Schneeglöckchen
1
Mit dem ersten Lächeln der Natur,
Mit des Frühlings erstem, warmen Kuß,
Mit dem ersten Blümchen unsrer Flur,
Biet' ich, Freundin! dir der Liebe Gruß.
Flüchtig ist der Erbe Freud' und Glück,
Wie die Lenzes früher Sonnenblick,
Flüchtig und freundlich ist Blümchens Leben,
Wie ein Kuß, den die Liebe gegeben.
2
Schneeglöckchen bist ein armes Kind,
Mußt hinaus in Frost und Wind,
Und wenn die Schwestern zum Sonnenfest kommen,
Und ihres bunten Schmucks sich freun,
hat Mutter dir dein Kränzchen genommen,
Dich eingeschlossen in's Kämmerlein!
Arm Blümchen im dunklen Erdenschoß
Teilest wohl mit Manchem dein finsteres Los.
3
Schneeglöckchen sind die Engel, die der Schöpfung
Den Tag der Auferstehung still verkünden,
Sind weiße Tauben, die der Frühling ausschickt,
Zu forschen droben, ob es warm genug
Für seine Blumenkinder sei,
Daß er sie wecke aus dem langen Schlummer
Und an das goldne Licht die Kleinen sende.
Johann Martin Hutterus
Johann Martin Hutterus (1810 – 1865), deutscher Schriftsteller
aus: „Dichtungen“ von J. M. Hutterus. Verlag: Deiters, Münster, 1838. Seite 54 – 55
Die Birke
I.
Die junge Frühlingssonne
Mit zarten Strahlenfädchen
Flirrt um die Jungfer Birke Mattgoldenes Filigran.
Wie eine Braut im Schmucke,
So schäumig schön, jungfräulich,
Steht zwischen schwarzen Tannen
Die schlanke junge Birke.
Könnt ich ein Bildchen malen
Mit zartgehauchten Farben,
Ich malte meine Birke
In junger Frühlingssonne.
Der Himmel sollte sie küssen,
Der heiter helle Himmel,
Und eine weiße Wolke
Schwömme über sie hin.
Das Gras zu ihren Füßen,
Halb hoch im Halm, durcbflockt ich
Mit zarten Rosakelchen
Und blassen Margeriten.
Die sollten still wie Kinder
Aufblicken mit bellen Auge
Zur holden Jungfer Birke
In junger Frühlingssonne.
II.
Birke, wie warf du schön,
Als du im grünen Kleid, Zierliche Jungfrau, standst
Und dir der Frühlingswind Leise durchs zage Gezweig Strich, wie des Bräutigams Hand
Zärtlich der Braut durch die schimmernden
Locken streicht.
Birke, wie bist du scbön,
Die du im goldnen Kleid,
Schöne Matrone, stehst.
Ruhig in klarer Luft
Hängt nun das fahle Gezweig,
Wie die Arme der Frau
Lässig herab im ermüdeten Schoße ruhn.
Otto Julius Bierbaum
Otto Julius Bierbaum (1865 – 1910), deutscher Schriftsteller, Dichtre, Journalist, Redakteur. Pseudonym: Martin Möbius.
aus: „Irrgarten in der Liebe. Verliebte – launenhafte und moralische Lieder, Gedichte und Sprüche aus den Jahren 1885 – 1900“ von Otto Julius Bierbaum. Mit Leisten und Stuecken geschueckt von Heinrich Voegler (1872 – 1942). Verlag: Insel-Verlag, Leipzig, 1901. Gedichte. Landschaften und Stimmungen. Seite 135 -136
Farben
Auf dem Moose mein Kopf,
In den Himmel mein Blick,
In die Himmelsbläue durch Blättergrün,
In die klare, stille, unendliche Welt
Der leuchtenden Luft.
Wie im Märchen, gebannt
Zu schweigendem Schlaf,
Starr stehen die Bäume.
Kein Wipfel rauscht,
Es schaukelt kein Blatt,
Kein Vogel hüpft
Von Zweig zu Zweig,
Von keinem Zweige
Klingt Vogelgesang.
Dem schönheitsoffenen Auge allein
Gehört diese stumme, lebendige Welt.
