Wunderlich war’s, daß ich an diesem Morgen weit früher munter war: es war im Sommer. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, die frühe Lerche stieg empor, und jauchzte ihr fröhliches Lied, das sonderbar in meinem Herzen wiederklang.
Ludwig Tieck
Johann Ludwig Tieck (1773 – 1853), deutscher Dichter, Schriftsteller, Dramatiker, Herausgeber, Kritiker und Theoretiker der Romantik. Pseudonyme: Peter Lebrecht und Gottlieb Färber.
aus: „Schriften“ von Ludwig Tieck. Neunter Band, 1828. Verlag: Reimer, Berlin. Seite 161
Blumengruß
Bringt Veilchen mir, daß ich den Frühling schaue,
So lang des Maies zarte Kinder blühn -
Wie sind sie schöne im jungen Morgenthaue!
Bringt Veilchen mir, daß ich den Frühling schaue,
Bringt Blüten mir und junges Maiengrün!
Bringt Rosen mir, des Lenzes Haupt zu krönen,
Die Sanduhr rinnt, die Blüten sinken hin!
Bald wird des Sommers Scheidegruß ertönen!
Bringt Rosen mir, des Lenzes Haupt zu krönen,
Bringt Blumen mir, so lang die Blumen blühn!
Agnes Franz
Louise Antoinette Eleonore Konstanze Agnes Fransky (1794 – 1843)
aus: ‚Gedichte‘ Verfasser: Agnes Franz. Herausgeberin: Julie von Großmann. Verlag und Druck: Puukammer, Berlin, 1845
Nun kannst Du mir aber kein größeres Vergnügen machen, als wenn Du vergnügt und lustig bist – denn wenn ich nur gewiß, daß Dir nichts abgeht – dann ist mir alle meine Mühe lieb und angenehm, – denn die fatalste und verwirrteste Lage, in der ich mich befinden könnte, wird mir zur Kleinigkeit, wenn ich nur weiß, daß Du gesund und lustig bist – und nun lebe recht wohl – benutze Deinen Tischnarren – denkt und redet oft von mir – liebe mich ewig wie ich Dich liebe, und sey ewig meine Stanzi Marini, wie ich ewig sein werde.
Gieb dem N. N. eine Ohfeige, und sag Du hättest eine Fliege todt schlagen müssen, die ich sitzen gesehen hätte! Adieu – paß auf – fang auf – bi – bi bi 3 Büsserln, zuckersüé fligen daher!
Wolfgang Amadeus Mozart an Konstanze
Wolfgang Amadeus Mozart
Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791)
aus: „Wolfgang Amadeus Mozart. Eine Biographie“. Verfasser und Herausgeber: Albert Hermann (1871 – 1927. 2 Bände. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1919/1921 nn
„W.A. Mozart“ Neubearbeitete und erweiterte Ausgabe von Otto Jahns Mozart. Verfasser: Albert Hermann (1871 – 1927). Zweiter Teil, Gehäufte Not und Arbeit. Absatz: Brief an Konstanze.
In der Liebe ist alles richtig, und alles ist falsch. Es ist die einzige Angelegenheit, von der sich nichts Unsinniges sagen läßt.
Nicolas Chamfort
Sébastien Roch Nicolas de Chamfort (1741 – 1794), französischer Dramatiker, Mitglied der Académie Française
Text: ‚Pensées, Maximes, Anecdotes, Dialogues‘
aus: „Produits de la Civilisation perfectioneè. Maximes et pensèes, caractères et anecdotes“ (Produkte der perfektionierten Zvilisation). Verlag: Ginguené, Paris, 1795
Hohler Ton, Violenton, Bang im Herbste, Stöhnte mit ein- Töniger Pein Lang im Herzen.
Ganz verstummt, Wenn Turm summt. Stunden schlagen, Bleich und wach Wein ich nach Früheren Tagen.
Und ich geh Im Wehn und Weh Hingetrieben, Da, dort, Wo verdorrt Blätter stieben.
