Auf einem Gang durch Weimar

Sowie in mancher alten stadt bewahrt

Auf einem Gang durch Weimar

Sowie in mancher alten stadt bewahrt
Ein schön gehauen bild aus früherer zeit
Mehr wirklich lebt als die betriebsamkeit
Die sich am am markt viel lauter lauter offenbart:

So dass ein fremder der nur kurz dort wohnt
Die hastige lust nicht sucht und auch nicht scheut
Doch immer sich am einen bild erfreut
Das für die lange fahrt ihn tröstend lohnt: 

So  Weimar da ich deine strassen mied
Die frohen: lockte eines mehr als bild
Gemälde viel von hofe fröhlich-wild:
Goethe  die schar die toll mit spiel und lied
Mit fackeln wasser teilt' und nachtfild -
Die hügel kichern und es schwazt im ried.

Albert Verwey

Albert Verwey (1837 – 1898), Niederländischer Dichter, Übersetzer, Essayist

See-Stück

Der augen blinkendes zwillingslicht

See-Stück

Hervor aus des haares rabenschwarzen wolken
Der augen blinkendes zwillingslicht
Strahlend bricht.
Des atemzugs wehungen laue und leise
Über die klippen der schultern der weissen
Sachte gleiten.
Indess gegen kleides spitzenküste
Schwellend sich wälzen die wogenden brüste
Schaumweiss doch stumm.
Ach wenn doch klänge
Schmelzend weich und
Zauberisch mild
Hin zu sich tragendes
Liebe-klagendes
Meerfrauenlied!

J. P. Jacobsen

Jens Peter Jacobsen (1847 – 1885), dänischer Schriftsteller, Dichter, Wissenschaftler

Im Garten des Serail

Pinien schaukeln so schweigsam und matt

Im Garten des Serail

Rosen senken ihr haupt so schwer
Von tau und duft.
Pinien schaukeln so schweigsam und matt
In schwerer luft.
Quellen rollen ihr schweres metall
In träger ruh.
Minarets schauen in Türken-vertraun
Dem himmel zu.
Der halbmond spielt in das sanfte blau
So sanft hinein
Und küsst der lilien und rosen schar ·
Alle die blumen klein
Im garten des serail –
Im garten des serail.

J. P. Jacobsen

Jens Peter Jacobsen (1847 – 1885), dänischer Schriftsteller, Dichter, Wissenschaftler

Seraphita

Mir windverschlagen auf des lebens wilder see

Seraphita

Erscheine jezt nicht · traumverlorenes angesicht ·
Mir windverschlagen auf des lebens wilder see –
Sei meine fahrt auch voll von finster sturm und weh:
Hier – jezt – vereinen oder küssen wir uns nicht!

Sonst löscht die laute angst der wasser vor der zeit
Das helle leuchten · deines angedenkens stern
Der durch die nächte herrscht – bleib von mir fern
In deines ruhe-ortes heiterkeit!

Doch wenn der sturm am höchsten geht und kracht
Zerrissen see und himmel · mond in meiner nacht!
Dann neige einmal dem verzweifelten dich dar

Lass deine hand (wenn auch zu spät nun) hilfbereit
Noch gleiten auf mein fahles aug und sinkend haar
Eh grosse woge siegt im lezten leeren streit!

Ernest Dowson Dichter

Ernest Dowson Dichter (1867 – 1900), Schriftsteller

Hefe

Das feuer losch die wärme ward zu rauch

Hefe

Das feuer losch · die wärme ward zu rauch –
So endet jeder sang den einer singt.
Die hefe bleibt · (erschöpft der goldne wein!)
Wie wermut bitter und so scharf wie pein.
Mit kraft und hoffen ging die liebe auch
Wo trüb vergessen tote dinge schlingt ·
Und bis ans end ein zug von geistern schleicht:
Dies war die liebste · dies ein freund vielleicht.
So sitzen wir und warten wunschlos · fahl –
Bald fällt der vorhang · bald schliesst das portal ·
So endet jeder sang den einer singt.

