Lehnt nicht dort die einst Geliebte?
Lehnt nicht dort die einst Geliebte?
Vor so heitre, nun Getrübte - - -
Ach, die holden Züge seh'n!
Ja, sie ist noch immer schöne!
Wird dir doch so alt, so eigen!
Fühlst - wie einst - die Brust dir steigen -
Und du liebst sie doch nicht mehr!
Herz, o Herz, wer kennt dich? Wer!
Christian Friedrich Hebbel
Christian Friedrich Hebbel (1813 – 1863), deutscher Dichter, Dramatiker, Lyriker
aus: „Leopold Schefer’s ausgewählte Werke‘ von Leopold Schefer. Verlag: Veit und Comp. Berlin, 1845. XVI. Verwandlung. Seite 330
Der Sonne schau' am Morgen, schau' am Abend!
Zur Sonne schau' am Morgen, schau' am Abend!
Die Sonne kennt dich nicht, sie sieht dich nicht.
Und tut dir doch so wohl und will dir wohltun.
Sie wirft mir ungeheuer Kraft hinaus
Ins Blaue! Tut sie Gutes nur ins Blaue?
Sie trifft! Sie wächst in Menschen und in Blumen
Und Blüten bis in tiefsten Meeresgrund,
Und nicht ein Strahl geht irgendwo verloren!
Und mußt du kennen, wem du wohltun sollst?
Den Fremden, Fernen weigerst du die Liebe?
Den spätern Menschen und den spätern Blumen?
Und kennst du wirklich auch den Menschen so,
Der vor dir steht? Und wär' er kein Geheimnis,
Er würd' es dir. Denn bist du ganz erfüllt
Für ihn von Lie' und Güte, glaube nur,
Dann siehst du ihn nicht, wie die Sonne dich nicht,
Vor himmelischwarmer Glut und reinem Licht,
Bedarfst du sein nur freudig: daß er sei!
Die Rose ist für ihren Duft schön herrlich
Belohnet durch ihren Düften; und die Sonne
Für ihr Erleuchten durch das Licht! Der Mensch
Ist für das Lieben durch die Liebe reich
Belohnt, der Mensch ist für das Leben voll
Belohnt durch leben. Lerne das am Himmel!
Und lerne das auf Erden, selbst vom tun!
Darum unterscheide keinen, der da lebt!
Nicht den, der deinen Feind sich nennt, noch Freund;
Drum unterscheide nichts, was lebt; die Frucht nicht
Vom Baume, noch den Hirten von der Herde,
Das Lamm vom Grafe nicht, das Gras vom Tau,
Den Tau von seinem Glanz und Schein. Steh' mitten
Im All der Liebe! lebe, liebe nur!
Der Sonne schau' am Morgen, schau' am Abend!
Christian Friedrich Hebbel
Christian Friedrich Hebbel (1813 – 1863), deutscher Dichter, Dramatiker, Lyriker
aus: „Laienbrevier“ von Leopold Schefer. Verlag: Veit und Comp., Berlin, 1837. Juli. XV. Seite 28 – 29
Hoffnung
Verzehre dich ein Gram, so hebe seine
Ursache erst, dann wird dein Gram verschwinden.
Vergangenes nur läßt seine Hülle zu.
Dem gegenwärt'gen Übel gibt es immer
Noch einen Arzt; darum so lang' du leidest,
So lang' auch hoffe noch! Das größte Glück
Der Sterblichen bleibt immer Hoffnung, Hoffnung!
Leopold Schefer
Christian Friedrich Hebbel (1813 – 1863), deutscher Dichter, Dramatiker, Lyriker
aus: „Laienbrevier“ von Leopold Schefer. Verlag: Veit und Comp., Berlin, 1837. Januar. VI. Seite 8
Was wollt‘ ihr, Gedanken, die in furchtbarer Gebehrdung
Gedanken der Eifersucht.
Was wollt’ ihr, Gedanken, die in furchtbarer Gebehrdung
Mein verwirrtes Gemüth regen und schwellen empor?
Seyd ihr Argwohn? Schleichet in mir vom Haar der Alecto
Eine Schlange, die sich Furie-Eifersucht nennt?
Ach, ich fühle den Frost der Hölle mir nahe dem Herzen;
Mir entweicht der Vernunft ruhiger goldener Stral.
Sage, was that ich dir, o Liebe, daß du mich also
Quälest? Oder war ich deiner Geschenke nicht werth?
Fandest du treulos mich, mich, deine Getreueste? – Göttinn,
Nimm die Quaalen von mir, sende der Schuldigen sie.
Johann Gottfried Herder
Johann Gottfried Herder (1744 – 1803), deutscher Übersetzer, Dichter, Schriftsteller, Theologe, Philosoph, Denker
aus: „Johann Gottfried Herder, Zerstreute Blätter 6, 1797. Gedichte und Reime. Seite 21 – 22
Fesseln der Liebe.
„Wie? Du glaubetest Dich, du scheue Stolze,
den Pfeilen
Meines Bogens entrückt? Wolltest
entfliehen der Macht,
Der die Götter gehorchen und alle Sterbliche
dienen;
Sieh’, hier Ketten für dich, Fesseln und
Bande bereit.“
So sprach Amor, und gab mir sanfte Ketten.
Die Fessel
Ward zum lohnenden Kranz, zum Diademe
das Band.
Johann Gottfried Herder
Johann Gottfried Herder (1744 – 1803), deutscher Übersetzer, Dichter, Schriftsteller, Theologe, Philosoph, Denker
aus: „Johann Gottfried Herder, Zerstreute Blätter 6, 1797. Gedichte und Reime. Seite 9
Frühe Sonne, frühe Sonne,
Ach, wo bist du hingefunden!