Paul Verlaine
Chanson d’automne
Les sanglots longs des violons de l’automne blessent mon cœur d’une langueur monotone.
Tout suffocant et blême, quand sonne l’heure, je me souviens des jours anciens et je pleure.
Et je m’en vais au vent mauvais qui m’emporte deçà, delà, pareil à la feuille morte.
Paul Verlaine
Paul Verlaine (1844 – 1896) französischer Lyriker, Dichter, Schriftsteller
aus ‚ Chanson d’automne‘
‚Ausgewählte Gedichte‘ , übertragen von Graf Wolf von Kalckreuth, Verlag Pöschel & Trepte, 1906. Original im Lemerre-Verlag Paris 1866
„Oeuvres complètes de Paul Verlaine“ (Sämtliche Werke von Paul Verlaine). 1908, Paris, Lèon Vanier
Gedicht auch in: „Armer Lelian“, Gedicht der Schwermut, der Leidenschaft und der Liebe. Übertragung: Alfred Wolfenstein. Verlag: Paul Cassainer-Verlag, Berlin, 1925.
Elfenlied
Bei Nacht im Dorf der Wächter rief:
Elfe!
Ein ganz kleines Elfchen im Walde schlief -
Wohl um die Elfe! -
Und meint, es rief ihm aus dem Thal
Bei seinem Namen die Nachtigall,
Oder Silpelit hätt' ihm gerufen.
Reibt sich der sein Schneckenhaus,
Und ist als wie ein trunken Mann,
Sein Schläflein war nict voll gethan,
Und humpelt also tipp tapp
Durch's Haselholz in's Thal hinab,
Schlupft an der Mauer hin so dicht,
Da sitz der Glühwurm, Licht an Licht.
"Was sind das helle Fensterlein?
Da drin wird eine Hochzeit sein:
Die kleinen sitzen bei'm Mahle,
Und treiben's in dem Saale.
Da guck ich wohl ein wenig 'nein!"
- Pfui, stößt den Kopf an harten Stein!
Elfe, gelt, du hast genug?
Gukuk! Gukuk!
Eduard Mörike
Eduard Friedrich Mörike (1804 – 1875) deutscher Lyriker, Autor von Prosatexten, Pfarrer
aus: ‚Gedichte‘ 1867. Eduard Mörike. Verlag der JG Cotta’schen Buchhandlung. Seite 84 – 85
Abendlied
Der Mond ist aufgegangen
Die goldenen Sternlein prangen
Am Himmel hell und klar;
Der Wald steht schwarz und schweiget,
Und aus den Wiesen steiget
Der weiße Nebel wunderbar.
Wie ist die Welt so stille,
Und in der Dämmerung hülle
So traulich und so hold!
Als eine stille Kammer,
Wo ihr des Tages Jammer
Verschlafen und vergessen sollt.
Seht ihr den Mond dort stehen ? -
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sacehn,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.
Wir stolze Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder,
Und wissen gar nicht viel;
Wir spinnen Luftgesinnste,
Und suchen viele Künste,
Und kommen weiter von dem Ziel.
Gott, laß uns dein Heil schauen,
Auf nichts Vergänglichs trauen,
Nicht Eitelkeit uns freun!
Laß uns einfältig werden,
Und vor dir hier auf Erden
Wie Kinder fromm und fröhlich sehn!
Wollt endlich sonder Grämen
Uns dieser Welt uns nehmen
Durch einen Sanften Tod!
Und, wenn du uns genommen,
Laß uns in Himmel kommen,
Du unser Herr und unser Gott!
So legt euch denn, Ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder;
Kalt ist der Abendhauch.
Verschon' uns, Gott! mit Strafen,
Und laß uns ruhig schlafen!
Und unsern kranken Nachbarn auch!
Matthias Claudius
Matthias Claudius (1740 – 1815), deutscher Dichter, Redakteur, Erzähler und Herausgeber des Wandsbecker Boten, Pseudonym Asmus
aus :“Claudius, Asmus omnia sua secum portans, oder Sämtliche Werke des Wandsbecker Bothen, 1774-18121799. Seite 91 – 92