Mutterliebe oder Henne und Küchlein

Frau Gertrud ging mit der kleinen Helen durch’s Dorf

Mutterliebe oder Henne und Küchlein

Frau Gertrud ging mit der kleinen Helene durch's Dorf. Überall blühten die Blumen und sangen die Vögel. Jetzt kamen sie auf eine Wiese voll herrlicher Blumen. "Laß uns hier bleiben!" bat Lenchen, und gern erlaubt ihr die Mutter, sich einige Himmelschlüssel und Schneeglöckchen zu pflücken.
Da kam eine Henne vom Dorfe daher, die führe acht Küchlein. 
"O sieh, liebe Mutter," rief Lenchen erfreut, "die niedlichen Kleinen! Wie wollig und rund sehn sie aus, und wie laufen sie alle so behende! Könnte ich doch nur Eines für mich fangen, und mit mir nach Hause nehmen!"
Mit diesen Worten sprang sie schnell zu den Küchlein, und versuchte Eines zu haschen. Aber die Kleinen waren viel schneller als sie. Ängstlich piepend liefen sie auseinander, und verkrochen sich in das hohe Gras. Gluck, gluck! rief die Henne, und sieh, da kamen sie alle gehorsam herbei, eines langsam, das anders schnell, bis sich zuletzt mehrere überstürzten, und dennoch wieder auf die kleinen Beinchen zu stehen kamen.

"Ist dies die Mutter, und das ihre Kinder?" frug Lenchen. "Das kannst Du wohl sehen!" versetzte Frau Gertraud: "Gib nur Acht, wie ängstlich das kleine Mutterchen hin und her läuft, wenn sich eines ihrer Kleinen von ihr entfernt!"
Beide setzten sich nun auf den Rasen nieder, und hatten ihre Freude an der lustigen Herde.
Plötzlich schoß die Henne ängstlich hin und her, und duckte sich dann mit weitgespreizten Flügeln zur Erde. Eilig kamen auf ihren dringenden Ruf die Küchlein herbei; sie aber hörte nicht auf zu locken und ängstlich umherzublicken, bis sie alle unter ihren Flügeln verborgen waren, und sie nun, einem breiten Zelte gleich, schützend über ihren Kindern saß.
"Was macht die Henne?" frug Lehnchen besorgt.
"Siehst Du den schwarzen Punkt dort am Himmel?" antwortete Frau Gertrud: "Das ist ein Sperber, ein schlimmer Vogel, der die Hühner bedroht! Die besorgte Henne hat ihn von ferne gewittert. Sieh, wie sie bange emporschaut, wie ihr Gefieder sich sträubt, und sie dennoch ihr Leben freudig preis gibt, um ihre Kleinen zu retten! Nicht wahr, das muß eine Mutter sein, denn so können Mütter nur lieben."
Da schmiegte sich Lehnchen so dicht an Frau Gertrud, als wäre sie auch ein Küchlein, und stände in Gefahr. Der Sperber aber zog glücklich vorüber, und bald kamen die kleinen Hühnchen wieder, eins nach dem andern hervor!

Agnes Franz

Louise Antoinette Eleonore Konstanze Agnes Fransky (1792 – 1843), deutsche Dichterin, Kinder- und Jugendbuchautorin, Schriftstellerin

Hannchen im Walde

Im grünen Walde, bei Mondenschein

Hannchen im Walde

Im grünen Walde, bei Mondenschein,
Geht Hannchen und sammelt Pilze ein,
Die werden schmecken, ach, so schön!
Wenn sie geschmort auf dem Tische stehn.

Und Hannchen kommt zur Eiche heran:
Was steht denn da wie ein kleiner Mann?
Mit braunen Käppchen und weißem Kleid,
Und einem Gesicht voll Ehrlichkeit?
Das ist des Waldes edler Sohn,
Der Eichpilz, Hannchen kennt ihn schon!

