Der Granit
In unterirdischer Kammer
Sprach grollend der alte Granit:
»Da droben den wäßrigen Jammer
Den mach' ich jetzt länger nicht mit.
Langweilig wälzt das Gewässer
Seine salzige Flut übers Land,
Statt stolzer und schöner und besser
Wird alles voll Schlamm und voll Sand.
Das gäb' eine mitleidwerte
Geologische Leimsiederei,
Wenn die ganze Kruste der Erde
Nur ein sedimentäres Gebräu.
Am End' würd' noch Fabel und Dichtung,
Was ein Berg – was hoch und was tief;
Zum Teufel die Flözung und Schichtung,
Hurra! ich werd' eruptiv!«
Er sprach's, und zum Beistand berief er
Die tapfern Porphyre herbei,
Die kristallinischen Schiefer
Riß höhnisch er mitten entzwei.
Das zischte und lohte und wallte,
Als nahte das Ende der Welt;
Selbst Grauwack, die züchtige Alte,
Hat vor Schreck auf den Kopf sich gestellt.
Auch Steinkohl' und Zechstein und Trias
Entwichen, im Innern gesprengt,
Laut jammert im Jura der Lias,
Daß die Glut ihn von hinten versengt.
Auch die Kalke, die Mergel der Kreiden
Sprachen später mit wichtigem Ton:
»Was erstickte man nicht schon beizeiten
Den Keim dieser Revolution?«
Doch vorwärts, trotz Schichten und Seen,
Drang siegreich der feurige Held,
Bis daß er von sonnigen Höhen
Zu Füßen sich schaute die Welt.
Da sprach er mit Jodeln und Singen:
»Hurra! das wäre geglückt!
Auch unsereins kann's zu was bringen,
Wenn er nur herzhaftiglich drückt!«
Joseph Victor von Scheffel
Joseph Victor von Scheffel (1826 – 1886), Joseph Victor Scheffel, ab 1876 von Scheffel, deutscher Schriftsteller und Dichter
aus: „Gaudeamus. Lieder aus dem Engeren und Weiteren“ von Joseph Viktor von Scheffel. Verlag: Stuttgart, Bonz, 1887. Naturwissenschaftlich. Seite 3 – 4
Die beiden Tauben.
Eine Fabel nach Lafontaine
Zwei Täubchen liebten sich mit zarter Liebe.
Jedoch, der weichen Ruhe überdrüssig,
Ersann der Tauber eine Reise sich.
Die Taube rief: »Was unternimmst du, Lieber?
Von mir willst du, der süßen Freundin, scheiden:
Der Uebel größtes, ist's die Trennung nicht?
Für dich nicht, leider, Unempfindlicher!
Denn selbst nicht Mühen können und Gefahren,
Die schreckenden, an diese Brust dich fesseln.
Ja, wenn die Jahrszeit freundlicher dir wäre!
Doch bei des Winters immer regen Stürmen
Dich in das Meer hinaus der Lüfte wagen!
Erwarte mindestens den Lenz! Was treibt dich?
Ein Rab' auch, der den Himmelsplan durchschweifte,
Schien mir ein Unglück anzukündigen.
Ach, nichts als Unheil zitternd werd' ich träumen
Und nur das Netz stets und den Falken sehn.
Jetzt ruf' ich aus, jetzt stürmt's: mein süßer Liebling,
Hat er jetzt alles auch, was er bedarf,
Schutz und die goldne Nahrung, die er braucht,
Weich auch und warm ein Lager für die Nacht
Und alles Weitre, was dazu gehört?« –
Dies Wort bewegte einen Augenblick
Den raschen Vorsatz unsers jungen Toren;
Doch die Begierde trug, die Welt zu sehn,
Und das unruh'ge Herz den Sieg davon.
Er sagte: »Weine nicht! Zwei kurze Monden
Befriedigen jedweden Wunsch in mir.
Ich kehre wieder, Liebchen, um ein Kleines,
Jedwedes Abenteuer, Zug vor Zug,
Das mir begegnete, dir mitzuteilen.
Es wird dich unterhalten, glaube mir!
Ach, wer nichts sieht, kann wenig auch erzählen.
