Francisa

Denn gleich wie die Knospe der Blume

 Francisca

Francisca, mein reizender Falter,
Hätt'st du nicht zu eng für dein Alter
Den keimenden Busen geschnürt,
Dann klafften wohl nicht die Gewänder,
Sobald ich nur eben die Bänder
Mit harmlosem Finger berührt.

Nun wehr auch nicht meinem Entzücken,
Als Erster die Küsse zu pflücken
Der zarten, jungfräulichen Haut.
Mich blendet die schneeige Weiße,
Solang' ich das Fleisch nicht, das heiße,
Mit bebenden Lippen betaut.

Denn gleich wie die Knospe der Blume
Nichts ahnt von der Pracht und dem Ruhme
Der Rose am üppigen Strauch,
So seh' ich bescheiden erst schwellen
Die keuschen, die kindlichen Wellen,
Umweht von berauschendem Hauch.

O glaub mir, die Monde entfliehen,
Die Rosen verwelken, verblühen
Und fallen dem Winter zum Raub.
Es kommen und gehen die Jahre,
Man legt deinen Leib auf die Bahre
Und alles wird Moder und Staub.

Frank Wedekind

Benjamin Franklin Wedekind (1864 – 1918), deutscher Dichter, Dramatiker, Schauspieler

Debutant

Die Kindheit ahnungsvolle, lose Spiele

 Debutant

Kennst du die hohe, dunkle Gartenpforte,
Die ernst verschwiegen an der Straße steht?
Wohl niemand ahnte, welche süßen Worte
In ihrem Schutz der Abendwind verweht.

Dort trat ich ein; von freudigem Erwarten
Schwoll mir das Herz wie dem beschenkten Kind;
Ein leises Flüstern wehte durch den Garten
Von guten Geistern, die dort heimisch sind.

Auf schatt'ger Bank ließ ich mich zaudernd nieder
Und trank der Rose wollustschweren Duft;
Ob meinem Haupte knistert es im Flieder;
Zwei Vöglein zwitschern durch die Abendluft.

Wie aber ward mir, als du vor mich tratst,
Ein Götterbild aus fernen Griechenzeiten,
Als du bedeutungsvoll und lächelnd batst,
Dich tiefer in den Garten zu begleiten.

Dort wurde mir aus Abend und aus Morgen
Der erste Lebenstag, den ich gelebt -
O daß so lange mir das Glück verborgen,
Nach dem das Herz dem Knaben schon gebebt!

O, Ella, Ella, tausend Seligkeiten
In einen einz'gen Atemzug gedrängt;
Die Triebe aus der Menschheit frühsten Zeiten,
Von wonnekund'ger Götterhand gelenkt;

Der Kindheit ahnungsvolle, lose Spiele
Verwandelt in unendlichen Genuß;
O, Ella, alle himmlischen Gefühle
In einem einz'gen Liebeskuß -

Welch hohes Wort, das Menschengeist ersann,
Welch reicher Dank mag diese Stunde lohnen!
Laß ewig mich in deinem Garten wohnen,
Ist alles, was die Lippe stammeln kann.

In seiner Büsche stillem Heiligtum
Nahm ich, als Balsam jeder Erdenqual,
Von deinem Mund das heilige Abendmahl
Zum großen Liebesevangelium. 

Frank Wedekind

Benjamin Franklin Wedekind (1864 – 1918), deutscher Dichter, Dramatiker, Schauspieler

Die Jahreszeiten

Die grünen Erbsen brauch‘ ich schon gar gekocht

 Die Jahreszeiten

Genieße, was die Jahreszeit mit sich bringt:
Radieschen, Erdbeeren, grüne Erbsen und Pflaumen,
Was der Veränd'rung in Sonne und Luft entspringt;
Ist stets das beste für deinen gebildeten Gaumen.

Radieschen knackt man, wenn man noch jung und keusch
Und sich noch die ersten Zähne nicht ausgebissen;
Die prallen Bäckchen zerbersten mit lautem Gekreisch,
Die Zunge schwelgt in unsäglichen Bitternissen.

Erdbeeren aus Wald und Garten, wie duften sie fein,
Die großen voll Saft, die kleinen sind mir noch lieber;
Ich mache sie trunken zuvor mit gezückertem Wein,
Pechvögel nur erkranken am Nesselfieber.

Die grünen Erbsen brauch' ich schon gar gekocht;
Die tolle Jugend allein frißt sie aus den Schoten.
Ich habe sie stets nur gepfeffert zu kosten vermocht,
Und neuerdings auch hat sie der Arzt mir verboten.

Die üppigen Pflaumen des Herbstes genieß' ich fast nur
Als Mittel zum Zweck bei unbehaglicher Stauung
Im Unterleib statt Karlsbader Brunnenkur;
Es gröhlen die Därme im Chor den Gesang der Verdauung. -

Noch manches wäre notwendig hier beigedruckt,
Wie Mammut-Trüffeln, die aus Thessalien stammen;
Doch hab' ich den ganzen Hymnus schon vollgespuckt,
So läuft mir dabei das Wasser im Munde zusammen. 

