Stille
Still, still, still!
Es schweiget Feld und See und Wald,
Kein Vogel singt, kein Fußtritt hallt;
Bald, bald
Kommt weiß und kalt
Der todte Winter
Über dich, Erde,
Und deine Kinder.
Auch du wirst still,
Mein Herz; der Sturm, der sonst so wild
Dich rüttelt, schweigt. Ein jedes Bild
Verhüllt.
Ganz, ganz gestillt
Liegst du im Schlummer.
Es schweigt die Freude,
Es schläft der Kummer.
Still, still, still!
Er kommt, er kommt, der stille Traum
Von einen. stillen kleinen Raum.
Kaum, kaum,
Du müder Baum,
Kannst du noch stehen.
Bald wird dich kein Auge
Mehr sehen.
Friedrich Theodor Vicher
Friedrich Theodor Vicher (1807 – 1887), deutscher Philosoph, Dichter, Erzähler, Schriftsteller
aus: „Lyrische Gänge“ von Friedrich Theodor Vicher. Verlag: Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt, 1882. Faust’sche Stimmen, Seite 12 – 13
Das graue Lied
Warum wird mir so dumpf und düster doch,
So matt und trüb um die beengte Seele,
Wenn ich an einem grauen Nachmittag
An meinen Büchern mich vergeblich quäle, –
Wenn wie ein aschenfarbiges Gewand
Der Himmel hängt ob den verschlafnen Auen
Und weit und breit von dem geliebten Blau
Nicht eine Spur das Auge kann erschauen?
Ein Geiglein tönt aus einem fernen Haus,
Man hört es kaum, gefühlvoll thät' es gerne,
Gezognem Weinen eines Kindes gleich
Mit dünnem Klang langweilig in die Ferne.
Kein Lüftchen geht, kein Grün bedeckt die Flur,
Der Lenz ist da, doch will's ihm nicht gelingen,
Die alten Streifen winterlichen Schnee's
In Wald und Graben endlich zu bezwingen.
So öd und still! Das schwarze Vöglein nur,
Das frierend sitzt auf jenes Daches Fahnen,
Zieht langgedehnten traur'gen Laut hervor,
Als wollt' es an ein nahes Unglück mahnen.
Ich weiß es wohl, solch grauer Nachmittag
Ist all mein Wesen, all mein Thun und Treiben.
Nicht Wehmuth ist's, nicht Schmerz und auch
nicht Lust,
Das Wort spricht's nicht, die Feder kann's nicht schreiben.
Mir ist, als war' ich selber Grau in Grau,
Zu viel der Farbe scheint mir selbst das Klagen,
Ob Leben Nichts, ob Leben Etwas ist,
Wie sehr ich sinne, weiß ich nicht zu sagen.
Friedrich Theodor Vicher
Friedrich Theodor Vicher (1807 – 1887), deutscher Philosoph, Dichter, Schriftsteller
aus: „Lyrische Gänge“ von Friedrich Theodor Vicher. Verlag: Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt, 1882. Jugendjahre, Seite 7 – 8
CANTATA
ARIA.
Hoffe nur, geplagtes Herze!
Daß der Himmel nach dem Schmerze
Dich auch einst erfreuen kan.
Weg mit ängstlichen Geberden!
Hoffe nur und stelle dir
Gottes treue Sorgfalt für,
Diese wird ja wohl an mir
Nicht erst zum Tyrannen werden.
Wen heut das Glück verfolgt, den lacht es morgen an. Da Capo.
Die Hoffnung hält mich nur, sonst läg ich wirklich schon,
Ihr angenehmer Thon
Verstopft mein Ohr von jener ungereimten Melodie,
Mit der die schwermendlauten Grillen
Bey der verdrüßlichen Melancholie
So Kopf als Herze füllen.
Gesetzt mein Glücke wankt, gesetzt auch, daß es fällt,
Die Hoffnung, die mich stets mit starken Armen hält,
Entreist mich der Gefahr,
Von der ich ohne sie unmöglich zu befreyen war.
