Du meine Seele, du mein Herz

Du meine Wonn, O du mein Schmerz

Du meine Seele, du mein Herz

Du meine Seele, du mein Herz,
Du meine Wonn', O du mein Schmerz,
Du meine Welt, in der ich lebe,
Mein Himmel du, darein ich schwebe,
O du mein Grab, in das hinab
Ich ewig meinen Kummer gab!
Du bist die Ruh', du bist der Frieden,
Du bist der Himmel mir beschieden.
Daß du mich liebst, macht mich mir wert,
Dein Blick hat mich vor mir verklärt,
Du hebst mich liebend über mich,
Mein guter Geist, mein bess'res Ich!

Friedrich Rückert

Freimund Raimar (1788 – 1866),, deutscher Dichter, Lyriker und Übersetzer arabischer, hebräischer, indischer, persischer und chinesischer Dichtung

Am Walde

Am Waldsaum kann ich lange Nachmittage

Am Walde

Am Waldsaum kann ich lange Nachmittage,
Dem Kukuk horchend, in dem Grase liegen;
Er scheint das Tal gemaechlich einzuwiegen
Im friedevollen Gleichklang seiner Klage.

Da ist mir wohl, und meine schlimmste Plage,
Den Fratzen der Gesellschaft mich zu fügen,
Hier wird sie mich doch endlich nicht bekriegen,
Wo ich auf eigne Weise mich behage.

Und wenn die feinen Leute nur erst dächten,
Wie schön Poeten ihre Zeit verschwenden,
Sie würden mich zuletzt noch gar beneiden.

Denn des Sonetts gedrängte Kränze flechten
Sich wie von selber unter meinen Händen,
Indes die Augen in der Ferne weiden.

Eduard Friedrich Mörike

Eduard Friedrich Mörike (1804 – 1875) deutscher Lyriker, Autor von Prosatexten, Pfarrer

aus: „Gedichte“ von Eduard Mörike. Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung, Stuttgart, 1867. Seite 227

Um Mitternacht

Um kecker rauschen die Quellen hervor

Um Mitternacht


Gelassen stieg die Nacht ans Land,
Lehnt träumend an der Berge Wand,
Ihr Auge sieht die goldne Waage nun
Der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn;
Und kecker rauschen die Quellen hervor,
Sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr
Vom Tage,
Vom heute gewesenen Tage.

Das uralt alte Schlummerlied,
Sie achtet's nicht, sie ist es müd;
Ihr klingt des Himmels Bläue süßer noch,
Der flücht'gen Stunden gleichgeschwungnes Joch.
Doch immer behalten die Quellen das Wort,
Es singen die Wasser im Schlafe noch fort
Vom Tage,
Vom heute gewesenen Tage.

Eduard Friedrich Mörike

Eduard Friedrich Mörike (1804 – 1875) deutscher Lyriker, Autor von Prosatexten, Pfarrer

aus: „Gedichte“ von Eduard Mörike. Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung, Stuttgart, 1867. Seite 184

An einen Wintermorgen, vor Sonnenaufgang

Um welch Gefühl entzückter Stärke

An einen Wintermorgen, vor Sonnenaufgang

O flaumenleichte Zeit der dunkeln Frühe!
Welch neue Welt bewegest du in mir?
Was ist′ s, daß ich auf einmal nun in dir
Von sanfter Wollust meines Daseins glühe?

Einem Kristall gleicht meine Seele nun,
Den noch kein falscher Strahl des Lichts getroffen;
Zu fluten scheint mein Geist, er scheint zu ruhn,
Dem Eindruck naher Wunderkräfte offen,
Die aus dem klaren Gürtel blauer Luft
Zuletzt ein Zauberwort vor meine Sinne ruft.

Bei hellen Augen glaub ich doch zu schwanken;
Ich schließe sie, daß nicht der Traum entweiche.
Seh ich hinab in lichte Feenreiche?
Wer hat den bunten Schwarm von Bildern und Gedanken
Zur Pforte meines Herzens hergeladen,
Die glänzend sich in diesem Busen baden,
Goldfarbgen Fischlein gleich im Gartenteiche?