Und tiefer geht sie in den Wald;
Da steht wieder ein Männchen von schöner Gestalt.
Sein Hütchen flammt wie heller Rubin,
Gestickt mit  Perlen weiß und grün,
Mit Troddeln besetzt ist der feine Frack,
kein Stuzer putzt sich mit mehr Geschmack!

Von Weitem schon winkt er an Waldes Rand:
"Komm, komm, ich bin der Schönste im Land!"
Das Mädchen aber steht von fern,
Sie traut nicht dem galanten Herrn:
"Du, bist ein Giftpilz", ruft sie von Weitem,
Dir muß man aus dem Wege schreiten!"

Agnes Franz

Louise Antoinette Eleonore Konstanze Agnes Fransky (1792 – 1843), deutsche Dichterin, Kinder- und Jugendbuchautorin, Schriftstellerin

Die gefangne Lerche

Schöne, goldne Frühlingszeit

Die gefangne Lerche

"Herzeleid, ach, Herzeleid!
Schöne, goldne Frühlingszeit!
Ach, gefangen, eingeschlossen,
Schau' ich durch die engen Sprossen!
Über mir
Steigt mein Schwesterlein und singet,
Daß es durch die Wolken klinget!
Ich allein
Traure hier in bittrer Pein!
Herzeleid, ach, Herzeleid!
Schöne, goldne Frühlingszeit!

Hannchen stand am Vogelbauer,
hört der armen Lerche Trauer;
Öffnet schnell das kleine Haus -
Jubelnd flog die Lerch' hinaus.
"Seligkeit, o Seligkeit!
Sang sie, und stieg immer weiter
Bis in goldnem Wolkentor,
Hannchen ihre Spur verlor.

Agnes Franz

Louise Antoinette Eleonore Konstanze Agnes Fransky (1792 – 1843), deutsche Dichterin, Kinder- und Jugendbuchautorin, Schriftstellerin

Frühlings-Himmel

Ein ganze Schürze voll Himmelblau

Frühlings-Himmel

"Mutter! Öffne Dein Kämmerlein!
Laß schnell das kleine Julchen herein!
Sie bringt Dir etwas von der Au',
Eine ganze Schürze voll Himmelblau!"

Da macht die kranke Mutter auf,
Das Kind sprang herein im raschen Lauf,
Öffnet das Schürzchen - aber - o Leid!
Dahin ist die ganze Herrlichkeit!.

"Ach, Mutter!" ruft sie, "was ist geschehn!
Kein Fleckchen Blau ist zu sehn!
Den Frühlingshimmel wolt' ich Dir bringen,
Und hab' ihn verschüttet beim raschen Springen!"

"Nein, " sprach die Mutter: "Ich hab' ihn entdeckt:
Er hat sich in Deine Augen versteckt!
Dort will ich ihn täglich schimmern sehen,
Bis wir zusammen in's Freie gehen!"

Drauf küßte die Mutter des Kindes Mund,
Und lachte fröhlich und wurde gesund.

Agnes Franz

Louise Antoinette Eleonore Konstanze Agnes Fransky (1792 – 1843), deutsche Dichterin, Kinder- und Jugendbuchautorin, Schriftstellerin

Seltene Freundschaft oder Bello und Miezchen

Bello, der Haushund, wohnte mit einem Kätzchen unter einem Dache

Agnes Franz

Louise Antoinette Eleonore Konstanze Agnes Fransky (1792 – 1843), deutsche Dichterin, Kinder- und Jugendbuchautorin, Schriftstellerin

Eifersucht

Eifersucht, die Begleiterin der Liebe

Eifersucht, die Begleiterin der Liebe, hat dagegen brennende Eile, alles zu glauben was nicht erfreut. Nicht durch Tatsachen allein, schon durch Schatten und Träume lässt sie sich schrecken.