Ach! Hoffnung! ach! du läßt mich sicher stehen,
Wenn andre neben mir in der Verzweiflung untergehen.
ARIA.
Nehmt die Messer statt des Bogens,
Fiedelt euch selber die Kählen entzwey!
Der Satan giebt den Tackt, wenn die Verzweiflung musiciret,
Die nebst der Melodie das Leben rächelnde verliehret.
Ach! geigt so schön ihr wollt! ich tret euch niemahls bey,
Nehmt die Messer statt des Bogens,
Fiedelt euch selbst die Kählen entzwey!
Die Hoffnung spielt auf einem andern Thone,
Drum kriegt sie auch den Segen ganz gewiß zum Lohne.
Denn wer nur warten kan,
Trifft endlich sein Vergnügen an.
Die Ungeduld meynt zwar das Glücke zeitig zu ereilen,
Allein sie pfleget es nur desto länger zu verweilen.
ARIA.
Das Glücke kommt selten per posta, zu Pferde,
Es geht zu Fusse Schritt vor Schritt.
Sein Eigensinn ist nicht zu zwingen,Man mag auch noch so sehr nach seiner Ankunft ringen,
Es ändert darum nicht den langsamfortgesetzten Tritt.
Das Glücke kommt selten per posta, zu Pferde,
Es geht zu Fusse Schritt vor Schritt.
Was will ich mich vergebens grämen?
Gibt mir der Himmel nichts, so kan ich ihm nichts nehmen.
Verhängniß! ach! ich schreibe dir
Nichts für.
Vergnüge mich, wie, wenn und wo es dir gefällt!
Mein Wohlseyn bleibt in deine freye Wahl gestellt.
ARIA.
Mein Glücke nimmt sich Zeit. Ich laß es mir gefallen.
Es kommt nun wenn es kommt, so nehm ichs freudig an.
Kommt es nicht heute, so kommt es doch morgen.
Der Himmel wird mich doch versorgen,
Er weiß schon, daß ich warten kan.
Mein Glücke nimmt sich Zeit. Ich laß es mir gefallen.
Es kommt nun wenn es kommt, so nehm ichs freudig an.
Daniel Stopp
Daniel Stoppe (1697-1747), deutscher Schullehrer, Dichter, Schriftsteller
„Der Parnaß im Sättler, Oder Scherz- und Ernsthafte Gedichte“ des Herrn Daniel Stoppens, aus Hirschberg in Schlesien. Mitgliedes der Deutschen Gesellschaft in Leipzig. Frankfurt und Leipzig, Verleges Gottlieb Siegert, Buchhandlung in Hirschberg, 1735. Glückwünschungs-Gedichte. Cantata, Aria: Seite 84 – 86
Dein Vergnügen trifft auch mich,
Mein an dich verbundnes Herze
Nimmt auch Teil an deinem Scherze.
Bist du doch mein andres ich
Die Zufriedenheit der Liebe,
Teilet sich in dich und du,
Denn die Stärke gleicher Triebe
Ist der Pfeiler unsrer Ruh.
Daniel Stopp
Daniel Stoppe (1697-1747), deutscher Schullehrer, Dichter, Schriftsteller
„Der Parnaß im Sättler, Oder Scherz- und Ernsthafte Gedichte“ des Herrn Daniel Stoppens, aus Hirschberg in Schlesien. Mitgliedes der Deutschen Gesellschaft in Leipzig. Frankfurt und Leipzig, Verleges Gottlieb Siegert, Buchhandlung in Hirschberg, 1735. Auf den Namenstag seiner Liebsten, Seite 38
Ode an Gott
O du im Umfang unendlich,
In lebenden Wesen lebendig,
Und Ewig im Laufe der Zeiten,
Gestaltlos in drenen Gestalten
Der Gottheit, Allgegenwart, Einzig,
Ein Geist ohne Raum, ohne Ursprung,
Von Sterbllichen nimmer ergründet,
Der durch sich und mit sich erfüllet,
Umfasset, erschaffet, bewahret,
Die Welten - wir nenn ihn - Gott!
