Sommer

Die Sonne war noch nicht aufgegangen

Sommer

Wunderlich war’s, daß ich an diesem Morgen weit früher munter war: es war im Sommer. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, die frühe Lerche stieg empor, und jauchzte ihr fröhliches Lied, das sonderbar in meinem Herzen wiederklang.

Ludwig Tieck

Johann Ludwig Tieck (1773 – 1853), deutscher Dichter, Schriftsteller, Dramatiker, Herausgeber, Kritiker und Theoretiker der Romantik. Pseudonyme: Peter Lebrecht und Gottlieb Färber.

Blumengruß

Bringt Blüten mir und junges Maiengrün

Blumengruß

Bringt Veilchen mir, daß ich den Frühling schaue,
So lang des Maies zarte Kinder blühn -
Wie sind sie schöne im jungen Morgenthaue!
Bringt Veilchen mir, daß ich den Frühling schaue,
Bringt Blüten mir und junges Maiengrün!

Bringt Rosen mir, des Lenzes Haupt zu krönen,
Die Sanduhr rinnt, die Blüten sinken hin!
Bald wird des Sommers Scheidegruß ertönen!
Bringt Rosen mir, des Lenzes Haupt zu krönen,
Bringt Blumen mir, so lang die Blumen blühn!

Agnes Franz

Louise Antoinette Eleonore Konstanze Agnes Fransky (1794 – 1843)

Liebesbrief

Nun kannst Du mir aber kein größeres Vergnügen machen, als wenn Du vergnügt und lustig bist – denn wenn ich nur gewiß, daß Dir nichts abgeht – dann ist mir alle meine Mühe lieb und angenehm, – denn die fatalste und verwirrteste Lage, in der ich mich befinden könnte, wird mir zur Kleinigkeit, wenn ich nur weiß, daß Du gesund und lustig bist – und nun lebe recht wohl – benutze Deinen Tischnarren – denkt und redet oft von mir – liebe mich ewig wie ich Dich liebe, und sey ewig meine Stanzi Marini, wie ich ewig sein werde.

Dein

Stu! – Knaller praller
Schnipp – schanpp – schnur
Schnepeperl –
Snai! –

Gieb dem N. N. eine Ohfeige, und sag Du hättest eine Fliege todt schlagen müssen, die ich sitzen gesehen hätte! Adieu – paß auf – fang auf – bi – bi bi 3 Büsserln, zuckersüé fligen daher!

Wolfgang Amadeus Mozart an Konstanze

Wolfgang Amadeus Mozart

Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791)

In der Liebe ist alles richtig

und alles ist falsch

In der Liebe ist alles richtig

In der Liebe ist alles richtig, und alles ist falsch. Es ist die einzige Angelegenheit, von der sich nichts Unsinniges sagen läßt.

Nicolas Chamfort

Sébastien Roch Nicolas de Chamfort (1741 – 1794), französischer Dramatiker, Mitglied der Académie Française

Herbst

Wo verdorrt, Blätter stieben

Herbst

Hohler Ton,
Violenton,
Bang im Herbste,
Stöhnte mit ein-
Töniger Pein
Lang im Herzen.

Ganz verstummt,
Wenn Turm summt.
Stunden schlagen,
Bleich und wach
Wein ich nach
Früheren Tagen.

Und ich geh
Im Wehn und Weh
Hingetrieben,
Da, dort,
Wo verdorrt
Blätter stieben.

Paul Verlaine

Chanson d’automne

Les sanglots longs
des violons
de l’automne
blessent mon cœur
d’une langueur
monotone.

Tout suffocant
et blême, quand
sonne l’heure,
je me souviens
des jours anciens
et je pleure.

Et je m’en vais
au vent mauvais
qui m’emporte
deçà, delà,
pareil à la
feuille morte.