Hier, wird es heißen, war ich; dies erlebt' ich;
Dort auch hat mich die Reise hingeführt;
Und du, im süßen Wahnsinn der Gedanken,
Ein Zeuge dessen wähnen wirst du dich.« –
Kurz, dies und mehr des Trostes zart erfindend,
Küßt er – und unterdrückt, was sich ihm regt –
Das Täubchen, das die Flügel niederhängt,
Und fleucht. –
Und aus des Horizontes Tiefe
Steigt mitternächtliches Gewölk empor,
Gewitterregen häufig niedersendend.
Ergrimmte Winde brechen los: der Tauber
Kreucht untern ersten Strauch, der sich ihm beut.
Und während er, von stiller Oed' umrauscht,
Die Flut von den durchweichten Federn schüttelt,
Die strömende, und seufzend um sich blickt,
Denkt er, nach Wandrerart, sich zu zerstreun,
Des blonden Täubchens heim, das er verließ,
Und sieht erst jetzt, wie sie beim Abschied schweigend
Das Köpfchen niederhing, die Flügel senkte,
Den weißen Schoß mit stillen Tränen netzend;
Und selbst, was seine Brust noch nie empfand,
Ein Tropfen, groß und glänzend, steigt ihm auf.
Getrocknet doch, beim ersten Sonnenstrahl,
So Aug' wie Leib, setzt er die Reise fort
Und kehrt, wohin ein Freund ihn warm empfohlen,
In eines Städters reiche Wohnung ein.
Von Moos und duft'gen Kräutern zubereitet
Wird ihm ein Nest, an Nahrung fehlt es nicht,
Viel Höflichkeit, um dessen, der ihn sandte,
Wird ihm zuteil, viel Güt' und Artigkeit:
Der lieblichen Gefühle keins für sich.
Und sieht die Pracht der Welt und Herrlichkeiten,
Die schimmernden, die ihm der Ruhm genannt,
Und kennt nun alles, was sie Würd'ges beut,
Und fühlt' unsel'ger sich als je, der Arme,
Und steht, in Oeden steht man öder nicht,
Umringt von allen ihren Freuden, da
Und fleucht, das Paar der Flügel emsig regend,
Unausgesetzt, auf keinen Turm mehr achtend,
Zum Täubchen hin und sinkt zu Füßen ihr
Und schluchzt in endlos heftiger Bewegung
Und küsset sie und weiß ihr nichts zu sagen –
Ihr, die sein armes Herz auch wohl versteht!
Ihr Sel'gen, die ihr liebt, ihr wollt verreisen?
O, laßt es in die nächste Grotte sein!
Seid euch die Welt einander selbst und achtet
Nicht eines Wunsches wert das übrige!
Ich auch, das Herz einst eures Dichters, liebte:
Ich hätte nicht um Rom und seine Tempel,
Nicht um des Firmamentes Prachtgebäude
Des lieben Mädchens Laube hingetauscht!
Wann kehrt ihr wieder, o ihr Augenblicke,
Die ihr dem Leben einz'gen Glanz erteilt?
So viele jungen, lieblichen Gestalten,
Mit unempfundnem Zauber sollen sie
An mir vorübergehn? Ach, dieses Herz!
Wenn es doch einmal noch erwarmen könnte!
Hat keine Schönheit einen Reiz mehr, der
Mich rührt? Ist sie entflohn, die Zeit der Liebe –?
Heinrich von Kleist
Heinrich von Kleist (1777 – 1811), Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist, deutscher Dramatiker, Novellist, Bühnenschriftsteller, Erzähler, Dichter, Puplizist
aus: „Sämtliche Werke“ von Heinrich von Kleist. Herausgeber: Ludwig Goldscheider.Verlag: Fabeln. Seite 948 – 951
Jean de La Foantaine (1621 – 1695), französischer Schriftteller., Lyriker. Auch für seine Fabeln bekannt.
Es gibt im Übrigen nichts, was die Gestalt, das Verhalten und den Charakter eines Menschen so verschönert und veredelt wie das Bestreben, Liebe auszustrahlen und Freude um sich zu verbreiten.
John Galsworthy
John Galsworthy (1867 – 1933), englischer Schriftsteller, Romanautor, Dramatiker. Nobelpreis für Literatur 1932.
Ich werde auf dieser Welt nur einmal wandern. Wenn ich etwas Gutes tun oder einem menschlichen Wesen oder stummen Tier etwas Liebes erweisen kann, soll es daher gleich geschehen.