Frank Wedekind

Benjamin Franklin Wedekind (1864 – 1918), deutscher Dichter, Dramatiker, Schauspieler

Moral

imaginären Größen sind Sollen und Wollen

Unter Moral verstehe ich das reelle Produkt zweier imaginärer Größen. Die imaginären Größen sind Sollen und Wollen. Das Produkt heißt Moral und läßt sich in seiner Realität nicht leugnen

Frank Wedekind

Benjamin Franklin Wedekind (1864 – 1918), deutscher Dichter, Dramatiker, Schauspieler

Sieg der Liebe

Wie Rosen verblühn

Sieg der Liebe

De Voltaire
- Malheureux! qui n'en parle, qu'en Vers

Ich fühl in der Brust
Die zärtlichsten Triebe,
Den Ursprung der Lust,
Die göttliche Liebe.

Schon siegt der Affect!
Entzückende Schmerzen,
In Freude versteckt,
Erwachen im Herzen.

Es tobt in der Brust,
Bey Seufzern und Thränen,
Ein Vorwitz zur Lust,
Ein treibendes Sehnen.

So oft ich dem Witz
Zu lächeln befehle;
Durchdonnert der Blitz
Von Schrecken die Seele.

Wie Rosen verblühn,
So schwinden die Kräfte:
Wie Wetter aufziehn,
So schleichen die Säfte.

Doch, dennoch entreißt
Kein Zufall, kein Leiden,
Dem muthigen Geist
Die seligen Freuden.

Verzweiflung bedroht
Die Hoffnung vergebens:
Ich wünsche den Tod,
Zur Rettung des Lebens.

O glücklicher Krieg!
O fröhliche Stunden!
Ich habe den Sieg
Der Liebe empfunden.

Johanne Charlotte Unzer

Johanna Charlotte Unzer-Ziegleroder (1725 – 1782), deutsche Dichterin, Philosophin, Schriftstellerin

Mittel zum Vergnügen

Wenn auch schon die Rosen

Mittel zum Vergnügen
 
Schwestern! wollt ihr wissen,
Wie ich mich vergnüge,
Daß ich immer scherze,
Daß ich immer singe,
Daß ich auch im Winter,
Wenn auch schon die Rosen
Unser Haupt nicht krönen,
Doch noch immer scherze?
Machts wie ich, und liebet!
Doch liebet nicht nur Männer:
Liebet auch die Tugend;
Liebet schöne Bücher;
Stimmet auch die Saiten,
Dichtet schöne Lieder;
Singet von der Liebe!
Liebt ihr aber Männer;
O! so liebt nur einen,
Liebet ihn recht zärtlich,
Scherzt mit eurem Freunde:
So seyd ihr recht glücklich!

Johanne Charlotte Unzer

Johanna Charlotte Unzer-Ziegleroder (1725 – 1782), deutsche Dichterin, Philosophin, Schriftstellerin

Abschied

Wie die Sonn‘ aus Abendgolde

Abschied

Bange Ahnungsschauer beben
Durch mein Herz, mit finstrer Macht;
Diesmal, mein geliebtes Leben,
Kehrst Du nicht mir aus der Schlacht!
Ach, der Geist des Todes wehte
Durch den nächtlich stillen Hain! -
Blutig wird die Lagerstätte
Meines tapfern Helden sein!

Doch ich will nicht ab Dich mahnen,
Sohn der Ehre, die Dich ruft!
Geh' zu Deinen heil'gen Fahnen!
Steige glorreich in die Gruft!
Geh den Pfad im Waffenschalle!
Doch Du gehst ihn nicht allein;
Wie das dunkle Loos Dir falle,
Wiss', es wird auch meines sein!

Geh, Geliebter! Ich verschließe
Meine Klagen in mein Herz.
Dein geliebtes Bild versüße
Mir der langen Trennung Schmerz!
Könnt', o könnt' ich Dich begleiten,
Mit Dir theilen Freud' und Noth!
Könnt' ich siegend mit Dir streiten,
Mit Dir sterben süßen Tod!

Ach, umsonst! in öder Ferne
Hält mich herrschend das Geschick,
Nur vom blassen Glanz der Sterne
Fällt Dein liebes Bild zurück. -
Aber wenn mit düsterm Flügel
Dich des Todes Nacht umwallt,
Dann erscheine mir am Hügel
Deine holde Lichtgestalt!

Wie die Sonn' aus Abendgolde
Scheidend lächelt, steig' empor!
Dann entzücke diese holde
Stimme noch einmal mein Ohr!
Senke Nacht sich trüb' und trüber;
Froh an Deiner lieben Hand,
Engel, schweb' ich dann hinüber
In Dein seelig Vaterland

Louise Brachmann

Karoline Louise Brachmann (1777 – 1822), deutsche Dichter, Schriftstellerin. Pseudonyme: Klarfeld, Louise B. Sternheim.

Die liebenden im Garten

Zephir streute Rosenblüten

Die liebenden im Garten

Durch den Garten irrt' ich sinnend,
Durch der Blumen bunte Pracht;
Sanfter Schimmer floß verrinnend
Durch des Laubenganges Nacht.

