Frühlingsglauben

Die linden Lüfte sind erwacht

Frühlingsglauben

Die linden Lüfte sind erwacht,
sie säuseln und wehen Tag und Nacht,
sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muß sich alles, alles wenden.

Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
man weiß nicht, was noch werden mag,
das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Tal:
nun, armes Herz, vergiß der Qual!
Nun muß sich alles, alles wenden!

Ludwig Uhland

Ludwig Uhland (1787 – 1862)

Mir wird allemal wohl

wenn ich einen Menschen finde

Mir wird allemal wohl, wenn ich einen Menschen finde, der dem Lärm und dem Geräusch immer so aus dem Wege geht, und gerne allein ist. Der, denke ich denn, hat wohl ein gutes Gewissen; er läßt die schnöden Linsengerichte stehen, und geht vorüber, um bei sich einzukehren, wo er beßre Kost hat, und seinen Tisch immer gedeckt findet.

Wehe den Menschen, die nach Zerstreuung haschen müssen, um sich einigermaßen aufrecht zu erhalten!

Doch wehe siebenmal den Unglücklichen, die Zerstreuung und Geschäftigkeit suchen müssen, um sich selbst aus dem Wege zu gehen! Sie fürchten, allein zu sein; denn in der Einsamkeit und Stille rührt sich der Wurm, der nicht stirbt, wie sich die Tiere des Waldes in der Nacht rühren, und auf Raub ausgehen.

Aber selig ist der Mensch, der mit sich selbst in Friede ist, und unter allen Umständen frei und unerschrocken auf und um sich sehen kann! Es gibt auf Erden kein größer Glück.

Matthias Claudius

Matthias Claudius (1740 – 1815), deutscher Dichter, Redakteur, Erzähler und Herausgeber des Wandsbecker Boten, Pseudonym Asmus

In der Stadt

In der Stadt 

1
Wo sich drei Gassen kreuzen, krumm und enge,
Drei Züge wallen plötzlich sich entgegen
Und schlingen sich, gehemmt auf ihren Wegen,
Zu einem Knäul und lärmenden Gedränge:
Die Wachtparad' mit gellen Trommelschlägen,
Ein Hochzeitzug mit Geigen und Gepränge,
Ein Leichenzug klagt seine Grabgesänge –
Das alles stockt, kein Glied kann sich mehr regen.
Verstummt sind Geiger, Pfaff und Trommelschläger,
Der dicke Hauptmann flucht, daß niemand weiche,
Gelächter schallet aus dem Hochzeitzug.
Doch oben auf den Schultern schwarzer Träger
Starrt in der Mitte kalt und still die Leiche
Mit blinden Augen in den Wolkenflug.

2
Was ist das ein Schrein und Peitschenknallen?
Die Fenster zittern von der Hufe Klang,
Zwölf Rosse keuchen an dem straffen Strang,
Und Fuhrmannsflüche durch die Gasse schallen.

Der auf den freien Bergen ist gefallen,
Dem toten Waldeskönig gilt der Drang;
Da schleifen sie, wohl dreißig Ellen lang,
Die Rieseneiche durch die dumpfen Hallen.

Der Zug hält meinem Fenster an,
Denn es gebricht zum Wenden ihm an Raum;
Verwundert drängt sich alles Volk heran.

Sie weiden sich an der gebrochnen Kraft;
Da liegt entkrönt der tausendjähr'ge Baum,
Aus allen Wunden quillt der edle Saft.

Gottfried Keller (1819 – 1890), Schweizer Dichter, Politiker, Schriftsteller, Dramatiker

aus: „Gedichte“ von Gottfried Keller. Verlag: Haessel, Leipzig, 1923. Sonette, Seite 46 – 47

Geübtes Herz

Und je länger er darauf gespielt

Geübtes Herz

Weise nicht von dir mein schlichtes Herz,
Weil es schon so viel geliebet!
Einer Geige gleicht es, die geübet
Lang ein Meister unter Lust und Schmerz.

Und je länger er darauf gespielt,
Stieg ihr Wert zum höchsten Preise;
Denn sie tönt mit sichrer Kraft die Weise,
Die ein Kundiger ihren Saiten stiehlt.

Also spielte manche Meisterin
In mein Herz die rechte Seele,
Nun ist’s wert, dass man es dir empfehle,
Lasse nicht den köstlichen Gewinn!