All des Tages Jugendwonne
Ist im Morgenrot etrunken.
Deine wundersel'gen Augen,
Inseln aus des Himmels Seen,
Sah ich steigen, untertauchen
In den Morgens erstem Weh'n.
Und es steigt ein Nebelschleier
Übers tiefe, stille Blau;
Eine einsame tiefe Feier
Breitet sich durch Wald und Au'.
ruhig unbewegte Bäume;
Kein Gesang, kein Blattgeräusch!
Spinnet ihr die nächt'gen Träume
Wieder an, ihr Blumen keusch?
O Bolgna, dein Zinnen,
Die gelacht im Sonnenstrahl,
Seh`ich bösen Schmuck gewinnen:
Schwarze Flaggen überall!
Clemens von Bretano
Clemens Wenzeslaus Bretano (1778 – 1842), deutscher Schriftsteller
aus: „Seite 373, „Sämtliche Werke“ von Clemens Brentano. Verlag: Müller, München, 1909. Zwnaziste Romanze, Rosarosens Leichenzug, Seite 373
Die Gnade sprach von Liebe,
Die Ehre aber wacht
Und wünscht voll Lieb' der Gnade
In Ehren gute Nacht.
Die Gnade nimmt den Schlelier,
Wenn Liebe Rosen gibt,
Die ehre grüßt den Freier,
Weil sie die Gnade liebt.
Clemens von Bretano
Clemens Wenzeslaus Bretano (1778 – 1842), deutscher Schriftsteller
aus: „Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Annerl“ von Clemens Brentano. Verlag: C. Flemming und C. T. Wiskott, Berlin, 1838. Seite 36 – 37
Die Vögel
Wie lieblich und fröhlich,
Zu schweben, zu singen;
Von glänzender Höhe
Zur Erde zu blicken!
Die Menschen sind töricht,
Sie können nicht fliegen;
Sie jammern in Nöten,
Wir flattern gen Himmel.
Der Jäger will töten,
Dem Früchte wir pickten;
Wir müssen ihn höhnen,
Und Beute gewinnen.
Friedrich Schlegel
Karl Wilhelm Friedrich von Schlegel (1772 – 1829), deutscher Schriftsteller, Literatur- und Kunstkritiker, Kulturphilosoph, Altphilologe, Platoniker
aus: „Musen-Almanach für das Jahr 1802“ herausgegeben von August Wilhelm Schlegel (1767 – 1845) und Ludwig Tieck (1773 – 1853). Tübingen in der Gotta’schen Buchhandlung, 1802. Seite 135
Der Mond
Es streben alle Kräfte,
So matt sie sind, zur Erde doch zu wirken.
In den ew'gen Bezirken
Der schönen Welt ist das nur mein Geschäfte;
Das muß ohnmächtig immer ich versuchen,
Und traurig dem beschränkten Lose fluchen.
Seht ihr mich milde glänzen,
Und warme Sommernächte schön erhellen,
Wo leise Freudewellen
Der Erde Kinder kühlen nach den Tänzen;
Sind's Sonnengeister nur, die sanfter spielen.
Mein eignes Wesen könnt ihr so nicht fühlen.
Doch wenn ich seltsam scheine,
Aus dunkeln Wolken ängstlich vorgeschlichen;
Dann ist die Hüll' entwichen,
Es merkt der Mensch mit Schaudern, was ich meine.
So zeigen Geister sich, um euch zu wecken,
Und lassen ahnden die verborgnen Schrecken.
Friedrich Schlegel
Karl Wilhelm Friedrich von Schlegel (1772 – 1829), deutscher Schriftsteller, Literatur- und Kunstkritiker, Kulturphilosoph, Altphilologe, Platoniker
aus: „Musen-Almanach für das Jahr 1802“ herausgegeben von August Wilhelm Schlegel (1767 – 1845) und Ludwig Tieck (1773 – 1853). Tübingen in der Gotta’schen Buchhandlung, 1802. Seite 147 – 148
Der Schmetterling
Wie soll ich nicht tanzen,
Es macht keine Mühe,
Und reizende Farben
Schimmern hier im Grünen.
Immer schöner glänzen
Meine bunten Flügel,
Immer süßer hauchen
Alle kleinen Blüten.
Ich nasche die Blüten,
Ihr könnt sie nicht hüten.
Wie groß ist die Freude,
Sei's spät oder frühe,
Leichtsinnig zu schweben
Über Tal und Hügel.
Wenn der Abend säuselt,
Seht ihr Wolken glühen;
Wenn die Lüfte golden,
Scheint die Wiese grüner.
Ich nasche die Blüten,
Ihr könnt sie nicht hüten.
Friedrich Schlegel
Karl Wilhelm Friedrich von Schlegel (1772 – 1829), deutscher Schriftsteller, Literatur- und Kunstkritiker, Kulturphilosoph, Altphilologe, Platoniker
aus: „Musen-Almanach für das Jahr 1802“ herausgegeben von August Wilhelm Schlegel (1767 – 1845) und Ludwig Tieck (1773 – 1853). Tübingen in der Gotta’schen Buchhandlung, 1802. Seite 140 – 141
vertont von Franz Schubert (1797 – 1828), D 633. 634 193. Op.57. ‚Der Schmetterling‘ und die Berge von Friedrich Schlegel.
Noten: Herausgegeben von August Wilhelm Schlegel (1767 – 1845) und Ludwig Tieck (1773 – 1853). Verlag: Cotta’schen Buchhandlunge Tübingen