Ja könnten auch Sand oder Strahlen
Der tausend Planeten wir zählen,
Die Tiefen des Oceans messen,
Für dich weder Maas weder Zahl!
Es mögen erleuchtete Geister,
Von deinem Abglanze geboren,
Nicht deine Gerichte erforschen,
Sie heben sich kühn und zerstäuben
In deiner gewaltigen Größe,
Wie sich die Minuten verlieren
In einer Ewigkeit Meere.
Du riefst aus bodenloser Tiefe
Das ewige Chaos herauf,
hast vor der Zeiten Geburt
In dir das Ew'ge gegründet;
Du bist und glänzest durch dich!
Aus dir, du Quelle des Lichtes,
Ist Licht hernieder geflossen,
Ein Wort hat Alles belebet,
Erschaffen - du warst, du bist,
Du wirst sein ewig und ewig!
Du fassest die Kette der Wesen,
Du schenkest ihr Leben, Erhaltung,
DU, der du Anfang und Ende,
Den Tod mit dem Leben verbindest.
Wie sprühende Funken schnell eilen,
So gibst du den Sonnen ihr Dasein;
Am heitern Tage des Winters,
Wie Stäubchen des Reifes dann blinken,
Sich drehen und wimmeln und glänzen,
So siehst du die Sterne im Abgrund.
Millionen brennende Lichter,
Im leere Raume schwimmend,
Befolgen die ew'gen Gesetze,
Ergießen lebendige Strahlen;
Doch diese feurigen Lampgen,
Die Menge der roten Ernstallen
Die goldenen kochenden Wellen,
Die ewig brennenden Sternen,
Und alle die leuchtenden Welten,
Sind dir wie Nacht vor dem Tage.
Und hundertfältig gehäufet,
Sie sind gegen dich nur ein Punkt,
Und ich vor dir - ein Nichts.
Ein Nichts - doch bin ich dein Abglanz,
Es schimmert in mir deine Güte,
Ich trage dein Bild wie ein Tropfen
Des Wassers das Bildnis der Sonne.
Ein Nichts - doch fühl' ich mein Leben,
Ich fliege mit rastloser Gierde,
Noch höher und höher stets schwebend,
Es glaubt meine Seele: du bist,
Sie denket, begreifet, erwäget,
Ich bin - du bist ohne Zweifel!
Du bist - so sagt die Natur,
Du bist - so fühlet mein Herz,
Du bist - ruft mein Verstand,
Du bist - drum bin ich kein Nichts!
Auch ich bin ein Teilchen des Weltalls
Bin, wähne ich, in der Natur.
Ehrwürdige Mitte gestället,
hier an der Körperwelt Ende,
Am Anfang der himmlischen Geister,
Ich binde die Kette der Wesen.
Ja, ich das Band dieser Kette,
Die äußerste Stufe der Wesen,
Bin in der Lebenden Mitte
Ein Anfangsbuchstange der Gottheit!
Mein Körper verweset zu Staube,
Mein Geist herrscht über die Donner,
Ich bin ein König - ein Knecht -
Ich bin ein Wurm - ein Gott!
Verborgen ist mir mein Ursprung,
Doch ward ich nicht aus mir selbst.
Nein, Schöpfer, ich bin dein Geschöpf,
Bin ein Geschöpf deiner Weisheit,
Du Lebensquell, Geber des Guten,
Du meiner Seele Geist und Herr!
Deiner Allmacht schien es notwendig,
Daß mein unsterbliches Wesen
Des Todes Abgrund durchwandre,
Mein Geist sich in Sterblichkeit kleide,
Und, Vater! im Dunkel des Stabes,
Unsterblich sich wiederfinde.