Ich höre bald der Hirtenflöten Klänge,
Wie um die Krippe jener Wundernacht,
Bald weinbekränzter Jugend Lustgesänge;
Wer hat das friedenselige Gedränge
In meine traurigen Wände hergebracht?

Und welch Gefühl entzückter Stärke,
Indem mein Sinn sich frisch zur Ferne lenkt!
Vom ersten Mark des heutgen Tags getränkt,
Fühl ich mir Mut zu jedem frommen Werke.
Die Seele fliegt, so weit der Himmel reicht,
Der Genius jauchzt in mir! Doch sage,
Warum wird jetzt der Blick von Wehmut feucht?
Ist′ s ein verloren Glück, was mich erweicht?
Ist es ein werdendes, was ich im Herzen trage?
- Hinweg, mein Geist! hier gilt kein Stillestehn:
Es ist ein Augenblick, und alles wird verwehn!

Dort, sieh, am Horizont lüpft sich der Vorhang schon!
Es träumt der Tag, nun sei die Nacht entflohn;
Die Purpurlippe, die geschlossen lag,
Haucht, halbgeöffnet, süße Atemzüge:
Auf einmal blitzt das Aug, und, wie ein Gott, der Tag
Beginnt im Sprung die königlichen Flüge!

Eduard Friedrich Mörike

Eduard Friedrich Mörike (1804 – 1875) deutscher Lyriker, Autor von Prosatexten, Pfarrer

aus: „Gedichte“ von Eduard Mörike. Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung, Stuttgart, 1867. Seite 1 – 2

Morgen ist es besser

LInd‘ und leise wirkt die Zeit

Morgen ist es besser

Überkam dich Sorg' und Weh,
Denk', es sei ein Frühlingsschnee:
Morgen ist es besser.

Frühlingsschnee vom kalten Nord,
Morgen bläst der Süd ihn fort:
Morgen ist es besser.

Wie dein Gram dich quälen mag,
Warte nur noch einen Tag:
Morgen ist es besser.

Einen Tag und einen noch,
Endlich kommt die Hülfe doch:
Morgen ist es besser.

Lind' und leise wirkt die Zeit
Sänftigend auf jedes Leid:
Morgen ist es besser.

Zeit und Arbeit! Mit Verstand
Brauche beide, Kopf und Hand:
Morgen ist es besser.

Gottes Werk ist weise Huld;
Harre nur, und in Geduld:
Morgen ist es besser.

Seine Boten wandeln sacht,
Kommen zu dir in der Nacht:
Morgen ist es besser.

Klopfen an dein Fensterlein,
Flüstern Rat und Trost hinein:
Morgen ist es besser.

Morgen oder gleich darau,
Gib nur nicht die Hoffnung auf:
Morgen ist es besser. -

Überkam dich Sorg' und Weh,
Denk' es sei ein Frühlingsschnee:
Morgen ist es besser.

 Friedrich Wilhelm Weber

Friedrich Wilhelm Weber (1813 – 1894), deutscher Arzt, preußischer Zentrumsabgeordneter, Übersetzer und Versepiker

Herbst

Weht flatternd das Geäst der alten Weide

Herbst

Herbstregen sprüht auf Stoppelfeld und Heide,
Aufschauernd bebt die Erle, nackt und bar,
Und wie im Sturm des Bettlers greises Haar
Weht flatternd das Geäst der alten Weide.
Fort mit den Schwalben flog die Sommerfreude,
Der Wald ist stumm, die Sonne blöd' und blind,
Der letzten Halme letzte Träne rinnt,
Eh' sie zum Schlaf die müden Köpfchen senken.
Bald deckt ihr Grab mit Schnee der Winterwind,
Und bald auch deins. Nun magst du, Menschenkind,
Des eingnen Endes sorgenvoll gedenken.

 Friedrich Wilhelm Weber

Friedrich Wilhelm Weber (1813 – 1894), deutscher Arzt, preußischer Zentrumsabgeordneter, Übersetzer und Versepiker

Frühlingsfreude

Und hör‘ ich dein helles Lachen

Frühlingsfreude

Seh' ich erst wieder blühen
Die Rosen auf deinen Wangen,
So ist mir nie so lieglich.