Ernest Dowson Dichter

Ernest Dowson Dichter (1867 – 1900), Schriftsteller

Der Kuss

Die hochzeitskleider die sie heute trug

Der Kuss

Welch qualmend leid in tödlichem verzug
Und welches tückevollen wechsels bann
Dem leib den ruhm · der seele rauben kann
Die hochzeitskleider die sie heute trug!

Denn sieh! ihr mund in dieser stunden flug
Mit meinem solch mittönend spiel begann
Wie Orpheus sehnt · als er sie halb gewann ·
Der darbenden die lezte laute schlug.

Ich war ein kind in ihrer hand · ein mann
Wenn brust an brust wir schmiegten · wir zu zweit
Geist wenn ihr geist durchdringend mich befreit

Gott wenn vorm ganzen lebensatem rann
Das lebensblut · an brunst wetteifernd dann
In feuer feuer · gier in göttlichkeit.

Dante Gabriel Rossetti

Dante Gabriel Rossetti (1828 – 1882), englischer Maler, Übersetzer, Illustrator, Dichter

Der Liebe Erlösung

O welches glück mir deine huld verleiht

Der Liebe Erlösung

Du flössest meinem munde allzeit ein
Der in der liebe stunde fromm entbrennt
Der liebe fleisch und blut im sakrament ·
Ich fühle dir genaht: der odem dei
Muss ihres domes tiefster weihrauch sein ·
Du hast sie stumm empfangen und dir nennt
Sie ihren wunsch dass nichts von dir mich trennt
Und überm kelche sprachst du: denke mein!

O welches glück mir deine huld verleiht
Und welchen ruhm der liebe! trittst du vor
Den steilen weg zu dem verlassnen tor

Zum seufzersee zum ort der traurigkeit
Und bist erlöser dort und steigt befreit
Mein geist aus banden wenn du winkst empor.

Dante Gabriel Rossetti 

Dante Gabriel Rossetti (1828 – 1882), englischer Maler, Übersetzer, Illustrator, Dichter

Lied

Und freude kam mit dem tag

Lied

Liebe legt ihr schlaflos gesicht
Auf dornige rosige schicht ·
Ihre augen von tränen waren rot ·
Ihre lippen waren bleich und tot.

Und angst mit hohn und gram
An ihr bett zu wachen kam ·
Bis die nacht überwältigt entfloh
Und die welt wieder morgen-froh.

Und freude kam mit dem tag
Und küsst' ihren mund der da lag ·
Und der wächter gespenstische schar
Vom kissen entwichen war.

Mit dem frührot ward hell ihr gesicht ·
Ihre lippen wurden rosig und licht.
Herrscht der gram auch durch eine nacht:
Am tag hat die lust wieder macht.


Algermon Charles Swinburne

Algermon Charles Swinburne (1837 – 1909) englischer Dichter, Schriftsteller Dramatiker

Widmung

Ist die welt eurer hand auch an durft reich

Widmung

Das meer gibt die muscheln der düne ·
Das land gibt die wasser dem meer –
Viele sinds · doch ich gebe kühne
Gesänge als erstlinge her ·
Der wind nehme grünblatt und weissblatt 

Ohne früchte geschleuderte schar ·
Nehme weinblatt und rosblatt und geissblatt
Losflatternd vom haar.

Die nacht weht sie um mich in herden ·
Der tag treibt wie träume sie her.
Die zeit streut wie schnee sie auf erden
Und jagt sie in endloses meer.
Bleiche blätter fruchtlos getötet
Von flüchtigen jahren bedeckt ·
Die mit wein die mit blut angerötet
Die von tränen befleckt –

Die im staub mancher jahre verwittert
Die dem kind auf die hand sich gesezt ·
In stillgrünen plätzen vergittert
Gepflückt unter menschen erst jezt –
Auf meeren voll wundern · in schluchten ·
An nördliche felsen gestreift ·
In inseln wo myrten nicht fruchten
Und liebe nicht reift.

