Glück

Die meisten Menschen suchen ihr Glück

Die meisten Menschen suchen ihr Glück darin, alle ihre Wünsche befriedigen zu können. Wehe dem Unglücklichen, dessen Wünsche erfüllt erden und dem nichts nicht zu wünschen bleibt.

Paolo Montegazza

Paolo Montegazza (1831 – 1910) italienischer Physiologe, Anthrologe, Neurologe, Arzt, Autor

Die Raupe und der Schmetterling

Ein kleine Raupe lag

Die Raupe und der Schmetterling

Eine kleine Raupe lag,
In ihr Leichentuch gesponnen,
Tot im Angesicht der Sonnen,
Und es war der schönste Tag.

Ein schöner Schmetterling
Kam geflogen, setzte sich
Neben sie, und sagte: dich
Arme Raupe wird nun bald
Die allmächtige Gewalt,
Die dort oben strahlt, erheben;
Und, in schönerer Gestalt
Als du starbest, wirst du leben!
Ach! Ich will doch Achtung geben,
Wie du zu dem neuen Leben
Wirst hervor gehn!

Plötzlich warf
Sie die Schaal' ab, ließ sie liegen,
Und, der schöne Schmetterling
Sah den neuen Engel fliegen,
Wenn ich ihn so nennen darf.

J. W. L. Gleim

Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) deutscher Dichter, Sekretär, Fabeldichter, Schriftsteller, Aufklärer

Die Katze und die Maus

Lauf Mäuschen!

Die Katze und die Maus

Einst spielte eine Katze
Mit einer kleinen Maus.
»Lauf', Mäuschen!« sagte sie, und warf die scharfe Tatze
Liebkosend nach, ließ auf und nieder
Sie laufen, fing sie wieder
Und sah vergnügt und freundlich aus.

»Ach, liebe Katze!« sprach die Maus,
»Ich kenne diese Schmeicheleien
Und diese Scherze; ach! sie dräuen
Mir armem Mäuschen bittern Tod!«

»Was?« sprach die Katze, »das ist Spott!«
Und biß sie todt!

J. W. L. Gleim

Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) deutscher Dichter, Sekretär, Fabeldichter, Schriftsteller, Aufklärer

Das Lied im Herzen

In meinem Herzen wohnt ein LIed

Das Lied im Herzen

In meinem Herzen wohnt ein Lied,
Das brächt ich gern heraus;
Es neckt und nagt und drückt und zieht,
Und wähnt zu sein ein freies Lied,
Und bleibt doch stets zu Hauf'!

Und lausch' ich ihm, so kommt mir's vor,
Als säng's mit leisem Ton
Den Grazien, den Musenchor,
Und dem Apollo selbst in's Ohr,
Der holden Liebe hohn.

Die holde Liebe leckte mich
In ihrem Myrrthenhain,
Und lie´darin den Mann, - der sich
In ihr geheimstes Läubchen schlich,
Und mich, - nicht glücklich sehn!

J. W. L. Gleim

Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) deutscher Dichter, Sekretär, Fabeldichter, Schriftsteller, Aufklärer

Die Rosen

Mit Grazien tanzt

Die Rosen

Der Rosen pflanz' ich immer mehr und mehr!
Weil Amor sich mit Rosenkränzen
Am liebst schmückt, wenn er
Mit den Grazien tanzt;
So werden in allen Herbsten und Lenzen
Rosen gepflanzt!

Mit Rosen schmück' ich mir mein braunes Haar,
Mit Rosen schmück' ich Amores Köcher,
Die ganze Musenschaar
Ist mit Rosen geschmückt,
Wenn Bachus in die geräumigen Becher
Rebensaft drückt!


J. W. L. Gleim

Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) deutscher Dichter, Sekretär, Fabeldichter, Schriftsteller, Aufklärer

An Doris

Zwei schöne Tage sind verloren

An Doris

Zwei schöne Tage sind verloren,
Ich sah' an ihnen Doris nicht!
Ich sah' in ihrer Pracht Auroren,
In ihrer Schönheit sah' ich Floren,
Sah Luna's sanftes Silberlicht,
Doch meine Doris sah' ich nicht;
Zwei schöne Tage sind verloren!

Ach hätt' ich doch die Tage wieder,
Wie schöner noch mit ihr, mit ihr!
Mit ihr säng' ich Autoren Lieder,
Die Grazien und ihre Brüder,
Die Liebesgötter alle hier,
Umarmen sie und dienten ihr!
Ach, hätt ich doch die Tage wieder!

J. W. L. Gleim

Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) deutscher Dichter, Sekretär, Fabeldichter, Schriftsteller, Aufklärer

Die Rose

Mein erster Kuss und diese Rose, schön

Die Rose

Wenn meine Doris diese Rose nimmt,
Die in der liebe Feuerfarbe glimmt,
Dann hoff' ich wird sie sich bequemen,
Den ersten Kuss von mir zu nehmen.

Mein erster Kuss und diese Rose, schön,
Wie Doris, mögen dann zusammen gehen,
Wie zwei vertraute gute Seelen,
Und ihrer Liebe mich empfehlen!

J. W. L. Gleim

Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) deutscher Dichter, Sekretär, Fabeldichter, Schriftsteller, Aufklärer

An drei schöne Mädchen

An euch, ihr Grazien, aus euch

An drei schöne Mädchen

Aus euch, ihr Grazien, aus euch
Soll ich die Liebste mir erwählen?
Ihr seht einander ja so gleich:
Die Schönste kann ich nicht verfehlen!
Allein, ihr Grazien, aus euch
Möcht' ich die Zärtlichste mir wählen,
Und ach, die Zärtlichste von euch,
Die könnt' ich nur zu leicht verfehlen! 

J. W. L. Gleim

Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) deutscher Dichter, Sekretär, Fabeldichter, Schriftsteller, Aufklärer

Amor ein Vogel

Sieh‘, wie dort ein kleiner Vogel

Amor ein Vogel

Sieh’, wie dort ein kleiner Vogel

Auf dem Myrthenzweige sitzt,

Lauschend in die Ferne siehet

Und den Mund zum Pfeifen spitzt! 

Denkt er Mädchen, deren Busen

Nicht sein schärfster Pfeil durchdrang,

Hier im Garten zu besiegen

Mit harmonischem Gesang?

 
O, du holder kleiner Vogel,

Meine Magdalis ist hier:

Pfeif’ ein Liedchen, liebster Vogel,

Und ihr Herz erpfeife mir!

J. W. L. Gleim

Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) deutscher Dichter, Sekretär, Fabeldichter, Schriftsteller, Aufklärer

An feinen Blumen

Ihr, meine Blümchen blühet da

An feinen Blumen

Ihr, meine Blümchen, blühet da
Für meinen Geist und mein Gesicht;
O blühet fort und welkt doch ja
In diesen dreien Tagen nicht!

In diesen dreien Tagen will,
Zu meinem himmlischen Entzücken,
Begleitet von den Musen, still
Mein Mädchenkommen und euch pflücken!


J. W. L. Gleim

Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) deutscher Dichter, Sekretär, Fabeldichter, Schriftsteller, Aufklärer