die Nachtigall

Die Nachtigall in langgezogenen Tönen

Die Nachtigall in langgezogenen Tönen
Klagt um ihr Weibchen oder ihre Jungen,
Erfüllt die Luft, die Flur mit süssen Sehnen,
In weichen Melodien, voll Kunst gesungen.

Francesco Petrarca 

Francesco Petrarca (1304 – 1374), italienischer Dichter, Geschichtsschreiber

der Liebe Stern

Schon flammt der Liebe Stern in süßer Nacht

Schon flammt der Liebe Stern in süßer Nacht
Im Ost, und jener, der dem Nord gebührt,
Um den einst Juno Eifersucht gespürt,
Rollt seine Strahlen dort in heller Pracht.

Francesco Petrarca 

Francesco Petrarca (1304 – 1374), italienischer Dichter, Geschichtsschreiber

Hoffnung

Verschmähend, was die Andern alle mögen

Verschmähend, was die Andern alle mögen;
Von ihr ist kommen mutiges Bewegen,
So graben Pfad zum Himmel dir bereitet;
Drum zieh' stolz, weil Hoffnung mich begleitet.

Francesco Petrarca 

Francesco Petrarca (1304 – 1374), italienischer Dichter, Geschichtsschreiber

Ich habe dich geliebt

Und fiele die Welt zusammen

Ich habe dich geliebet
und liebe dich noch!
Und fiele die Welt zusammen,
aus ihren Trümmern
stiegen doch 
hervor meiner Liebe Flammen.

Heinrich Heine

Christian Johann Heinrich Heine (Harry Heine), (1797 – 1856), deutscher Dichter und Romancier, ein Hauptvertreter des Jungen Deutschland, Begründer des modernen Feuilletons

Abendwolken

So stille ruht im Hafen

Abendwolken

So stille ruht im Hafen
Das tiefe Wasser dort,
Die Ruder sind entschlafen,
Die Schifflein sind im Port.

Nur oben in dem Äther
Der lauen Maiennacht,
Dort segelt noch ein später
Friedfertger Ferge sacht.

Die Barke still und dunkel
Fährt hin in Dämmerschein
Und leisem Sterngefunkel
Am Himmel und hinein.


Conrad Ferdinand Meyer

Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898), Schweizer Dichter

Am Amboß steht der alte Schmied

Er steht umlodert von Flammenglut

Am Amboß steht der alte Schmied,
er schwingt den Hammer und singt sein Lied.

Er steht umlodert von Flammenglut,
die Funken spritzen wie rotes Blut.

Hell klingt der Amboß, kurz der Spruch:
"Drei Schläge thu ich mit Segen und Fluch.

Der erste schmiedet den Teufel fest,
daß er den Welschen nicht siegen läßt.

Den Erbfeind trifft der zweite Schlag,
daß er sich nimmer rühren mag.

Der dritte Schlag ertöne rein,
er soll für die deutsche Krone sein!"

Am Amboß steht der deutsche Schmied
14 und schwingt den Hammer und singt sein Lied.

Conrad Ferdinand Meyer

Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898), Schweizer Dichter

An das Leben

Im Herbst von dunklem Grün umlaubt

An das Leben

Wenn mir dereinst von dieser Seuche
Genesung wird im kühlen Grab,
Dann sei, daß Jung und Alt entfleuche,
Mein Denkmal eine Vogelscheuche:
Mein Hut auf meinem Wanderstab.

Der Hut war schwarz und breitgerändert,
Im Herbst von dunklem Grün umlaubt.
Wie hat der Winter ihn verändert!
Jetzt deckt er schmutzig, schlapp, entbändert
Mein müdes frühgebeugtes Haupt.

Den Stecken hielt ich friedlich nieder,
Bis ich der Unschuld heil'gen Schlaf
Gefährdet sah von gift'ger Hyder.
Ich schlug, daß ich die eignen Glieder
Mit grauenvollstem Fluche traf.

Zur Seuche, dran ich elend sieche,
Ward mir des Ungeheuers Gift:
Der gräßlichste der Erdenflüche.
Ich taumle hin, ich wanke, krieche,
Bis mich im Tod Erlösung trifft.

Frank Wedekind

Benjamin Franklin Wedekind (1864 – 1918), deutscher Dichter, Dramatiker, Schauspieler

A

Das Lied vom armen Kind

Der taube Mann, das blind

Das Lied vom armen Kind

oder
Wer zuletzt lacht, lacht am besten

Es war einmal ein armes Kind,
Das war auf beiden Augen blind,
Auf beiden Augen blind;
Da kam ein alter Mann daher,
Der hört auf keinem Ohre mehr,
Auf keinem Ohre mehr.
Sie zogen miteinander dann,
Das blinde Kind, der taube Mann,
Der arme, alte, taube Mann.

So zogen sie vor eine Tür,
Da kroch ein lahmes Weib herfür,
Ein lahmes Weib herfür.
Bei einem Automobilunglück
Ließ sie ihr linkes Bein zurück,
Das ganze Bein zurück.
Nun zogen weiter alle drei,
Das Kind, der Mann, das Weib dabei,
Das arme, lahme Weib dabei.