Unbegreiflicher! Unergründlicher!
Warum ist die Seele zu schwach,
Von deinem erhabenen Bilde
Auch nur den Schatten zu zeichnen;
Doch ist es den schwachen Geschöpfen
Dich, Gott, zu preisen vergönnet,
Wie können sie besser dich ehren,
Als sich erhebend zu dir,
Im Unermeßlichen sich verlierend,
Dankbare Tränen vergießen!
G. R. Deržavin
Gavriil Romanovič Deržavin (1743 – 1816), russischer Dichter, Autor, Staatsmann, Schriftsteller. Bekannt für seine lange Oden
Leider sind die russischen Webseiten zur Zeit kaum zu erreichen und sehr unsicher. Sobald sich die Lage nicht ändert, kann ich nicht das Original auf russisch auf meine Webseite zeigen.
aus: „Gedichte des Herrn Staatsraths von Dershawin“ aus dem Russischen übersetzt von August von Kotzebue. Verlag: Leipzig, Paul Gotthelf Kummer, 1793. Seite 74 – 79
August von Kotzebue (1761 – 1819)
Gemälde: Gavriil Romanovič Deržavin (1743 – 1816)
Frieden und Freiheit. Schießt mit Blumen und Liebe.
Dank an Felizen
Verkünderung des goldnen Tages!
O, du Frühlings Morgenröte!
Wenn aus blauen Meereswellen
Du den Sternenkönig führest;
Wenn auf Stirnen der Gebirge,
Und im Schoße der Gewässer,
Sanft dein rothßer Blick uns lächelt,
Du mit purpurrothßem Golde
Feld und Wald und Himmel schmückest;
Wenn die raschen Flügelpferde
Jene Finsternis zerheilen,
Und das schöne Licht des Himmels
Sich am Horizont erhebet;
O, dann fliehen dunkle Schatten!
Welcher Anblick meinem Auge!
Ufer blinken dort im Taue,
Perlen blitzen auf den Wiesen.
Sieh dort wogen sich die Steppen
In des grauen Kowils Wellen;
Schwäne weiden dort in Wolken,
Ihr Getöse gleicht den Hörnern;
Überall der gelbe Himmel
Strahlend wie die Bernstein-Flamme;
So auch brennet, so auch lodert
Dankbar dieses Herz zu dir.
Auf zu dir des Dankes Flamme!
Engel in der Menschenhülle!
Dessen Geist und dessen Rechte
Uns den Weg zum Glücke zeigen.
Auf in ungeschmückten Worten!
Nimm vorlieb mit meiner Einfalt,
Höre! - doch mein Herz ist voll,
Es verstummen meine Lippen.
Wenn auf jenem stillen Meere
Lieblich nur ein Zephnr hauchet
Wenn die Flaggen munter flattern,
Wenn das Schiff im Schoß der Wellen
Eine Silberstraße furchet;
Dann erschallt der laute Jubel
Derer, die mit frohem Herzen
Bis zu fernen Zonen reisen.
Dichter singen, wenn der Gottheit
Feuer in dem Busen lodert.
Bin auch ich nur je zuweilen
Von der Sorgen Last befrenet;
Fesseln mich nicht Eitelkeiten,
Spiel, Gesellschaft, Müiggang;
Dann besuchen mich die Musen,
Von der Lener tönt dein Name.
G. R. Deržavin
Gavriil Romanovič Deržavin (1743 – 1816), russischer Dichter, Autor, Staatsmann, Schriftsteller. Bekannt für seine lange Oden
Leider sind die russischen Webseiten zur Zeit kaum zu erreichen und sehr unsicher. Sobald sich die Lage nicht ändert, kann ich nicht das Original auf russisch auf meine Webseite zeigen.
aus: „Gedichte des Herrn Staatsraths von Dershawin“ aus dem Russischen übersetzt von August von Kotzebue. Verlag: Leipzig, Paul Gotthelf Kummer, 1793. Seite 40 -42
August von Kotzebue (1761 – 1819)
Gemälde: Gavriil Romanovič Deržavin (1743 – 1816)
Frieden und Freiheit. Schießt mit Blumen und Liebe.
