrut!
Da, seht den grimmen Drachen!
Hu! wie er Feuer speit und Blut
Aus weit gesperrtem Rachen!
Wir kamen unbedachtsam nicht
Zu diesem Strauß, thut eure Pflicht,
Ihr meine guten Doggen.

Und schnappt er gierig erst nach mir,
Ich werd' ihn listig fassen,
Die aufgehäuften Bücher hier
Sind schwere Felsenmassen,
In seinen Rachen werf' ich sie,
Du Untier, erst verschlucke die,
Bevor du mich kannst beißen.

Die Schlacht beginnt, wohl aufgepaßt!
Wir wollen Gutes hoffen;
Er denkt: er hält mich schon gefaßt,
Sein weites Maul ist offen, –
Der dicke Scheller fliegt hinein,
Die andern folgen, groß und klein,
Der Bröder und der Buttmann.

O Buttmann! o was thust du mir,
Du dummer, zum Verderben?!
Du triffst den Spiegel, nicht das Tier,
Da liegen, ach, die Scherben!
Der dumme Spiegel nur ist schuld,
Und tragen soll ich in Geduld
Deshalb noch viele Schläge.

Das Glück hat feindlich sich erprobt,
Getrost, ihr Spielgesellen;
Ich werde, wenn der Meister tobt,
Mich selbst für alle stellen.
Er schlage mich nach Herzenslust,
Daß er es kann, ist mir bewußt,
Doch wird es so nicht dauern.

Ich bin auf immer nicht ein Kind,
Es wird das Blatt sich wenden.
Die durch die Rute mächtig sind,
Die Ruten werden enden.
Ich hab' als Kind den Schwur gethan,
Und bin ich erst erwachs'ner Mann,
Dann weh' den Rutenführern!

Adelbert von Chamisso (1830)

Louis Charles Adélaïde de Chamissot de Boncourt (1781 – 1838), deutscher Dichter und Naturforscher

Küssen will ich, ich will küssen

Gibst du einen Kuss mir nur

Freund, noch einen Kuss mir gib,
Einen Kuss von deinem Munde,
Ach! ich habe dich so lieb!
Freund, noch einen Kuss mir gib.
Werden möcht ich sonst zum Dieb,
Wärst du karg in dieser Stunde;
Freund, noch einen Kuss mir gib,
Einen Kuss von deinem Munde.

Küssen ist ein süßes Spiel,
Meinst du nicht, mein süßes Leben?
Nimmer ward es noch zu viel,
Küssen ist ein süßes Spiel.
Küsse, sonder Zahl und Ziel,
Geben, nehmen, wiedergeben,
Küssen ist ein süßes Spiel,
Meinst du nicht, mein süßes Leben?

Gibst du einen Kuss mir nur,
Tausend geb ich dir für einen.
Ach wie schnelle läuft die Uhr,
Gibst du einen Kuss mir nur.
Ich verlange keinen Schwur,
Wenn es treu die Lippen meinen,
Gibst du einen Kuss mir nur,
Tausend geb ich dir für einen.

Flüchtig, eilig wie der Wind,
Ist die Zeit, wann wir uns küssen.
Stunden, wo wir selig sind,
Flüchtig, eilig wie der Wind!
Scheiden schon, ach so geschwind!
Oh, wie werd ich weinen müssen!
Flüchtig, eilig wie der Wind,
Ist die Zeit, wann wir uns küssen.

Muss es denn geschieden sein,
Noch nur einen Kuss zum Scheiden!
Scheiden, meiden, welche Pein!
Muss es denn geschieden sein?
Lebe wohl, und denke mein,
Mein in Freuden und in Leiden,
Muss es denn geschieden sein,
Noch nur einen Kuss zum Scheiden!

Adelbert von Chamisso (1829)

Louis Charles Adélaïde de Chamissot de Boncourt (1781 – 1838), deutscher Dichter und Naturforscher

Seit ich ihn gesehen

Sonst ist licht – und farblos

Seit ich ihn gesehen,
glaub’ ich blind zu sein;
wo ich hin nur blicke,
seh’ ich ihn allein;
wie im wachen Träume
schwebt sein Bild mir vor,
taucht aus tiefstem Dunkel
heller nur empor.

