Geduld

Umstarrt vom Eis des Norden

Geduld

Umstarrt vom Eis des Norden
In trüber Einsamkeit,
Ist mir ein Blümchen worden
Das duftend mich erfreut.

Im Thaue bittrer Thränen
Entfaltete es sich,
Und heilte von dem Sehnen
Nach bessrer Zukunft mich.

Tief trag ich es verborgen
In der verschwiegnen Brust.
Da wandelt’s meine Sorgen
In stiller Wehmuth Lust.

Um mein Geschick zu tragen
Gab mir’s des Himmels Huld.
Wie heisst es? wirst Du fragen.
Das Blümchen heisst – – Geduld.

Natalie

Charlotte von Ahlfeld

Charlotte Elisabeth Luise Wilhelmine von Ahlefeld (1781 – 1849). Pseudonyme: Elisabeth Selbig, Natalia, Emetine, Frau Charlotte Seebach Felicitas, Elise Selbig, Marie Müller. Deutsche Schriftstellerin, Dichterin

Der Frühlingstag

Wenn über mir das reine Blau der Luft

Der Frühlingstag
(Sophiens Schattengewidmet)

Wenn über mir das reine Blau der Luft
Und rings um mich der Blüthenbäume Duft
Den Frühlingstag in mein Gedächtniss ruft,
Der unsre Herzen liebend einst verband,
Als ich zuerst Dein Innerstes verstand –
Dann blick’ ich, wie in meines Glücks Ruinen,
Hin auf Dein Grab, um das Cipressen grünen.

Und dann berührt das Bild vergangner Stunden
Auf’s neu in mir der ew’gen Trennung Wunden.
Dich zu verlieren hatt’ ich Dich gefunden! –
Und Thränen fliessen jenem Frühlingstag
Und Dir, die Du ihm lächelnd glichest, nach.
Doch ach, so heiss, so bitter sie auch rinnen –
Sie können nicht der Gruft Dich abgewinnen.

Natalie

Charlotte von Ahlfeld

Charlotte Elisabeth Luise Wilhelmine von Ahlefeld (1781 – 1849). Pseudonyme: Elisabeth Selbig, Natalia, Emetine, Frau Charlotte Seebach Felicitas, Elise Selbig, Marie Müller. Deutsche Schriftstellerin, Dichterin

Vergänglichkeit

Vergänglich ist das festeste im Leben

Vergänglichkeit

Vergänglich ist das festeste im Leben –
Was trauerst Du, daß Liebe auch vergeht?
Laß sie dahin in's Reich der Zeiten schweben,
Leicht, wie des Lenzes Blüthenhauch verweht.

Doch halte fest ihr Schattenbild im Herzen,
Und segne dennoch freudig Dein Geschick,
Schließt auch sich eine Reihe bittrer Schmerzen
An Deines Glückes kurzen Augenblick.

Du hast gelebt, denn Liebe nur ist Leben!
Sie nur allein webt um den dunklen Traum,
Dem wir den Nahmen unsers Daseyns geben,
Der höchsten Wonne glanzerfüllten Saum.

So zürne nicht des Schicksals finstern Mächten,
Wenn sie des Lebens Sonne Dir entziehn.
Nicht ewig läßt sie sich in unsre Bahn verflechten,
Ach, sei zufrieden, daß sie einst Dir schien.

Natalie

Charlotte von Ahlfeld

Charlotte Elisabeth Luise Wilhelmine von Ahlefeld (1781 – 1849). Pseudonyme: Elisabeth Selbig, Natalia, Emetine, Frau Charlotte Seebach Felicitas, Elise Selbig, Marie Müller. Deutsche Schriftstellerin, Dichterin

Wiegala, wiegala, weier

der Wind spielt auf der Leier.

Wiegala, wiegala, weier

Wiegala, wiegala, weier,
der Wind spielt auf der Leier.
Er spielt so süß im grünen Ried,
die Nachtigall, die singt ihr Lied.
Wiegala, wiegala, weier,
der Wind spielt auf der Leier.
 
Wiegala, wiegala, werne,
der Mond ist die Laterne,
er steht am dunklen Himmelszelt
und schaut hernieder auf die Welt.
Wiegala, wiegala, werne,
der Mond ist die Lanterne.
 
Wiegala, wiegala, wille,
wie ist die Welt so stille!
Es stört kein Laut die süße Ruh,
schlaf, mein Kindchen, schlaf auch du.
Wiegala, wiegala, wille,
wie ist die Welt so stille!

Ilse Weber

Ilse Weber, geborene Herlinger (1903 – 1942, KZ Ausschwitz-Birkenau)deutsch-tschechische Schriftstellerin, Dichterin, Kindermärchenschreiberin.

Und der Regen rinnt

Und der Regen rinnt, und der Regen rinnt…

Und der Regen rinnt

Und der Regen rinnt, und der Regen rinnt...
Ich denk im Dunklen an dich, mein Kind.
Hoch sind die Berge und tief ist das Meer,
mein Herz ist müd und sehnsuchtsschwer.
Und der Regen rinnt, und der Regen rinnt...
Warum bist du so fern, mein Kind?
 
Und der Regen rinnt, und der Regen rinnt...
Gott selbst hat uns getrennt, mein Kind.
Du sollst nicht Leid und Elend sehn,
sollst nicht auf steinigen Gassen gehn.
Und der Regen rinnt, und den Regen rinnt...
Hast du mich nicht vergessen, Kind?


Ilse wweber

Ilse Weber, geborene Herlinger (1903 – 1942, KZ Ausschwitz-Birkenau)deutsch-tschechische Schriftstellerin, Dichterin, Kindermärchenschreiberin.

Spruch

Gute Nacht, gute Nacht, du bunte Frau Welt!