Mag ich dein Aug' erst wieder
In stiller Klarheit schauen,
Nie war mir lieber die Wonne
Nach langem Wintergrauen.

Und hör' ich dein helles Lachen
Erst wieder klingen und schallen,
Was kümmert mich die Lerchen,
Die Drosseln und Nachtigallen? - 

Nun rede nicht vom Winter,
Wie schwer und trüb er gewesen:
Der Frühling ist gekommen
Und du, du bist genesen!

 Friedrich Wilhelm Weber

Friedrich Wilhelm Weber (1813 – 1894), deutscher Arzt, preußischer Zentrumsabgeordneter, Übersetzer und Versepiker

Die Nacht

Am Himmel ist gar dunkle Nacht

Die Nacht

Am Himmel ist gar dunkle Nacht;
Die müden Augen zugemacht
Hat längst ein jedes Menschenkind;
Es wacht nur noch der rauhe Wind.
 
Der jaget sonder Rast und Ruh
Die Fensterläden auf und zu,
Die Wetterfahne hin und her,
Daß sie muß ächzen und stöhnen schwer.
 
Doch sieh! aus jenem Fenster bricht
In's Dunkel noch ein mattes Licht.
Wer ist's wohl, der in tiefer Nacht.
Bei seiner Lampe einsam wacht
 
Ich schleiche dicht an's Fensterlein,
Schau' durch die runde Scheib' hinein,
Und einen Jüngling zart und schön
Seh' ich an einem Bette stehn.

Und wie ich nach dem Bette schau',
Da schlummert eine kranke Frau.
Er bückt sich über's Bett hinein,
Es muß des Knaben Mutter sein.
 
Vom Bette läßt er nicht den Blick,
Er streicht das braune Haar zurück,
Sacht' hält er ihr das Ohr zum Mund,
Ob sie noch athme zu dieser Stund.

Friedrich Theodor Vicher

Friedrich Theodor Vicher (1807 – 1887), deutscher Philosoph, Dichter, Schriftsteller

Wunder

Daß die lauen Abendwinde

Wunder

Daß die Lerchen wieder singen,
Daß sich Schmetterlinge schwingen,
Gelb und schwarz mit goldnem Saum,
Daß sich grüne Gräser treiben,
Auch nicht eins zurück will bleiben,
Man glaubt es kaum.
 
Daß sie bricht, die starre Binde,
Daß die lauen Abendwinde
Knospen zieh'n aus Busch und Baum,
Daß die Amsel tiefe, volle
Töne durch die Wälder rolle,
Man glaubt es kaum.
 
Daß man durch die Luft, so milde,
Kinderschaaren, liebe wilde,
Jauchzen hört im fernen Raum –
Lang im dumpfen Haus gesessen,
Aber schnelle, schnell vergessen –
Man glaubt es kaum.
 
Und es will mich immer fragen,
Mir in's Ohr ein Wörtlein sagen,
Und es ist mir wie im Traum,
Daß ich selbst vor Jahren, Jahren
Spielte mit den Kinderschaaren,
Man glaubt es kaum.

Friedrich Theodor Vicher

Friedrich Theodor Vicher (1807 – 1887), deutscher Philosoph, Dichter, Schriftsteller

Stille

Es schweiget Feld und See und Wald

Stille

Still, still, still!
Es schweiget Feld und See und Wald,
Kein Vogel singt, kein Fußtritt hallt;
Bald, bald
Kommt weiß und kalt
Der todte Winter
Über dich, Erde,
Und deine Kinder. 
Auch du wirst still,
Mein Herz; der Sturm, der sonst so wild
Dich rüttelt, schweigt. Ein jedes Bild
Verhüllt.
Ganz, ganz gestillt
Liegst du im Schlummer.
Es schweigt die Freude,
Es schläft der Kummer. 
Still, still, still!
Er kommt, er kommt, der stille Traum
Von einen. stillen kleinen Raum.
Kaum, kaum,
Du müder Baum,
Kannst du noch stehen.
Bald wird dich kein Auge
Mehr sehen.

Friedrich Theodor Vicher

Friedrich Theodor Vicher (1807 – 1887), deutscher Philosoph, Dichter, Erzähler, Schriftsteller