John Galsworthy
John Galsworthy (1867 – 1933), englischer Schriftsteller, Romanautor, Dramatiker. Nobelpreis für Literatur 1932.
Das öde Haus
Tiefab im Tobel liegt ein Haus,
Zerfallen nach des Försters Tode,
Dort ruh' ich manche Stunde aus,
Vergraben unter Rank' und Lode;
'S ist eine Wildniß, wo der Tag
Nur halb die schweren Wimpern lichtet;
Der Felsen tiefe Kluft verdichtet
Ergrauter Aeste Schattenhaag.
Ich horche träumend, wie im Spalt
Die schwarzen Fliegen taumelnd summen,
Wie Seufzer streifen durch den Wald,
Am Strauche irre Käfer brummen;
Wenn sich die Abendröte drängt
An sickernden Geschiefers Lauge,
Dann ist's als ob ein trübes Auge,
Ein rothgeweintes drüber hängt.
Wo an zerrißner Laube Joch
Die langen magern Schoßen streichen,
An wildverwachs'ner Hecke noch
Im Moose Nelkensprossen schleichen,
Dort hat vom tröpfelnden Gestein
Das dunkle Naß sich durchgesogen,
Kreucht um den Buchs in trägen Bogen,
Und sinkt am Fenchelstrauche ein.
Das Dach, von Moose überschwellt,
Läßt wirre Schober niederragen,
Und eine Spinne hat ihr Zelt
Im Fensterloche aufgeschlagen;
Da hängt, ein Blatt von zartem Flor,
Der schillernden Libelle Flügel,
Und ihres Panzers goldner Spiegel
Ragt kopflos am Gesims hervor.
Zuweilen hat ein Schmetterling
Sich gaukelnd in der Schlucht gefangen,
Und bleibt sekundenlang am Ring
Der kränkelnden Narzisse hangen;
Streicht eine Taube durch den Hain,
So schweigt am Tobelrand ihr Girren,
Man höret nur die Flügel schwirren
Und sieht den Schatten am Gestein.
Und auf dem Heerde, wo der Schnee
Seit Jahren durch den Schlot geflogen,
Liegt Aschenmoder feucht und zäh,
Von Pilzes Glocken überzogen;
Noch hängt am Mauerpflock ein Rest
Verwirrten Wergs, das Seil zu spinnen,
Wie halbvermorschtes Haar, und drinnen
Der Schwalbe überjährig Nest.
Und von des Balkens Haken nickt
Ein Schellenband an Schnall' und Riemen,
Mit grober Wolle ist gestickt
"Diana" auf dem Lederstriemen;
Ein Pfeifchen auch vergaß man hier,
Als man den Tannensarg geschlossen;
Den Mann begrub man, tot geschossen
Hat man das alte treue Thier.
Sitz ich so einsam am Gesträuch
Und hör' die Maus im Laube schrillen,
Das Eichhorn blafft von Zweig zu Zweig,
Am Sumpfe läuten Unk' und Grillen –
Wie Schauer überläuft's mich dann,
Als hör' ich klingeln noch die Schellen,
Im Walde die Diana bellen
Und pfeifen noch den toten Mann.
Annette von Droste
Anna Elisabeth Franzisca Adolphina Wilhelmina Ludovica Freiin von Droste zu Hülshoff (1797 – 1848), deutsche Schriftstellerin, Komponistin
aus: „Lyrische Gedichte“ von Annette von Droste-Hülshoff. Herausgegeben von Levin Schücking. Verlag: der Cotta’schen Buchhandlung, Stuttgart, 1879. Seite 126 – 128
Sommer
Du gute Linde, schüttle dich!
Ein wenig Luft, ein schwacher West!
Wo nicht, dann schließe dein Gezweig
So recht, dass Blatt an Blatt sich presst.
Kein Vogel zirpt, es bellt kein Hund;
Allein die bunte Fliegenbrut
Summt auf und nieder übern Rain
Und lässt sich rösten in der Glut.
Sogar der Bäume dunkles Laub
Erscheint verdickt und atmet Staub.
Ich liege hier wie ausgedorrt
Und scheuche kaum die Mücken fort.
O Säntis, Säntis! läg' ich doch
Dort, - grad' an deinem Felsenjoch,
Wo sich die kalten, weißen Decken
So frisch und saftig drüben strecken,
Viel tausend blanker Tropfen Spiel;
Glücksel'ger Säntis, dir ist kühl!