Paul Verlaine

Paul Verlaine (1844 – 1896) französischer Lyriker, Dichter, Schriftsteller

aus ‚ Chanson d’automne‘

‚Ausgewählte Gedichte‘ , übertragen von Graf Wolf von Kalckreuth, Verlag Pöschel & Trepte, 1906. Original im Lemerre-Verlag Paris 1866

Same der Freien

Durch sie kann ich jetzt den Traum leben

Durch sie kann ich jetzt den Traum leben. Ich bin der Same der Freien, und ich weiß es. Ich habe vor, große Früchte zu tragen.

Sojourner Truth

Sojourner Truth ‚Isabella‘ Baumfree (1797 – 1883) US-amerikanische Frauenrechtlerin, Geschichtsschreiberin, Autorin, Wanderpredigerin, Abolitionstin.

Wenn Frauen mehr Rechte wollen

warum nehmen sie sie sich nicht einfach

If woman want rights more than they got, why don’t they just take them, and not be talking about it.

Wenn Frauen mehr Rechte wollen, als sie haben, warum nehmen sie sie sich nicht einfach, ohne darüber zu reden.

Sojourner Truth

Sojourner Truth ‚Isabella‘ Baumfree (1797 – 1883) US-amerikanische Frauenrechtlerin, Geschichtsschreiberin, Autorin, Wanderpredigerin, Abolitionstin.

Elfenlied

Ein kleines Elfchen im Walde schlief

Elfenlied

Bei Nacht im Dorf der Wächter rief:
Elfe!
Ein ganz kleines Elfchen im Walde schlief -
Wohl um die Elfe! -
Und meint, es rief ihm aus dem Thal
Bei seinem Namen die Nachtigall,
Oder Silpelit hätt' ihm gerufen.
Reibt sich der sein Schneckenhaus,
Und ist als wie ein trunken Mann,
Sein Schläflein war nict voll gethan,
Und humpelt also tipp tapp
Durch's Haselholz in's Thal hinab,
Schlupft an der Mauer hin so dicht,
Da sitz der Glühwurm, Licht an Licht.
"Was sind das helle Fensterlein?
Da drin wird eine Hochzeit sein:
Die kleinen sitzen bei'm Mahle,
Und treiben's in dem Saale.
Da guck ich wohl ein wenig 'nein!"
- Pfui, stößt den Kopf an harten Stein!
Elfe, gelt, du hast genug?

Gukuk! Gukuk!

Eduard Mörike

Eduard Friedrich Mörike (1804 – 1875) deutscher Lyriker, Autor von Prosatexten, Pfarrer

aus: ‚Gedichte‘ 1867. Eduard Mörike. Verlag der JG Cotta’schen Buchhandlung. Seite 84 – 85

Abendlied

Weil unsre Augen sie nicht sehn

Abendlied

Der Mond ist aufgegangen
Die goldenen Sternlein prangen
Am Himmel hell und klar;
Der Wald steht schwarz und schweiget,
Und aus den Wiesen steiget
Der weiße Nebel wunderbar.

Wie ist die Welt so stille,
Und in der Dämmerung hülle
So traulich und so hold!
Als eine stille Kammer,
Wo ihr des Tages Jammer
Verschlafen und vergessen sollt.

Seht ihr den Mond dort stehen ? -
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sacehn,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.

Wir stolze Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder,
Und wissen gar nicht viel;
Wir spinnen Luftgesinnste,
Und suchen viele Künste,
Und kommen weiter von dem Ziel.

Gott, laß uns dein Heil schauen,
Auf nichts Vergänglichs trauen,
Nicht Eitelkeit uns freun!
Laß uns einfältig werden,
Und vor dir hier auf Erden
Wie Kinder fromm und fröhlich sehn!

Wollt endlich sonder Grämen
Uns dieser Welt uns nehmen 
Durch einen Sanften Tod!
Und, wenn du uns genommen,
Laß uns in Himmel kommen,
Du unser Herr und unser Gott!

So legt euch denn, Ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder;
Kalt ist der Abendhauch.
Verschon' uns, Gott! mit Strafen,
Und laß uns ruhig schlafen!
Und unsern kranken Nachbarn auch!

Matthias Claudius

Matthias Claudius (1740 – 1815), deutscher Dichter, Redakteur, Erzähler und Herausgeber des Wandsbecker Boten, Pseudonym Asmus