Ihr töchter von träumen und märchen
Die das leben noch immer nicht bannt:
Faustina Dolores und Klärchen
Julia und Amaranth!
Werd ich ewig euch suchen müssen
Wenn der schlaf · sei er wahr · sei er schaum ·
Zu mir kommt euch vergeblich zu küssen –
Ihr töchter vom traum?

Sie entwichen wie schlaf · wie auf gräsern
Der tau alter dämmrungen weicht ·
So schwach wie ein schatten auf gläsern ·
Wie ein lied wie ein windzug so leicht.
Nach der ebbe wie seewärts die wogen
Erfüllt mit der finsternis fliehn:
So die singvögel · die mich umflogen
Dem blick sich entziehn.

Toter jahre gesänge die jagen
Auf vernehmlicher worte flug ·
Lose blätter vom strandwind verschlagen ·
Unbändiger vögel zug.
Schon zur schulzeit mir manche gefielen
Die leicht so in ton wie in schwung –
Die jüngsten sind brüder von spielen ·
Die spätsten sind jung.

Ist ein schutz während langsam es schwindet ·
Ist ein ohr für ein fliehendes lied
Wie ein mann es zum harfenklang findet ·
Wie knaben es pfeifen im ried?
Ist ein platz in der welt die ihr gründet ·
Ist ein raum in dem land eurer pracht ·
Wo nicht wechsel mit schmerz sich verbündet
Und tag nicht mit nacht?

Ob vom seewind ihr flügel auch zittert ·
Habt ihr nicht einen raum für sie hier
Von grünenden flüssen umgittert
In lieblicher lüfte revier?
In feldern in turmigen mauern
Schutz bei regen und glühendem schein
Schönen wünschen und mildem bedauern
Und liebe ganz rein?

Im lichtland von märchen und farben –
Die stunden drehn schattenlos um –
Wo das feld voller prächtiger garben
Und tönender blumen gesumm ·
Im wald wo der lenz halb verdüstert
Sein sehnend errötend gesicht ·
Beim quell der für liebende flüstert:
Empfangt ihr sie nicht?
Der sorge singvögel die gurren
Ihr lied wie zum feuer der dunst ·
Der wünsche sturmvögel die murren
Laut-flatternd im winde der brunst ·
In dem windlauf – legt sich sein wüten –
Zu der see fern vom lichte gebraust ·
Geschüttelt im dunkel wie blüten
Nacheinander zerzaust.

Ist die welt eurer hand auch an duft reich
Und lieblicher hehrer erfüllt ·
Süss durch kunst mit dem warm-weichen luft-reich
Ihrer schwebenden schwingen umhüllt:
Lasst sie ein · unbeschwingte · verblasste ·
Alter liebe zu lieb – altem tag
Und empfangt in dem bilder-palaste
Dies reime-gelag.

Ob die menschliche zeit voll verzichten
Die jahre der jugend auch leert ·
Widersteht doch ein ding dem vernichten:
Nie hat wechsel die treue versehrt.
Hoffnung stirbt und ihr tod lässt uns wissen ·
Ihr glück wie ihr leiden entschwand ·
Eh die zeit – allzerreissend – zerrissen
Um freunde das band.

Vergehn auch in ein licht die vielen:
Ist vom himmel zu hoffen erlaubt –
Wenn vor wolken die strahlen auch fielen ·
Ist die welt auch der sonne beraubt:
Sie hat mond und hat schlaf zum bescheide ·
Sinkt bräutlich und frisch – eine fee –
Mit sternen und seewind im kleide
Die nacht auf die see.