Francesco Petrarca

Francesco Petrarca (1304 – 1374), italienischer Dichter, Geschichtsschreiber

Grausige Geschichte

Zu Naumburg lebt und that viel Gut's

Zu Naumburg lebt und tat viel Gut’s
Der Pfarrherr Franz Pistorius
Er war ein Mann voll Biederkeit
Mußt doch erfahren manches Leid

Es wohnt daselbst ein Mägdelein
Das wollte diesen Pfarrer frei’n
Verführt‘ ihn eines Abends spat
Ein Knäblein war das Resultat

Doch das geziemt dem Pfarrer nicht
Darum mit einem Kirchenlicht
Hat er in einer düstern Nacht
Das arme Knäblein umgebracht

Die Mutter sieht’s und eilt ihm nach
Er tötet sie mit einem Schlag
Dort schlummern sie nun alle Beid
Den Schlaf der ewgen Seligkeit

Die Polizei tät Verdacht schöpfen
Und wollte diesen Pfarrer köpfen
Hört! einen von der Geistlichkeit
Ist wahrlich keine Kleinigkeit

Sie tät‘ in’s Haus sich sachte schleichen
Dort fund sie die zwei Leichen
Doch den Pastoren fand sie nicht,
Drob schnitt sie ein gar grimm´ Gesicht.

Den Tod am Rad entging Pistor
Er schifft‘ sich ein nach Baltimor
Und büßet dort im fernen Land
Die Schuld als Tabaksfabrikant.

Text: Unbekannt
Melodie: Unbekannt

In diesem Lied wird der Pastor als bieder dargestellt. Er schwängert ein ‚Mägdelein‘. Und tötet später dann das Kind und die Mutter.

Zu Freiburg lebt und tat viel Buß

Daselbst wohnt auch ein Mägdelein

Zu Freiburg lebt und tat viel Buß,


Zu Freiburg lebt und tat viel Buß,
der Pfarrer Carl Pistorius
Er, der zu Freiburg Pfarrer war
das gute wollt´ er immerdar

Daselbst wohnt auch ein Mägdelein
die wollt´ so gern Frau Pfarrer sein
Verführt ihn eines Abends spat
ein Knäblein war das Resultat

Die Schand´ ertrug der Pastor nicht
er bracht mit einem Kirchenlicht
das wohlgebor´ne Knäblein um
Entsetz dich laut, oh Publikum

Die arme Mutter starb vor Gram
noch eh sie aus den Wochen kam
Und Kind und Mutter schliefen beid´
Den Schlaf der ew’gen Seligkeit

Dem Tod durchs Rad entging Pistor
und schifft sich ein nach Baltimore
verbüßt die Schuld im fremden Land
als Saurer-Essig-Fabrikant

Und die Moral von der Geschicht
Verführe keinen Pastor nicht.
Denn einer von der Geistlichkeit
ist wahrlich keine Kleinigkeit.

Text: Unbkannt
Melodie: Unbekannt

In diesem Lied widerrum soll das Mägdelein den Pfarrer verführt haben. Das Kind wurde geboren, der Pfarrer tötete Kind und Mutter und floh dann nach Baltimore.

In Bayreuth ward er geboren

Seine Mutter, eine geborne Lerche

In Bayreuth ward er geboren


In Bayreuth ward er geboren
wo sein Vater war der Schloßkast´llan
doch den er sich zum Morden auserkoren
war ein reicher Privatmann

Seine Mutter, eine geborne Lerche
hat das ganze Unglück angericht´t
denn sie hielt ihn nicht zur Schule, nicht zur Kerche
soff gar sehr und starb dann an der Gicht

In Leipzig bei einem Schustermeister
lernte er das grasse Metier
warf der Meisterin den Topf mit Kleister
an den Kopf und rief: „Du Bestie!“

Gottlob Käsemayer hieß der Arme
sechzehn Messerstich durch Arm und Brust
gab er ihm, daß Gott erbarme
und sein Lebenslicht war ausgepust