Des Himmels Blau,
Der Blätter Grün,
Der Stämme und Aeste Schwarz-Grau-Braun:
Sie leuchten ein Lied in den lauschenden Blick,
Wohl lautlos, still, doch voll Harmonie
Und lebenden Glückes voll, das fest
Im Herzen haftet, wie ein Gesang,
Der leise später aus Herzensgrund
Erinnerungsmelodien herauf
In flatterndem Schwellen erklingen lässt
Du sinnst und fragst: Wo kamen sie her?
Wo klangen sie einst sich
Ins Herz mir ein?
Und lauschst dem Lied aus der eigenen Brust,
Und tauchst hinab in des Glückes Tiefen,
Aus denen geheimnissdämmerweich
Der süssen Töne Erinnerung quillt....
Wo klang so voll und zart in Eins
Das Himmelsblau,
Das Blättergrün,
Von wechselndem Grau dumpf untertönt?
Die stumme, leuchtende Melodie
Drängt tief ins Herz:
Ich fühle, einst
Klingt sie herauf
In farbenleerer, dunkler Zeit.
Mein Auge trinke, trinke die tönende, leuchtende Fluth,
Sauge, sauge sie ein, oh Herz,
Waffne, rüste mit Schönheit dich
Gegen die Finsterniss!
Otto Julius Bierbaum
Otto Julius Bierbaum (1865 – 1910), deutscher Schriftsteller, Dichtre, Journalist, Redakteur. Pseudonym: Martin Möbius.
aus: „Irrgarten in der Liebe. Verliebte – launenhafte und moralische Lieder, Gedichte und Sprüche aus den Jahren 1885 – 1900“ von Otto Julius Bierbaum. Mit Leisten und Stuecken geschueckt von Heinrich Voegler (1872 – 1942). Verlag: Insel-Verlag, Leipzig, 1901. Gedichte. Landschaften und Stimmungen. Seite 118 – 120
Dämmerung
Dämmerung mit den milde, grauen Augen
Schreitet über die Erde.
Kühl weht ihr Atem,
Weich und kühl,
Milde wie ruhiger Atemzug
Eines schlummergeküßten,
Backenroten Kindes.
An laufender Ferne ruhendem Rund
Ein goldenes Glänzen, matt verscheidend,
Zerrinnend in zarten, grauen Duft ...
Ob Ruhe! Ruhe! Gabe der Seligkeit,
Die du auf Flügeln der Dämmerung linde
Vom Himmel niederschwebst, gelinde
Das Herz mit warmem Hauche,
Sorgenscheuchend, rührst;
Ob Ruhe, Frieden, Fülle des Seins!
Heut aus grauen Dämmeraugen
Blickst du mich liebreich an und verbeißend,
Und mein Dank schwillt auf im Herzen,
Wie im Auge der seligen Braut
Warme, lachende Tränenflut -
Aber mein Herz muß an verklungene
Tage höheren Glückes denken,
Du ihm friedevolle Liebe
Gütig fromm entgegenleuchtete
Aus zwei braunen Mädchenaugen,
Sonnen der Liebe.
Otto Julius Bierbaum
Otto Julius Bierbaum (1865 – 1910), deutscher Schriftsteller, Dichtre, Journalist, Redakteur. Pseudonym: Martin Möbius.
aus: „Irrgarten in der Liebe. Verliebte – launenhafte und moralische Lieder, Gedichte und Sprüche aus den Jahren 1885 – 1900“ von Otto Julius Bierbaum. Mit Leisten und Stuecken geschueckt von Heinrich Voegler (1872 – 1942). Verlag: Insel-Verlag, Leipzig, 1901. Gedichte. Landschaften und Stimmungen. Seite 106 – 107
Morgenständchen
Ich blase meine Flöte
Im Glanz der Morgenröte
Der Garten voll Tau.
Die Morgenwolken blühen
Am Himmel und glühen
Dir Gruß ins weiße Bett,
Vielliebe, liebe Frau!
Hör aus der Morgenkühle
War Ich im Herzen, fühle
War meine Sehnsucht singt.
Du sollst nicht erwachen,
Dir soll im Traume lachen,
War in der Morgenröte Glanz
Aus meiner Seele.
Ich blase meine Flöte
Im Glanz der Morgenröte
Und bin voll Morgenrot.
Die Bäume und Blumen im Garten
Ich und die Vögel warten,
Bescheer uns, o Herrin, gieb
Uns unser täglich Brot!