 Algermon Charles Swinburne

Algermon Charles Swinburne (1837 – 1909) englischer Dichter, Schriftsteller Dramatiker

Eine Ballade vom Traumland

All die nacht durch traf nicht der schlaf mein auglid

Eine Ballade vom Traumland

All die nacht durch traf nicht der schlaf mein auglid ·
Goss nicht tau · entfaltete keine feder ·
Schloss die lippen fest und metallnen auges
Stand er und sah mich.

Mir dem wach daliegenden kam ein traumbild
Ohne schlummer über das meer · mich rührend ·
Rührte sanft mir lippe und lid und ich dann ·
Voll von dem traumbild 

Sah wie weiss unsöhnbar die Aphrodite
Losen haares ohne sandal am fusse
Schien mit glut von westlichen meeressonnen ·
Sah den gesträubten

Fuss · die straffen federn des taubenzuges ·
Schauend immer · schauend den hals gewendet
Rück nach Lesbos · rück zum gebirg worunter
Schien Mitylene 

Hörte hinter ihr der eroten fliehe
Auf den wassern plötzliche donner machend
Wie der donner fährt von den stark entspannten
Schwingen des sturmwinds.

So verliess die göttin ihr heim mit furchtbarm
Schall von tritt und donner von schwingen um sie ·
Während rückwärts singender fraun gelärme
Drangen durchs zwielicht.

O des sangs · der seligkeit · o der gierde!
Die eroten lauschten in tränen · angst-siech
Standen die neun musen gekrönt um Phöbus ·
Furcht lag auf ihnen 

Da die zehnte sang: ihnen fremde wunder.
O die zehnte Lesbische! alle schwiegen ·
Keine trug den schall dieses lieds vor weinen ·
Lorbeer auf lorbeer

Dorrten alle kränze · doch ihr ums haupt her
Rings um ihre flechten und aschnen schläfe
Weiss wie grabschnee · bleicher als gras im sommer ·
Küsse-verwüstet 

Schien ein licht von feuer als ewge krone ·
Ja fast die unsöhnbare Aphrodite
Hielt und weinte fast · so ein sang war der sang.Ja auch bei namen

Rief sie: zu mir wende dich · meine Sappho!
Doch sie · abgewandt den eroten · sah nicht
Tränen statt gelächter der göttin auge
Trüben · vernahm nicht

Schreckhaft stosshaft schwingen der taubenflügel·
Sah nicht · dass der busen der Aphrodite
Weinend bebte · sah nicht ihr bebend kleid · ihr
Ringen der hände 

Sah die Lesbier über zerschlagne lauten
Küssend · lippen süsser als lautenstränge ·
Mund auf mund und hand zwischen hand dertrauten ·
Schöner als männer

Sah allein die lippen und schönen finger ·
Voll von sang und küssen und kleinem wispern ·
Voll von tönen · schaute nur unter ihnen
Steigen wie vögel

Neulings flück · den sichtbaren sang · ein wunder
Von vollkommenem ton und liebesunmass ·
Süss geformt und furchtbar voll donners trug er
Schwingen des windes.

Dann entzückt und lachend vor liebe streut sie
Rosen · hehre rosen von heiliger blüte ·
Die eroten hüllten sich trüb und drängten
Um Aphrodite 

Und die musen schwiegen · ins herz getroffen ·
Götter wurden bleich · so ein sang war der sang ·
Alle sträubend · alle mit frischem schauder
Flüchteten vor ihr ...

Alle flohn seit längst und das land ward öde ·
Voll von brachen frauen und tönen einzig.
Jezt vielleicht · wenn winde sich abends legen ·
Lullend beim taufall

Kehrt zum grauen seestrand die unerlöste
Ungeliebte im dämmerlicht ungesehne
Schar zurück der klagend verworfnen fraun die
Lethe nicht reinigt

Rings umhüllt von tränen und glut und singend ·
Und das herz des himmels erschüttert pochend
Und das herz der erde vor mitleid brechend ·
Hört sie zu hören.

Algermon Charles Swinburne

Algermon Charles Swinburne (1837 – 1909) englischer Dichter, Schriftsteller Dramatiker