Wos d'Liab oll's is
D' Liab is a Rauba,
Möcht in Herzerle sein;
Und won ma nit aufmocht,
So brichts oan holt ein.
D'Liab is a Vögerl,
In Mai fliagts daher;
Thuas songa, schau, späta,
Do kimts neamamehr.
Und 's Vögerl is hoamisch,
Mei Herz is sei Haus;
Hiazt, won ih ah aufmoch,
Fliagts neamamehr aus.
A hellklingends Glöckl
In Herzn is d'Liab;
Gib ocht, daß 's koan Sprung kriagt,
Sist keits nocha trüab!
D'Liab is a Wasserl,
Rint unta die Bruck,
Und mei Herz is a Schifferl,
Kimt neamamehr zruck.
D'Liab is a Flamerl,
S'entzündt sich so gern,
Und wons d' damit spielst,
Konst an Obrandla wern.
D'Liab is a Bleamerl,
Recht guat muaßt es pflegn;
Schau, d'Liab braucht a Busserl,
Wia 's Bleamerl an Regn.
Peter Rosegger
Gedicht auf obersteirischer Mundart
Peter Rosegger (1843 – 1918), österreichischer Volkschriftsteller, Dichter. Pseudonym: P. K. Petri Kettenfeier
aus: „Zither und Hackbrett – Gedichte in obersteirischer Mundart“ von Peter Rosegger. Verlag: Lenkam, Graz, 1895. Seite 7
Bei Gerhard von Kügelchens Zeichnung:
Irdische und himmlische Liebe
Hoch der Fackel dunkle Gluth geschwungen,
Die des Siegers luft'ge Bahn erhellt:
Senket sich zu frohen Huldigungen
Eros auf die hochentzückte Welt.
Doch wer nennet mir den stillen Knaben,
Diesem gleich an lieblicher Gestalt?
Doch den Blick so himmlisch, so erhaben,
Fackellos, von reinerm Licht umwallt?
Immer höher scheint er aufzuschweben,
Uns zu winken zu des Lichtes Räumen,
Still entzückend sel'ger Hoffnung Lust. -
Hehres Kind, von Strahlen licht umgeben,
Freundlich führst Du aus der Erde Träumen
Heimwärts zu des ew'gen Vaters Brust!
Agnes Franz
Louise Antoinette Eleonore Konstanze Agnes Fransky (1792 – 1843), deutsche Dichterin, Kinder- und Jugendbuchautorin, Schriftstellerin
aus: „Gedichte“ von Agnes Franz Erste Sammlung Zweite Auflage Essen 1836. Seite 132
Gerhard von Kügelgen (Franz Gerhard von Kügelgen 1772 – 1820)
Das treue Herz
Ein treues Herz bleibt stark in Muth und Hoffen,
Wird gleich vom Sturm der Freuden Saat getroffen,
Sein Glaube hebt es siegend himmelwärts!
Drum wünsch' ich mir, wenn Leiden mich umstürmen,
Wenn Wolken sich um meinen Himmel thürmen,
Ein treues Herz!
Ein treues Herz beharrt im festen Lieben,
Wenn And're auch durch Undank es betrüben,
Und lächelt mild noch in dem tiefsten Schmerz.
O könnt' ich mir solch Kleinod doch bewahren!
Erquickung beut uns noch in späten Jahren
Ein treues Herz!
Ein treues Herz wird, wenn es Spötter kränken,
Sich nimmer doch von seinem Heile lenken,
Und fest stehn, bei der Frevler frechem Scherz.
O möcht' es doch der Vater mir gewähren!
Als Demant-Krone trägt der Prüfung Zähren
Ein treues Herz!