Gottfried Keller

Gottfried Keller (1819 – 1890), Schweizer Dichter, Politiker, Schriftsteller, Dramatiker

aus: „Gedichte“ von Gottfried Keller. Verlag: Haessel, Leipzig, 1923. Vermischte Gedichte Seite 79

Spielmannslied

Hört‘ wieder ich, als wär’s ein Traum

Spielmannslied
 

Im Frührot stand der Morgenstern
Vor einem hellen Frühlingstag,
Als ich, ein flüchtig Schülerkind,
Im silbergrauen Felde lag;
Die Wimper schwankte falterhaft,
Und ich entschlief an Ackers Rand,
Der Sämann kam gemach daher
Und streute Körner aus der Hand.

Gleich einem Fächer warf er weit
Den Samen hin im halben Rund,
Ein kleines Trüppchen fiel auf mich
Und traf mir Augen, Stirn und Mund;
Erwachend rafft' ich mich empor
Und stand wie ein verblüffter Held,
Vorschreitend sprach der Bauersmann:
Was bist du für ein Ackerfeld?

Bist du der steinig harte Grund,
Darauf kein Sämlein wurzeln kann?
Bist du ein schlechtes Dorngebüsch,
Das keine Halme läßt hinan?
Du bist wohl der gemeine Weg,
Der wilden Vögel offner Tisch!
Bist du nicht dies und bist nicht das,
Am End' nicht Vogel und nicht Fisch?

Unfreundlich schien mir der Gesell
Und drohend seiner Worte Sinn;
Ich ging ihm aus den Augen sacht
Und floh behend zur Schule hin.
Dort gab der Pfarr den Unterricht
Im Bibelbuch zur frühen Stund';
Von Jesu Gleichniß eben sprach
Erklärend sein beredter Mund. -

Die Jahre schwanden und ich zog
Als Zitherspieler durch das Land,
Als ich in einer stillen Nacht
Die alte Fabel wieder fand
Vom Sämann, der den Samen warf;
Da ward mir ein Erinnern licht,
Ich spürte jenen Körnerwurf
Wie Geisterhand im Angesicht.

Was bist du für ein Ackerfeld?
Hört' wieder ich, als wär's ein Traum;
Ich seufzte, sann und sagte dann:
O Mann, ich weiß es selber kaum!
Ich bin kein Dornbusch und kein Stein
Und auch kein fetter Weizengrund;
Ich glaub', ich bin der offne Weg,
Wo's rauscht und fliegt zu jeder Stund'.

Da wächst kein Gras, gedeiht kein Korn,
Statt Furchen zieh'n Geleise hin
Von harten Rädern ausgehöhlt,
Und nackte Füße wandern drin;
Das kommt und geht, doch fällt einmal
Ein irrend Samenkörnlein drauf,
So fliegt ein hungrig Vöglein her
Und schwingt sich mit zum Himmel auf. 

Gottfried Keller

Gottfried Keller (1819 – 1890), Schweizer Dichter, Politiker, Schriftsteller, Dramatiker

aus: „Gedichte“ von Gottfried Keller. Verlag: Haessel, Leipzig, 1923. Buch der Natur. Seite 17

Neuerer Gedichte 1957

An die schöne Blume Susanna

Blühet immer Tag und Ncht

XXI.
An die schöne Blume Susanna

1.
Keine Lilie scheint so weiß/
Du hast noch viel schönern Preiß/
Meine Lilie/ deine Zier/
Geht den schönsten Blumen für.

2.
Weiß ist deine Stirn/ dein Hals/
Deine Zähnlein gleiches falls/
Weiß und roth die Wängelein/
Schöner als die Rosen seyn.

3.
Rosenfarbicht ist der Mund/
Lilienweiß das schöne Rund/
Das sich in zwey Berglein gibt/
Das man für zwo Welt beliebt/

4.
Jedes Rund hat mitten inn
Einen köstlichen Rubin/
Der von Milch und Honig fliesst/
Und den Nectar selbst versüsst.

5.
Lilienweiß sind Arm und Hand/
Mehrers ist mir nicht bekandt/
Da fällt gantz kein Zweiffel ein/
Es werd auch der Rest so seyn.

6.
Wo die Berge blumicht stehn/
Kan der Thal nicht minders sehn/
Dann je näher nach dem Fluß/
Je geblühmter ist der Fuß.

7.
O was Lust hat so ein Mann/
Der ihm also betten kan/
Daß sein Liebermattes Blut/
Nur auff Ros- und Lilgen ruht.

8.
Blühet immer Tag und Nacht/
O ihr Ros- und Lilgen Pracht/
Gehet immer mit der Zier/
Allen Ros- und Lilgen für.

9.
Was ich mier davon begehr/
Ist mier viel/ doch dir nicht schwer/
Lasse mich doch nur allein/
Einer Rosen fähig seyn.

10.
Fragestu/ O meine Zier/
Welche Rose dienet dir?
O mein Lieb was fragstu viel/
Weistu nicht was Liebe wil? 


Georg Greiflinger

Georg Greiflinger (1620 – 1677), deutscher Dichter, Zeitchronist, Zeitungsredakteur. Pseudonym Celadon, Seladon

Mariannen Schönheit

Weg mit Venus mit Helenen

XIII.
Mariannen Schönheit

Weg mit Venus/ mit Helenen
Und mit Tausend andern Schönen/
Die so groß beruffen seyn/
Und wovon so viel zu lesen.
Was sie alle sind gewesen/
Das ist Mariann/ allein.