Und der Blumen farbig Feuer
Prangte reizend um mich her.
Leuchtend hob aus dunkelm Schleier
Sich die Rose, Düfte-schwer.

Und die Feuerlilien glühten
Flammenähnlich in den Kreis,
Und die Purpur-Nelken blühten
Bei der Lilie zartem Weiß.

Doch mich Armen mochte nimmer
Blumenduft und Reiz erfreun;
Ach, an Siddys Augenschimmer
Hing mein schmachtend Herz allein.

Und es weht ein ahnend Zittern
Wie von Götternäh' mich an;
Und der Laube trauten Gittern
Wagt' ich leise mich zu nahn.

Aber dichte Zweige woben
Von Syringen und Jasmin
Sich von unten bis nach oben,
Ganz sie hüllend in ihr Grün.

Ich zerriß den Flor von Zweigen,
Trat in ihren Tempel nun; -
Götter! und in heil'gen Schweigen
Sah ich Siddy schlummernd ruhn!

In der Locken seidnen Hülle,
Ihrer Anmuth unbewußt,
Ruhte sie in sichrer Stille,
Hob sich sanft die reine Brust.

Zephir stritt sich voll Entzücken
Mit dem rothen Abendschein,
Wer sie schöner möge schmücken,
Treuer sich der Holden weihn?

Säuselnd drang er durch die Aeste
In den Tempel, still und dicht;
Doch der Oeffnung von dem Weste
Folgte schnell das Abendlicht.

Zephir streute Rosenblüthe,
Hüllte ganz in Duft sie ein;
Doch der Abendstrahl umglühte
Sie mit lichtem Heil'genschein.

Vor der schönen Heil'gen nieder
Sank ich schweigend auf die Knie;
Und die holden Augenlieder,
O, wie süß erhob sie sie!

Und es klang vom zarten Munde:
Treuer, ja, auf ewig Dein!
Zeugen nur der heil'gen Stunde
Waren West und Abendschein.

Louise Brachmann

Karoline Louise Brachmann (1777 – 1822), deutsche Dichter, Schriftstellerin. Pseudonyme: Klarfeld, Louise B. Sternheim.

Liebesglück

Liebesglück

Stille selige Stunden,
Wo uns die Liebe beglückt!
Wo dein Arm mich umwunden,
Hold mir dein Auge geblickt.
 	

Sterne glaubt' ich zu sehen,
Ach, in dem reizenden Schein!
Strahlend von himmlischen Höhen
Licht in das Herz hinein.
 
	
Licht wohl, doch heimliches Bangen
Auch mit dem Schimmer zugleich;
Sehnendes, tiefes Verlangen,
Schlummer, von Träumen so reich!

Louise Brachmann

Karoline Louise Brachmann (1777 – 1822), deutsche Dichter, Schriftstellerin. Pseudonyme: Klarfeld, Louise B. Sternheim.

An den Mond

Siehe! der hohe Sirius

An den Mond


Kaum öffnet die Nacht ihre Hallen;
Purpurn weilt noch
Der Abschied des Abends an ihrer Schwelle;
Die Nachtigall
Beginnt ihr Lied noch nicht
Und das Käuzlein lauschet in seiner Höhle.

Was siehest du so verwundernd
In mein ödes Zimmer? -
Überschaue die Wege
Deiner glänzenden Gefährten
Und staune! -

Siehe! der hohe Sirius
Ist kaum am Hügel erwacht,
Und der Stern der Liebe
Glänzt noch in junger Schöne. -
Der Adler beschließt erst seinen Strahlenflug,
Und du wandelst die ersten Schritte
Auf der nächtlichen Bahn.

Dennoch – o Artemis,
Findest du mein Zimmer einsam! -
Er – o verbergt euch, ihr Sterne!
Und du Leuchtende! -
Er – der die Morgenröte schalt,
Wenn sie unsren Küssen lauschte
In der nächtlichen Laube; -
Der noch wachte in glühender Liebe,
Wenn ihr eure Kammern schlosset: -

Er schläft schon! -
Er schläft -
Und die Nacht ringt noch
Mit der Dämmerung
Um euren Schleier.
Er schläft -
Und die Stille herrschet noch nicht.

Losgewunden
Vom Kummer der Liebe
Und ihrem belebenden Entzücken
Umschweben ihn Träume des Friedens
Und der stillen Ruhe,
Die so gern
Die Herzen der Unempfindlichen beglückt. -

Er schläft
Und denkt meiner nicht mehr
In seinen süßen Träumen.
Ach, meine Tränen
Stören seine Ruhe nicht. -

Mond! und ihr prangenden Sterne!
Geht in eure Kammern
Auf ewig.
Nacht! tritt auf immer
Aus deiner schwarzen Halle
Und du, Morgenröte!
Lausche nie wieder
Den Küssen der Liebe.

Er schläft -
Und meine Tränen
Stören seine Ruhe nicht.

Sophie Albrecht

Johanna Sophie Dorothea Albrecht (1757 – 1840), deutsche Dichterin, Schriftstellerin, Schauspielerin