Sonst ist licht- und farblos
alles um mich her,
nach der Schwestern Spiele
nicht begehr’ ich mehr,
möchte lieber weinen
still im Kämmerlein;
seit ich ihn gesehen,
glaub’ ich blind zu sein. 


Adelbert von Chamisso (1830)

Louis Charles Adélaïde de Chamissot de Boncourt (1781 – 1838), deutscher Dichter und Naturforscher

An meinem Herzen, an meiner Brust

Du meine Wonne, du meine Lust

An meinem Herzen, an meiner Brust,
Du meine Wonne, du meine Lust!
Das Glück ist die Liebe, die Lieb ist das Glück,
Ich hab's gesagt und nehm's nicht zurück.
Hab überschwenglich mich geschätzt
Bin überglücklich aber jetzt.

Nur die da säugt, nur die da liebt
Das Kind, dem sie die Nahrung gibt;
Nur eine Mutter weiß allein
Was lieben heißt und glücklich sein.

O, wie bedaur' ich doch den Mann,
Der Mutterglück nicht fühlen kann!
Du lieber, lieber Engel, du
Du schauest mich an und lächelst dazu!

An meinem Herzen, an meiner Brust,
Du meine Wonne, du meine Lust!


Adelbert von Chamisso (1830)

Louis Charles Adélaïde de Chamissot de Boncourt (1781 – 1838), deutscher Dichter und Naturforscher

Glück

Wo man mit Ernst beginnt ein Werk zu treiben

Wo man mit Ernst beginnt ein Werk zu treiben;
wo man die schlaffe Trägheit niederhält;
wo zu der Klugheit sich der Mut geselltl;
da wohnt das Glück - da will es bleiben.

Panchatantra

Panchatantra: altindische Dichtung in fünf Büchern. Enstehung: zwischen dem späten 3. und 6. Jahrhundert n. Chr. Eine Sammlung moralischer Fabeln, Geschichten, Gedichten, Tiergeschichten. Es wurde im indo-persischen Kulturkreis zur Erziehung der Prinzen benutzt.

Nicht der Hochmut

Lehren Tugend

Nicht der Hochmut, nicht die Eigenliebe,
Nein, vom Himmel eingepflanzte Triebe
Lehren Tugend, und daß ihre Korne
Selbst sie belohne.

Albrecht von Haller

Albrecht Viktor Haller (1708 – 1777), Schweizer Mediziner, Anantom, Naturforscher, Enzyklopädist, Dichter, Bibliograf

Der Pöbel

Er glaubt kräftiger, je weniger er weiß

Der Pöbel hat sich nie zu denken unterwunden,
Er sucht die Wahrheit nicht, und hat sie doch gefunden:
Sein eigner Beifall ist sein bündigster Beweis,
Er glaubt kräftiger, je weniger er weiß.
Ihm wird der weiseste zu schwache Stricke legen,
Er spricht ein trotzig Ja, und löst sich mit dem Degen.

Albrecht von Haller

Albrecht Viktor Haller (1708 – 1777), Schweizer Mediziner, Anantom, Naturforscher, Enzyklopädist, Dichter, Bibliograf

Aquarium

Ach, meine Wünsche tragen

Aquarium

Ach, meine Wünsche tragen
Die Seele nicht mehr an den Strand der Lider
Zur Ebbe von Gebet und Klagen
Sank sie hernieder.

Tief im geschlossenen Auge sie ruht.
Nur ihr Odem treibt matt und weiss
Noch empor an den Rand der Flut
Lilien von Eis ...

Ihre Lippen im Schmerzabgrunde
Schliesst unendliches Wellenspiel;
Und doch blühen aus ihrem Munde
Blumen auf blauem Stil.

Vor ihren Händen mein Blick erbleicht, 
Wenn er der Lilien Spur nachzieht,
Die, von einander unerreicht, Sich tot geblüht.

Und ich weiss, dass der Tod ihr naht,
Faltet sie nur ihre matten Hände,
Allzu schwach zu der Blumen Mahd,
Die keiner mehr fände ...

Maurice Maeterlinck

Graf Maurice (Moorien) Polidore Marie Bernhard Maeterlinck (1862 – 1949) belgischer Schriftsteller, Dramatiker. Literaturnobelpreis 1911.