Annette von Droste
Anna Elisabeth Franzisca Adolphina Wilhelmina Ludovica Freiin von Droste zu Hülshoff (1797 – 1848), deutsche Schriftstellerin, Komponistin
aus: „Lyrische Gedichte“ von Annette von Droste-Hülshoff. Herausgegeben von Levin Schücking. Verlag: der Cotta’schen Buchhandlung, Stuttgart, 1879. Seite 134 –
Dichters Naturgefühl
Es war an einem jener Tage,
Wo Lenz und Winter sind im Streit,
Wo naß das Veilchen klebt am Haage,
Kurz, um die erste Maienzeit;
Ich suchte keuchend mir den Weg
Durch sumpfge Wiesen, dürre Raine,
Wo matt die Kröte hockt' am Steine,
Die Eidechs schlüpfte über'n Steg.
Durch hundert kleine Wassertruhen,
Die wie verkühlter Spüligt stehn,
Zu stelzen mit den Gummischuhen,
Bei Gott, heißt das Spazierengehn?
Natur, wer auf dem Haberrohr
In Jamben, Stanzen, süßen Phrasen
So manches Loblied dir geblasen,
Dem stell dich auch manierlich vor!
Da ließ zurück den Schleier wehen
Die eitle vielbesungne Frau,
Als fürchte sie des Dichters Schmähen;
Im Sonnenlichte stand die Au,
Und bei dem ersten linden Stral
Stieg eine Lerche aus den Schollen
Und ließ ihr Tirilirum rollen
Recht wacker durch den Aethersaal.
Die Quellchen, glitzernd wie Kristallen, –
Die Zweige, glänzend emaillirt –
Das kann dem Kenner schon gefallen,
Ich nickte lächelnd: "es passiert!"
Und stapfte fort in eine Schluft,
Es war ein still und sonnig Fleckchen,
Wo tausend Anemonenglöckchen
Umgaukelten des Veilchens Duft.
Das üpp'ge Moos – der Lerchen Lieder –
Der Blumen Flor – des Krautes Keim –
Auf meinen Mantel saß ich nieder
Und sann auf einen Frühlingsreim.
Da - alle Musen, welch ein Ton! –
Da kam den Rain entlang gesungen
So eine Art von dummen Jungen,
Der Friedrich, meines Schreibers Sohn.
Den Epheukranz im flächsnen Haare,
In seiner Hand den Veilchenstrauß,
So trug er seine achtzehn Jahre
Romantisch in den Lenz hinaus.
Nun schlüpft er durch des Hagens Loch,
Nun hing er an den Dornenzwecken
Wie Abrams Widder in den Hecken,
Und in den Dornen pfiff er noch.
Bald hatt' er beugend, gleitend, springend,
Den Blumenanger abgegrast,
Und rief nun, seine Mähnen schwingend:
"Viktoria, Trompeten blast!"
Dann flüstert er mit süßem Hall:
"O, wären es die schwed'schen Hörner!"
Und dann begann ein Lied von Körner;
Fürwahr, du bist 'ne Nachtigall!
Ich sah ihn, wie er an dem Walle
Im feuchten Moose niedersaß,
Und nun die Veilchen, Glöckchen alle
Mit sel'gem Blick zu Sträußen las,
Auf seiner Stirn den Sonnenstral;
Mich faßt' ein heimlich Unbehagen,
Warum? Ich weiß es nicht zu sagen,
Der fade Bursch war mir fatal.
Noch war ich von dem blinden Hessen
Auf meinem Mantel nicht gesehn,
Und so begann ich zu ermessen,
Wie übel ihm von Gott geschehn;
O Himmel, welch' ein traurig Loos,
Das Schicksal eines dummen Jungen,
Der zum Copisten sich geschwungen
Und auf den Schreiber steuert los!
Der in den kargen Feierstunden
Romane von der Zofe borgt,
Beklagt des Löwenritters Wunden
Und seufzend um den Posa sorgt,
Der seine Zelle, kalt und klein,
Schmückt mit Aladdins Zaubergabe,
Und an dem Quell, wie Schillers Knabe,
Violen schlingt in Kränzelein!