Agnes Franz
Louise Antoinette Eleonore Konstanze Agnes Fransky (1792 – 1843), deutsche Dichterin, Kinder- und Jugendbuchautorin, Schriftstellerin
aus: „Gedichte“ von Agnes Franz Erste Sammlung Zweite Auflage Essen 1836. Seite 22
Frau Gertrud ging mit der kleinen Helen durch’s Dorf
Mutterliebe oder Henne und Küchlein
Frau Gertrud ging mit der kleinen Helene durch's Dorf. Überall blühten die Blumen und sangen die Vögel. Jetzt kamen sie auf eine Wiese voll herrlicher Blumen. "Laß uns hier bleiben!" bat Lenchen, und gern erlaubt ihr die Mutter, sich einige Himmelschlüssel und Schneeglöckchen zu pflücken.
Da kam eine Henne vom Dorfe daher, die führe acht Küchlein.
"O sieh, liebe Mutter," rief Lenchen erfreut, "die niedlichen Kleinen! Wie wollig und rund sehn sie aus, und wie laufen sie alle so behende! Könnte ich doch nur Eines für mich fangen, und mit mir nach Hause nehmen!"
Mit diesen Worten sprang sie schnell zu den Küchlein, und versuchte Eines zu haschen. Aber die Kleinen waren viel schneller als sie. Ängstlich piepend liefen sie auseinander, und verkrochen sich in das hohe Gras. Gluck, gluck! rief die Henne, und sieh, da kamen sie alle gehorsam herbei, eines langsam, das anders schnell, bis sich zuletzt mehrere überstürzten, und dennoch wieder auf die kleinen Beinchen zu stehen kamen.
"Ist dies die Mutter, und das ihre Kinder?" frug Lenchen. "Das kannst Du wohl sehen!" versetzte Frau Gertraud: "Gib nur Acht, wie ängstlich das kleine Mutterchen hin und her läuft, wenn sich eines ihrer Kleinen von ihr entfernt!"
Beide setzten sich nun auf den Rasen nieder, und hatten ihre Freude an der lustigen Herde.
Plötzlich schoß die Henne ängstlich hin und her, und duckte sich dann mit weitgespreizten Flügeln zur Erde. Eilig kamen auf ihren dringenden Ruf die Küchlein herbei; sie aber hörte nicht auf zu locken und ängstlich umherzublicken, bis sie alle unter ihren Flügeln verborgen waren, und sie nun, einem breiten Zelte gleich, schützend über ihren Kindern saß.
"Was macht die Henne?" frug Lehnchen besorgt.
"Siehst Du den schwarzen Punkt dort am Himmel?" antwortete Frau Gertrud: "Das ist ein Sperber, ein schlimmer Vogel, der die Hühner bedroht! Die besorgte Henne hat ihn von ferne gewittert. Sieh, wie sie bange emporschaut, wie ihr Gefieder sich sträubt, und sie dennoch ihr Leben freudig preis gibt, um ihre Kleinen zu retten! Nicht wahr, das muß eine Mutter sein, denn so können Mütter nur lieben."
Da schmiegte sich Lehnchen so dicht an Frau Gertrud, als wäre sie auch ein Küchlein, und stände in Gefahr. Der Sperber aber zog glücklich vorüber, und bald kamen die kleinen Hühnchen wieder, eins nach dem andern hervor!
Agnes Franz
Louise Antoinette Eleonore Konstanze Agnes Fransky (1792 – 1843), deutsche Dichterin, Kinder- und Jugendbuchautorin, Schriftstellerin
aus: „Kinderlust – Erzählungen, Sagen und Mährchen“ von Agnes Franz. Besonders und vermehrter Abdruck aus dem ‚Buche für Kinder‘. Mit neuen Originalzeichnungen von Ferdinand Koska. Verlag von Ferdinand Hirt, Breslau. Seite 33 – 34