Aquarium

Ach, meine Wünsche tragen

Aquarium

Ach, meine Wünsche tragen
Die Seele nicht mehr an den Strand der Lider
Zur Ebbe von Gebet und Klagen
Sank sie hernieder.

Tief im geschlossenen Auge sie ruht.
Nur ihr Odem treibt matt und weiss
Noch empor an den Rand der Flut
Lilien von Eis ...

Ihre Lippen im Schmerzabgrunde
Schliesst unendliches Wellenspiel;
Und doch blühen aus ihrem Munde
Blumen auf blauem Stil.

Vor ihren Händen mein Blick erbleicht, 
Wenn er der Lilien Spur nachzieht,
Die, von einander unerreicht, Sich tot geblüht.

Und ich weiss, dass der Tod ihr naht,
Faltet sie nur ihre matten Hände,
Allzu schwach zu der Blumen Mahd,
Die keiner mehr fände ...

Maurice Maeterlinck

Graf Maurice (Moorien) Polidore Marie Bernhard Maeterlinck (1862 – 1949) belgischer Schriftsteller, Dramatiker. Literaturnobelpreis 1911.

Glasglocken

Auf alten Schnee sind etliche gestellt

Glasglocken

Glasglocken ihr! 
Seltsame Pflanzen, immerdar geschützt,
Und draussen stürmt der Wind durch meine Sinne!
Ein ganzes Tal der Seele ewig regungslos
Und feuchte Wärme, mittags eingeschlossen!
Die Bilder, die man an des Glases Oberfläche sieht!


Hebt niemals eine auf!
Auf alten Mondschein sind ein paar gestülpt.
Blick' durch das Blattwerk:
Es sitzt vielleicht ein Landstreicher auf dem Thron,
Man meint, Seeräuber lauerten auf einem Teich,
Und Vorwelttiere drohen Überfall den Städten.

Auf alten Schnee sind etliche gestellt,
Gestülpt sind andre über alten Regen.
(Habt Mitleid mit dem eingeschlossnen Dunst!) 
ch hör' ein Fest am Sonntag feiern in der Teurung,
Ein Lazarett ist auf dem Erntefeld,
Und alle Königstöchter irren an einem Fasttag durch die Auen!

Gib acht auf die am Horizont zumal!
Sie decken alte Ungewitter sorgsam zu!
O, irgendwo muss eine grosse Flotte im Sumpfe sein!
Und Schwäne haben, deucht mich, Raben ausgebrütet!
(Kaum sieht man durch den feuchten Dunst!)

Eine Jungfrau begiesst Farnkraut mit heissem Wasser,
Und eine Schar von kleinen Mädchen belauscht den Klausner in der Zelle.
In einer gift'gen Grotte Grund sind meine Schwestern eingeschlafen!
O harrt, bis endlich Mond und Winter Die Glocken decken, rings im Eis verstreut!

O harrt, bis endlich Mond und Winter
Die Glocken decken, rings im Eis verstreut! 

Maurice Maeterlinck

Graf Maurice (Moorien) Polidore Marie Bernhard Maeterlinck (1862 – 1949) belgischer Schriftsteller, Dramatiker. Literaturnobelpreis 1911.

Glücklichsein

Denn gewöhnlich ist es nicht das Glück

Glücklichsein heißt, die Ungeduld nach dem Glück hinter sich zu haben.
Denn gewöhnlich ist es nicht das Glück, was uns fehlt, sonders das Wissen um das Glück.
Wozu dient es, so glücklich wie möglich zu sein? Das Bewußtsein des kleinsten Glückes trägt viel mehr zu unserer Glückseligkeit bei, als das größte Glück, das unsere Seele achtlos übersieht. Zu viele Wesen bilden sich ein, das Glück sei etwas anderes als sie selbst, und darum sollten die, welche das Glück haben, uns zeigen, daß sie nicht mehr besitzen, als wie im Grunde unseres Herzens alle besitzen.

Es gibt nichts Gerechteres als das Glück, nichts das getreuer die Form unserer Seele annimmt, nichts, das genauer die Stellen ausfüllt, welche die Weisheit ihm geöffnet hat.

Maurice Maeterlinck

Graf Maurice (Moorien) Polidore Marie Bernhard Maeterlinck (1862 – 1949) belgischer Schriftsteller, Dramatiker. Literaturnobelpreis 1911.

Waldlied

Im Walde geh‘ ich wohlgemuth

Waldlied

Im Walde geh' ich wohlgemuth,
Mir graut vor Räubern nicht;
Ein liebend Herz ist all mein Gut,
Das sucht kein Bösewicht.

Was rauscht, was raschelt durch den Busch?
Ein Mörder, der mir droht?
Mein Liebchen kommt gesprungen, husch!
Und herzt mich fast zu todt.

Ludwig Uhland

Ludwig Uhland (1787 – 1862), deutscher Dichter, Literaturwisenschaftler, Jurist, Politiker

Im Herbste

Seid gegrüßt mit Frühlingswonne

Im Hebste

Seid gegrüßt mit Frühlingswonne,
Blauer Himmel, goldne Sonne!
Drüben auch aus Gartenhallen
Hör' ich frohe Saiten schallen.

Ahnest du, o Seele, wieder,
Sanfte, sühe Frühlingslieder?
Sieh umher die falben Bäume!
Ach! es waren holde Träume.

Ludwig Uhland

Ludwig Uhland (1787 – 1862), deutscher Dichter, Literaturwisenschaftler, Jurist, Politiker

Lied des Gärtners

Laßt euch plfücken, laßt euch pflücken

Lied des Gärtners

Laßt euch pflücken, laßt euch pflücken,
Lichte Blümlein, meine Lust!
Denn ihr sollet lieblich schmücken
Meiner schönsten Fürstin Brust.

Glühet purpurn nach der Süßen,
Aeugelt blau empor zu ihr!
Ach! ihr müßt es endlich büßen,
Sinken ohne Glanz und Zier.

Einst auch glühten meine Wangen,
Meine Augen hin nach ihr:
Nun ist alles Roth vergangen,
Aller blaue Schimmer mir.

Ludwig Uhland

Ludwig Uhland (1787 – 1862), deutscher Dichter, Literaturwisenschaftler, Jurist, Politiker

Freude

Wenn GIft und Galle die Welt dir deut

Wenn Gift und Galle die Welt dir deut
Und du möchtest das Herz dir gesund bewahren;
Mach andern Freude! Du wirst erfahren,
Daß Freude freut.

Friedrich Theodor Vicher

Friedrich Theodor Vicher (1807 – 1887), deutscher Philosoph, Dichter, Schriftsteller

Jung sein ist Glück

Jung bleiben ist mehr

Jung sein ist Glück und vergeht wie Dunst,
Jung bleiben ist mehr und ist eine Kunst.

Friedrich Theodor Vicher

Friedrich Theodor Vicher (1807 – 1887), deutscher Philosoph, Dichter, Schriftsteller

Lüg dich selbst nicht an

Bewahrst vor Lügen und Trügen

Was schützt vor ungerader Bahn,
Bewahrt vor Lügen und Trügen!
Lüg allererst dich selbst nicht an,
Wirst andre nicht belügen.

Friedrich Theodor Vicher

Friedrich Theodor Vicher (1807 – 1887), deutscher Philosoph, Dichter, Schriftsteller

Das Leben ist schwer

das will Bedacht

Das Leben ist schwer, das will Bedacht;
Vor dir besonders nimm dich in acht!

Friedrich Theodor Vicher

Friedrich Theodor Vicher (1807 – 1887), deutscher Philosoph, Dichter, Schriftsteller