In dessen wirbelndem Gehirne
Das Leben spukt gleich einer Fey,
Der – hastig fuhr ich an die Stirne:
"Wie, eine Mücke schon im Mai?"
Und trabte zu der Schlucht hinaus,
Hohl hustend, mit beklemmter Lunge,
Und drinnen blieb der dumme Junge,
Und pfiff zu seinem Veilchenstrauß!
Annette von Droste
Anna Elisabeth Franzisca Adolphina Wilhelmina Ludovica Freiin von Droste zu Hülshoff (1797 – 1848), deutsche Schriftstellerin, Komponistin
aus: „Gedichte“ von Annette von Droste-Hülsdoff. Verlag: H. Heemann Nachfolger, Berllin, 1907. Fünfter Teil. Scherz und Ernst. Seite 125 – 129
Und – horch, die Wachtel schlug! Kühl strich der Hauch
Im Moose
Als jüngst die Nacht im sonnenmüden Land
Der Dämmrung leise Boten hat gesandt,
Da lag ich einsam noch in Waldes Moose.
Die dunklen Zweige nickten so vertraut,
An meiner Wange flüsterte das Kraut,
Unsichtbar duftete die Heiderose.
Und flimmern sah ich durch der Linde Raum
Ein mattes Licht, das im Gezweig der Baum
Gleich einem mächtgen Glühwurm schien zu tragen.
Es sah so dämmernd wie ein Traumgesicht,
Doch wußte ich, es war der Heimat Licht,
In meiner eignen Kammer angeschlagen.
Ringsum so still, daß ich vernahm im Laub
Der Raupe Nagen, und wie grüner Staub
Mich leise wirbelnd Blätterflöckchen trafen.
Ich lag und dachte, ach, so manchem nach,
Ich hörte meines eignen Herzens Schlag,
Fast war es mir, als sei ich schon entschlafen.
Gedanken tauchten aus Gedanken auf,
Das Kinderspiel, der frischen Jahre Lauf,
Gesichter, die mir lange fremd geworden;
Vergeßne Töne summten um mein Ohr,
Und endlich trat die Gegenwart hervor,
Da stand die Welle, wie an Ufers Borden.
Dann, gleich dem Brunnen, der verrinnt im Schlund
Und drüben wieder sprudelt aus dem Grund,
So stand ich plötzlich in der Zukunft Lande;
Ich sah mich selber, gar gebückt und klein,
Geschwächten Auges, am ererbten Schrein
Sorgfältig ordnen staubge Liebespfande.
Die Bilder meiner Lieben sah ich klar
In einer Tracht, die jetzt veraltet war,
Mich sorgsam lösen aus verblichnen Hüllen,
Löckchen, vermorscht, zu Staub zerfallen schier,
Sah über die gefurchte Wange mir
Langsam herab die karge Träne quillen.
Und wieder an des Friedhofs Monument,
Dran Namen standen, die mein Lieben kennt,
Da lag ich betend, mit gebrochnen Knieen,
Und - horch, die Wachtel schlug! Kühl strich der Hauch -
Und noch zuletzt sah ich, gleich einem Rauch,
Mich leise in der Erde Poren ziehen.
Ich fuhr empor und schüttelte mich dann,
Wie einer, der dem Scheintod erst entrann,
Und taumelte entlang die dunklen Hage,
Noch immer zweifelnd, ob der Stern am Rain
Sei wirklich meiner Schlummerlampe Schein
Oder das ewge Licht am Sarkophage.
Annette von Droste
Anna Elisabeth Franzisca Adolphina Wilhelmina Ludovica Freiin von Droste zu Hülshoff (1797 – 1848), deutsche Schriftstellerin, Komponistin
aus: „Gedichte“ von Annette von Droste-Hülsdoff. Verlag: H. Heemann Nachfolger, Berllin, 1907. Seite 59 – 62
Am Waldessaume träumt die Föhre
Am Waldessaume träumt die Föhre,
Am Himmel weisse Wölkchen nur;
Es ist so still, dass ich sie höre,
Die tiefe Stille der Natur.
Rings Sonnenschein auf Wies' und Wegen,
Die Wipfel stumm, kein Lüftchen wach,
Und doch, es klingt, als ström ein Regen
Leis tönend auf das Blätterdach.
Theodor Storm
Hans Theodor Woldsen Storm (1817 – 1888), deutscher Jurist, Dichter und Novellist