Otto Julius Bierbaum
Otto Julius Bierbaum (1865 – 1910), deutscher Schriftsteller, Dichtre, Journalist, Redakteur. Pseudonym: Martin Möbius.
aus: „Irrgarten in der Liebe. Verliebte – launenhafte und moralische Lieder, Gedichte und Sprüche aus den Jahren 1885 – 1900“ von Otto Julius Bierbaum. Mit Leisten und Stuecken geschueckt von Heinrich Voegler (1872 – 1942). Verlag: Insel-Verlag, Leipzig, 1901. Lieder.. Seite 29
Des Narren Herbstlied
Bunt wie mein Mantel und Kleid
Wird nun die Welt, oh weh.
Lacht mir das Herz im Leib,
Wie ich das feb.
Einft war ich jung und frisch,
Eija, da war ich grün,
Grün wie die Weide, daran
Maikätzchen blühn.
Dann kam die Zeit, die Schnitt
Falten ums Maul mir schief.
Grinfen lernte ich da
Und weinte tief.
Trug bald ein bunt Gewand,
Schuppen und Schellen daran,
Webe, es klirrt, wenn ich spring,
Ich alter Mann.
Holla, ein bunter Narr!
Holla, ein Klimperkleid!
Holla, die Welt wird bunt,
Und ich gescheit.
Laßt mich nun schlafen geh'n,
Legt mich ins Grab hinein!
Ueber ein Kleines, ach,
Wird Frühling sein.
Otto Julius Bierbaum
Otto Julius Bierbaum (1865 – 1910), deutscher Schriftsteller, Dichtre, Journalist, Redakteur. Pseudonym: Martin Möbius.
aus: „Irrgarten in der Liebe. Verliebte – launenhafte und moralische Lieder, Gedichte und Sprüche aus den Jahren 1885 – 1900“ von Otto Julius Bierbaum. Mit Leisten und Stuecken geschueckt von Heinrich Voegler (1872 – 1942). Verlag: Insel-Verlag, Leipzig, 1901. Lieder. Seite 25 – 26
Mädchenlied
Auf einem jungen Rosenblatt
Mein Liebster mir geblasen hat
Wohl eine Melodie.
Es gab mir viele Dinge kund,
Das Rosenblatt am rotem Mund.
Und war kein Wort dabei
Und als das Blatt zerblasen war.
Da gab ich meinen Mund ihm dar
Und küsst an ihm mich satt.
Und viel mehr Dinge tat noch kund
Der rote Mund am roten Mund.
Selbst als das Rosenblatt.
Otto Julius Bierbaum
Otto Julius Bierbaum (1865 – 1910), deutscher Schriftsteller, Dichtre, Journalist, Redakteur. Pseudonym: Martin Möbius.
aus: „Irrgarten in der Liebe. Verliebte – launenhafte und moralische Lieder, Gedichte und Sprüche aus den Jahren 1885 – 1900“ von Otto Julius Bierbaum. Mit Leisten und Stuecken geschueckt von Heinrich Voegler (1872 – 1942). Verlag: Insel-Verlag, Leipzig, 1901. Lieder. Seite 18
Das Lächeln
Es gibt ein Lächeln der Liebe
Und es gibt ein Lächeln der Täuschung
Und es gibt ein Lächeln des Lächelns
In dem sich diese beiden Lächeln treffen
Und es gibt ein Stirnrunzeln des Hasses
Und es gibt ein Stirnrunzeln der Verachtung
Und es gibt ein Stirnrunzeln des Stirnrunzelns
Die du vergeblich zu vergessen versuchst
Denn es steckt im tiefen Kern des Herzens
Und es steckt im tiefen Rückgrat
Und kein Lächeln, das je mild war
Sondern nur ein Lächeln allein
Das zwischen Wiege und Grab
Es kann nur einmal sanft sein
Aber wenn es einmal sanft ist
Hat alles Elend ein Ende.
William Blake
William Blake (1757 – 1827), englischer Dichter, Maler, Naturmystiker, Grafiker
aus: „The Pickering Manuscript – autograph manuscript fair copy of ten poems“ (Autogaphe Reinschrift von zehn Gedichten), 1802 – 1804. von William Blake. The Smile
Whose who restrain desure, do so because theris is weak enough to be restraune; and the restrainer er Reason usurps its place & governs the unwilling.
William Blake
William Blake (1757 – 1827), englischer Dichter, Maler, Naturmystiker, Grafiker
aus: „The Marrage of Heaven and Hell“ von William Blake. 1790