Milch

Die großen Wolken fahren droben,
Ein Traumgebirg der Karawanken,
Mit wehend aufgerißnen Flanken,
Mit Gipfeln, wülstig und zerstoben.

Die großen Sphinxe lagern oben
Mit schlagend schwarzen Fluggedanken,
Die zottigen, bekrallten Pranken
Dem Abgrundsrande hingeschoben.

Und drunten weint in dumpfer Stunde
Das Kind, die Erde, zuckt und wittert
Nach ihrer Brüste dunklen Inseln.

Sie spalten auf; ein Tropfen splittert
Und knospt auf seinem durst'gen Munde
Und blättert ab in weißem Rinnsein.

Gertrud Kolmar

Gertrud Käthe Cohdziesner (1894 -1943? ermordet in Ausschwitz), deutsche Schriftstellerin, Lyrikerin

Ihr Vater züchtete Rosen. Daher hat sie viele Gedichte über Rosen geschrieben. Dieses Gedicht ist der Rose ‚Frau Karl Druschki – Schneekönigin Lambert, 1901‘ gewidmet.

Traumsee

Traumsee

O Stille. O dies Schweigen, dies: Ich blühe.
Wie Seide. Blies dich rosenroter Wind
Aus Hirtenengels Flöte um sein Rind,
Die milchig weißen goldgehörnten Kühe ?

Dein Antlitz badet Tau der Schöpfungsfrühe;
Aus ihren Armen strahlst du, wie ein Kind
Mit Augen, die voll kleiner Falter sind,
So schwebend lächelt unsrer Macht und Müh«

Du lauschst. Der Vögel glitzernd Tirili
Springt nur für dich aus seiner güldnen Dose,
Du Morgenwolkenspiegel. Melodie

Vom Wangenschein gereifter Aprikose.
Du Schimmer. Traumsee einem Kolibri.
Du Duft. Du Niezunennendes. Du: Rose.

Gertrud Kolmar

Gertrud Käthe Cohdziesner (1894 -1943? ermordet in Ausschwitz), deutsche Schriftstellerin, Lyrikerin

Ihr Vater züchtete Rosen. Daher hat sie viele Gedichte über Rosen geschrieben.

Liebe

Ja, neige, neige dich, du Rosenrot,
Du kleine Ampel, Alabasterstern!
Dir will ich dienen, meinem Ruhm und Herrn,
Dir Opfer bieten, Wein und süßes Brot.

O nimm mich ein. Ich führe, sanftes Boot,
Mit deinem Wind in tiefen Abend gern;
Er wiegt dich sacht, und du bist doch schon fern
Und gleitest scheinend nieder in den Tod.

So ohne Flackern schwindest du, o Licht,
So sinkst du, Nachen, ohne Hilfeschrei.
Ich hör' dein Schweigen: hör' den Jammer nicht,

Ich seh' dich an: die Erde rollt vorbei.
Du bist gestorben, Sommertagsgesicht;
Ich lebe, daß ich trauern mag: verzeih.

Gertrud Kolmar

Gertrud Käthe Cohdziesner (1894 -1943? ermordet in Ausschwitz), deutsche Schriftstellerin, Lyrikerin

Kanarienrose

Des Mädchens Taubenhände gurrten zahm

Kanarienrose

Des Mädchens Taubenhände gurrten zahm
Aus licht zitronenfarb und grüner Seide;
Ihr Haar hing schwarz und still und gleich der Weide,
Und ihre Blicke sanken als ein Gram

Auf jenen Vogel, der von Inseln kam,
Dem zaubernd sie aus weichem Fiederkleide
Die Rose träumte. Blühendes Geschmeide.
Ein Duft, wie Wein so gilbend, süß wie Rahm,
Sang aus dem Käfigglase, blauem Becher,
Mit feinem Tönen, hauchte zitternd nieder
Und lag an ihrem märchenbunten Schuh

Gefaltet, blaß, wie ein verlorner Fächer.
Sie neigte sich. Da ward er Vogel wieder
Und schwirrte den Kanarienwäldern zu.

Gertrud Kolmar

Gertrud Käthe Cohdziesner (1894 -1943? ermordet in Ausschwitz), deutsche Schriftstellerin, Lyrikerin

Ihr Vater züchtete Rosen. Das Gedicht ist der Rose ‚Ville de Paris‘ gewidmet.

Die schönen Wunder

Die schönen Wunder

Die schönen Wunder aus den sieben Reichen,
Die bald Zitronenfalter, groß an Stielen,
Bald Zwergflamingos, die in Büsche fielen,
Bald Muscheln sind aus zauberstillen Teichen,

O meine Rosen. Herzen. Mögt ihr bleichen,
Erschlafft, erschöpft von weißen Sonnenspielen,
Verzehrt vom Überschwang, dem Allzuvielen;
Tragt singend euch zu Grabe, süße Leichen!

Ich will euch doch vom lieben Zweig nicht trennen,
Euch nicht im engen, lauen Glase wissen,
Die kurze Spanne Blühn euch kunstreich dehnen.
O gut: an unermeßnem Glanz verbrennen,
Statt, von der heißen Erde fortgerissen,
Ein langes schales Leben hinzusehnen.

Gertud Kolmar

Gertrud Käthe Cohdziesner (1894 -1943? ermordet in Ausschwitz), deutsche Schriftstellerin, Lyrikerin

Achtung

Das Gefühl, nicht die Achtung eines Menschen erwerben zu können, treibt leicht dazu, ihn zu hassen.

Marquis de Vauvenargues Luc de Clapiers

Luc de Clapiers, Marquis de Vauvenargues (1715 – 1747), französischer Philosoph, Moralist und Schriftsteller

Spinnweben

Gesetze sind Spinnweben, die die kleinen Fliegen fangen, aber die großen gehen durch sie hindurch.

Honore de Balzac

Honore de Balzac (1794 – 1850) französischer Schriftsteller, Philosoph

Geschichte

Es gibt zwei Arten von Geschichte

Es gibt zwei Arten von Geschichte: die offizielle, verlogene Geschichte, die gelehrt wird, die Geschichte ad usum delphini; und dann die geheime Geschichte, in der die wahren Ursachen der Ereignisse zu finden sind, eine schändliche Geschichte.

Il y a deux Histoires: l’Histoire officielle, menteuse, qu’on enseigne, l’Histoire ad usum delphini; puis l’histoire secrète, où sont les véritables causes des événements, une Histoire honteuse.

Honore de Balzac

Honore de Balzac (1794 – 1850) französischer Schriftsteller, Philosoph