2.
Weg Apelles/ weg Thimantes/
Ihr beraubt euch des Verstandes
Uber dieser grossen Zier.
Venus die ist leicht zu mahlen/
Mariannen blitz- und strahlen
Mahlet uns kein Pinsel für.

3.
Weg jhr müsset schleunig wandern/
So jhr nicht mit den Salmandern
Und mit mir zur Flammen taugt.
Flieht vor Mariannen blitzen/
Sie wird den durchaus erhitzen
Den sie nur einmahl beaugt.

4.
Weg/ verbleibt/ ein Mensch kan irren/
Liebe kan den Kopff verwirren.
Weil sie mir so hoch beliebt/
Lieb ich sie vor andern allen/
Sie mag dem wol mißgefallen
Der sein Hertz auff andre giebt.

5.
Und das ist all mein Verlangen
So werd' ich allein umbfangen/
Wann sie niemand liebt als ich.
Aber ach so schöne Gaben/
Sollen die nicht Freyer haben?
Freylich mehr als eben mich.

6.
Sa! So ich nicht mehr erlange/
Wann ich nur so viel empfange/
Das des danckens würdig ist.
Er hat grosse Gnad' empfangen/
Der die Lippen oder Wangen
Einer solchen Göttin küsst.

Georg Greiflinger

Georg Greiflinger (1620 – 1677), deutscher Dichter, Zeitchronist, Zeitungsredakteur. Pseudonym Celadon, Seladon

Dort wollt‘ ich wohnen

In goldenem Zelt

Dort wollt' ich wohnen

Dort wollt' ich wohnen
In goldenem Zelt
Mit ihm, dem Meinen,
Einzig gesellt!
Über der Erde
Altem Gedenken,
Über der Menschen
Dauernden Kränken -
Über dem Wandel,
Über der Welt!

Christian Friedrich Hebbel

Christian Friedrich Hebbel (1813 – 1863), deutscher Dichter, Dramatiker, Lyriker

Si e no

JO was Flammen kriegt ich da

VIII.

Si e no.

Ist es dir noch wol gedacht/
O du weist es sondern Zweiffel/
Isabella falscher Teuffel/
Was du hast für Wort gemacht/
Als ich fragte: bist du mein?
Soll ich dein Geliebter seyn?

2.
Ja/ sprach dein verlogner Mund/
Ja sprach dein verfälschtes Hertze/
Es befahl mich aller Schmertze/
Ja ich wil nicht mehr gesund/
Ja ich wil nicht ehrlich seyn/
Bin ich/ Celadon/ nicht dein.

3.
O was Flammen kriegt ich da/
Wasser/ Wasser/ Eyer/ Eyer!
Was war ich voll Liebes Feuer
Uber diß vermumte Ja.
Troja brennte nicht so sehr
Meine Liebe noch viel mehr.

4.
Aber wie ist nun mein Hertz/
Nun du Nein/ ich wil nicht/ sagest/
Nu du nach Hans (van) Tasten fragest?
Wie ein ausgeleschte Kertz
Es kan mier nichts kühlers seyn
Als dein freygesprochen Nein.

5.
Soll ich darumb traurig seyn/
Daß du mier dein Ja verkehrest
Und mich nicht wie vormahls hörest:
Nein/ du bist ja nicht allein/
Deines gleichen sind so viel
Als ein Landsknecht haben will.


Georg Greiflinger

Georg Greiflinger (1620 – 1677), deutscher Dichter, Zeitchronist, Zeitungsredakteur. Pseudonym Celadon, Seladon.

Lehnt nicht dort die einst Geliebte?

Ach, die holden Züge seh’n

Lehnt nicht dort die einst Geliebte?


Lehnt nicht dort die einst Geliebte?
Vor so heitre, nun Getrübte - - -
Ach, die holden Züge seh'n!
Ja, sie ist noch immer schöne!
Wird dir doch so alt, so eigen!
Fühlst - wie einst - die Brust dir steigen -
Und du liebst sie doch nicht mehr!
Herz, o Herz, wer kennt dich? Wer!

Christian Friedrich Hebbel

Christian Friedrich Hebbel (1813 – 1863), deutscher Dichter, Dramatiker, Lyriker