Kunigunde, seine Vielgeliebte
trug noch größre Schändlichkeit zur Schau
denn mit einem Strumpfenband verübte
sie den Mord an Käsemayers Frau

Sieh, o Mensch, im Hintergrunde
einen Galgen aufgericht´t
Daran hängt die schöne Kunigunde
eben durch des Henkers Hand verblicht

Mit gelassner, kaltblütiger Miene
besteigt Eduard das Blutgerüst
wirft noch einen Blick nach seiner Konkubine
aber stirbt doch als ein guter Christ

Ein Schandarm mit schnurrigbärtger Miene
gibt dem Unglücksel´gen einen Klaps
geht darauf zur Marketenderin Katherine
und verlangt kaltlächelnd einen Schnaps

Diese Grausamkeit erregt im Publikum
lautes Murmeln ringsumher
da dreht sich der Schandarm wütend um
und´s verstummen alle Murmeler

Drum, o Mensch, bezähme deine Triebe
hier in dieser Zeitlichkeit
denn das sind die Folgen von der Liebe
und der mütterlichen Trunkenboldighaftigkeit

Unbekannt

An Tieck

Verstoßen in ein fremdes Land

An Tieck

Ein Kind voll Wehmut und voll Treue,
Verstoßen in ein fremdes Land,
Ließ gern das Glänzende und Neue,
Und blieb dem Alten zugewandt.

Nach langem Suchen, langem Warten,
Nach manchem mühevollen Gang,
Fand es in einem öden Garten
Auf einer längst verfallnen Bank

Ein altes Buch mit Gold verschlossen,
Und nie gehörte Worte drin;
Und, wie des Frühlings zarte Sprossen,
So wuchs in ihm ein innrer Sinn.

Und wie es sitzt, und liest, und schauet
In den Kristall der neuen Welt,
An Gras und Sternen sich erbauet,
Und dankbar auf die Kniee fällt:

So hebt sich sacht aus Gras und Kräutern
Bedächtiglich ein alter Mann,
Im schlichten Rock, und kommt mit heiterm
Gesicht ans fromme Kind heran.

Bekannt doch heimlich sind die Züge,
So kindlich und so wunderbar;
Es spielt die Frühlingsluft der Wiege
Gar seltsam mit dem Silberhaar.

Das Kind faßt bebend seine Hände,
Es ist des Buches hoher Geist,
Der ihm der sauern Wallfahrt Ende
Und seines Vaters Wohnung weist.

Du kniest auf meinem öden Grabe,
So öffnet sich der heilge Mund,
Du bist der Erbe meiner Habe,
Dir werde Gottes Tiefe kund.

Auf jenem Berg als armer Knabe
Hab ich ein himmlisch Buch gesehn,
Und konnte nun durch diese Gabe
In alle Kreaturen sehn.

Es sind an mir durch Gottes Gnade
Der höchsten Wunder viel geschehn;
Des neuen Bunds geheime Lade
Sahn meine Augen offen stehn.

Ich habe treulich aufgeschrieben,
Was innre Lust mir offenbart,
Und bin verkannt und arm geblieben,
Bis ich zu Gott gerufen ward.

Die Zeit ist da, und nicht verborgen
Soll das Mysterium mehr sein.
In diesem Buche bricht der Morgen
Gewaltig in die Zeit hinein.

Verkündiger der Morgenröte,
Des Friedens Bote sollst du sein.
Sanft wie die Luft in Harf und Flöte
Hauch ich dir meinen Atem ein.

Gott sei mit dir, geh hin und wasche
Die Augen dir mit Morgentau.
Sei treu dem Buch und meiner Asche,
Und bade dich im ewgen Blau.

Du wirst das letzte Reich verkünden,
Was tausend Jahre soll bestehn;
Wirst überschwenglich Wesen finden,
Und Jakob Böhmen wiedersehn.

Novalis (an Tieck, um 1800)

Georg Philipp Friedrich von Hardenberg (1772 – 1801), deutscher Schriftsteller, Philosooph