Spruch

"Gute Nacht, gute Nacht, du bunte Frau Welt!"
Das ist ein Lied, das üb' ich mir ein.
Denn ob mir's auch ziemlich allhier noch gefällt, -
Das Lied will doch endlich gesungen sein,
Und nur wer es übt mit stätigem Mut,
Singt's in der entscheidenden Stunde gut.

Friedrich de la Motte Fouqué

Friedrich Heinrich Karl de la Motte Fouqué (1777 – 1843), deutscher Dichter, Schriftsteller

Lebensmut

Wenn in’s Blaue die Falken steigen,

Lebensmut

Wenn in's Blaue die Falken steigen,
Steigt die kühne Seele mit!
Wenn sich Abends Blumen neigen,
Ach die Seele neigt sich mit!

Ahnt in jenem kühnen Steigen,
Wie sie streiten wird und stritt!
Ahnt in diesem süßen Reigen,
Was sie leiden wird und litt!

Leid' und streite, liebe Seele!
Er, der für dich litt und stritt,
Er, der Eine sonder Fehle,
Siegt im Kampf, und du siegst mit!

Friedrich de la Motte Fouqué

Friedrich Heinrich Karl de la Motte Fouqué (1777 – 1843), deutscher Dichter, Schriftsteller

Der Fremdling

Kommt der Schakal in das große Hotel.

Der Fremdling

Kommt der Schakal in das große Hotel.
Trägt seinen lausigsten Smoking.
»Haben Sie angefaultes Kamel?«
Auf sprang Miss Silverstone: »Shocking!«

»Führen Sie«, hat der Schakal dann gefragt, (Putzte dabei sich die Klauen)
»Beduinen, halb abgenagt?«
Zuckte der Ober die Brauen ...

Kratzt der Schakal sich verstimmt das Gesäß. Stöhnte die schöne Yvette:
»Insupportable! Quelle bete affreuse!«
(Und ging alleine zu Bette.)

»Gibt es bei Euch« fragte noch der Schakal ... »Grünliche Pagen«, sie rannten,
Führten ihn lächelnd durchs leere Lokal. (AUSGANG FÜR LIEFERANTEN.)

Fragte daheim den Schakal man sofort:
»Sie sind nicht länger geblieben?!«
»Jaaa«, sprach Schakal, »diiieses Tempo dort!
Es hat mich aufgerieben!« ...

Peter Hammerschlag

Peter Hermann Hammerschlag (1902 – 1942, KZ Ausschwitz), österreichischer Schriftsteller, Dichter, Graphiker, Kabarettist.

Klein-Skunks, das Stinktier

Zur Urwaldschule früh um neun

Klein-Skunks, das Stinktier

Zur Urwaldschule früh um neun

Gehn Pantherchen und Löwchen,
Klein-Stinktier und Jung-Warzenschwein,
Das Äffchen und das Schäfchen.

Der Lehrer Nashorn spricht: «Klein-Skunks,
Was sagt mir meine Nase?!»

Klein-Skunks erwidert: «Allerdungs!

Ich stink, doch nur zum Spaße.

Mein Fellchen ist ganz unbedingt

So rein wie eine Lilie.

Mein Vati stinkt, mein’ Mutti stinkt —
Das liegt in der Familie.»

Der Lehrer Nashorn bläht voll Zorn
Die dicken Backentaschen:

«Zum Stinken ist man nicht gebor’n!
Und jetzt wirst du gewaschen!»

Schuldiener Waschbär kam heran

Mit Brummen und Gekeife,

Und fing Klein-Skunks zu waschen an
Mit Bürste und mit Seife.

Das kleine Stinktier zeterte:

«Die Seife beißt mein Äuglein!»
Hopps! sprang es auf und kletterte
Happs! auf ein Palmenzweiglein.

Seither treibt sich Klein-Skunks herum,
Ein ungeschliffner Flegel,

Und spielt im Urwald dreist und dumm
Mit Kokosnüssen Kegel.

Doch wenn es das Wort «Schule» hört,
Pflegt es sich zu entfernen.

Wo man das Stinken ihm verwehrt,
Dort will es auch nicht lernen.

Moral: Das kleine Stinktier kann sich nicht helfen —
aber Ihr, liebe Kinder, lasst euch doch hoffentlich
brav waschen, bevor ihr in die Schule geht?

Peter Hammerschlag

Peter Hermann Hammerschlag (1902 – 1942, KZ Ausschwitz), österreichischer Schriftsteller, Dichter, Graphiker, Kabarettist.

Wie der kleine Affe Jodokus bescheiden wurde

Seht her, ich bin ein Wunderkind!

Wie der kleine Affe Jodokus bescheiden wurde

Der Affenknabe J odokus
Turnt fröhlich durchs Gelände
Und rief: „Es ist ein Hochgenuss!
Ich hab statt Füße Hände!“

Zum Schulhaus hopste er geschwind
Und lernte buchstabieren:
„Seht her, ich bin ein Wunderkind!
Ich schreib mit allen Vieren!"

Er nahm - das freut ihn königlich -
In jede Hand ‘ne Feder
Und kritzelte und dachte sich:
Das kann halt nicht ein jeder.

Doch ach, damit war’s nicht weit her.
Er glaubte, dass er hexe -
Und macht an Fehlern viermal mehr
Und achtmal soviel Kleckse.

Klein-Jodokus, bald kommst du drauf:
So bunt darf man’s nicht treiben.
Drei Hände heb für später auf -
Lern erst mit einer schreiben!

Peter Hammerschlag

Peter Hermann Hammerschlag (1902 – 1942, KZ Ausschwitz), österreichischer Schriftsteller, Dichter, Graphiker, Kabarettist.