Ein Mägdlein zählte vierzig Jahr,
Derweil sie stets noch Jungfrau war,
Noch keusche Jungfrau war.
Um sie dafür zu strafen hart,
Schuf Gott ihr einen Knebelbart,
Ihr einen Knebelbart.
Sie flehte: Laßt mich mit euch gehn,
Ihr Lieben, laßt mich mit euch gehn,
So wird noch Heil an mir geschehn!

Am Wege lag ein räudiger Hund,
Der hatte keinen Zahn im Mund,
Nicht einen Zahn im Mund;
Fand er mal einen Knochen auch,
Er bracht' ihn nicht in seinen Bauch,
Ihn nicht in seinen Bauch.
Nun trabte hinter den anderen vier,
Wiewohl es am Verenden schier,
Das alte, räudige Hundetier.

Ein Dichter lebt' in tiefster Not,
Er starb den ewigen Hungertod,
Den ewigen Hungertod.
Mit Herzblut schrieb er sein Gedicht,
Man druckt es nicht, man liest es nicht,
Und niemand kennt es nicht.
Sein Leib war krank, sein Geist war wund,
Drum schloß er mit dem räudigen Hund
Der Freundschaft heiligen Seelenbund.

Und dann schrieb er zu Aller Glück
Ein wundervolles Theaterstück,
Ein wundervolles Stück,
In welchem die Personen sind
Der taube Mann, das blinde Kind,
Das arme, blinde Kind,
Das lahme Weib, die Jungfrau zart
Mit ihrem langen Knebelbart,
Die Jungfrau mit dem Knebelbart.

Und eh' die nächste Stund' entflohn,
Konnt' Jeder seine Rolle schon,
Die ganze Rolle schon.
Verständnisvoll führt die Regie
Das alte, räudige Hundevieh,
Das räudige Hundevieh.
Drauf ward das Schauspiel zensuriert
Und einstudiert und aufgeführt
Und ward ganz prachtvoll kritisiert.

Die Künstler fanden viel Applaus,
Man spannt dem Hund die Pferde aus
Und zieht ihn selbst nach Haus.
Da gab's nun auch Tantiémen viel
Und hohe Gagen für das Spiel,
Das ungemein gefiel. -
Nachdem sie ganz Europa sah,
Da reisten sie nach Amerika,
Nach Nord- und Südamerika.

Nun hört zum Schluß noch die Moral:
Gebrechen sind oft sehr fatal,
Sind manchmal eine Qual;
Frau Poesie schafft ohne Graus
Beneidenswertes Glück daraus,
Sie schafft das Glück daraus.
Dann schwillt der Mut, dann schwillt der Bauch,
Und sei's bei einer Jungfrau auch. -

Frank Wedekind

Benjamin Franklin Wedekind (1864 – 1918), deutscher Dichter, Dramatiker, Schauspieler

Morgenstimmung

Mich aus Liebchen Paradies

 Morgenstimmung

Leise schleich ich wie auf Eiern
Mich aus Liebchens Paradies,
Wo ich hinter dichten Schleiern,
Meine besten Kräfte ließ.

Traurig spiegelt sich der bleiche
Mond in meinem alten Frack;
Ach die Wirkung bleibt die gleiche,
Wie das Kind auch heißen mag.

Wilhelmine, Karoline,
's ist gesprungen wie gehupft,
Nur daß hier die Unschuldsmiene,
Dort dich die Routine rupft.

Frank Wedekind

Benjamin Franklin Wedekind (1864 – 1918), deutscher Dichter, Dramatiker, Schauspieler

Francisa

Denn gleich wie die Knospe der Blume

 Francisca

Francisca, mein reizender Falter,
Hätt'st du nicht zu eng für dein Alter
Den keimenden Busen geschnürt,
Dann klafften wohl nicht die Gewänder,
Sobald ich nur eben die Bänder
Mit harmlosem Finger berührt.

Nun wehr auch nicht meinem Entzücken,
Als Erster die Küsse zu pflücken
Der zarten, jungfräulichen Haut.
Mich blendet die schneeige Weiße,
Solang' ich das Fleisch nicht, das heiße,
Mit bebenden Lippen betaut.

Denn gleich wie die Knospe der Blume
Nichts ahnt von der Pracht und dem Ruhme
Der Rose am üppigen Strauch,
So seh' ich bescheiden erst schwellen
Die keuschen, die kindlichen Wellen,
Umweht von berauschendem Hauch.

O glaub mir, die Monde entfliehen,
Die Rosen verwelken, verblühen
Und fallen dem Winter zum Raub.
Es kommen und gehen die Jahre,
Man legt deinen Leib auf die Bahre
Und alles wird Moder und Staub.

Frank Wedekind

Benjamin Franklin Wedekind (1864 – 1918), deutscher Dichter, Dramatiker, Schauspieler