Ich traure nicht

Ich sorge nicht, daß mein Erdenlos

Ich traure nicht

Ich traure nicht, dass schon am Ziel
mein irdisches Geschick,
dass lange Jahre Frucht zerfiel
in einem Augenblick.
Nicht, dass kein einziger wie ich
so einsam und umsät,
blass darauf, dass du weinst um mich,
der nur vorübergeht.

Edgar Allan Poe

Edgar Allan Poe (1809 – 1849) US-amerikanischer Schriftsteller, Dichter

Übertragung Hedwig Lachmann (1865 – 1918)

aus: ‚Ausgewählte Gedichte‘ von Edgar Allan Poe. Übertragung Hedwig Lachmann. Verlag des Bibliographischen Bureaus, 1891

Abendsonnen

Blass giesst im Verrinnen auf Felder und Rain

Abendsonnen

Blass giesst im Verrinnen auf Felder und Rain schwermütigen Sinnen der scheidende Schein. Schwermütiges Sinnen wiegt flüsternd mich ein mein Herz zu umspringen im scheidenden Schein.

Sind fremde Träume ziehn sonnengleich über Heiden und Bäume, rotflimmernd und weich, endlos durch die Räume ziehn sonnengleich sie über das Reich der Heiden und Bäume.

Paul Verlaine

Paul Verlaine (1844 – 1896) französischer Lyriker, Dichter, Schriftsteller

Übertragung von Graf Wolf von Kalckreuth (1887 – 1906)

Gedicht aus:

‚Ausgewählte Gedichte‘, übertragen von Graf Wolf von Kalckreuth, 1906, Insel-Verlag Leibzig

Mondschein

Mondschein

Wie eine seltene Gegend ist dein Herz, wo Masken, die mit Bergamasken schreiten, zum Tanze spielen voll geheimen Schmerz im Truggewand, mit dem sie bunt sich kleiden.

Des gleichen in weichem Ton sie singen, wie der Liebe Sieg dem Lebensglück sich eine, so glauben doch nicht an die Freude sie und ihr Gesang fliesst hin im Mondenscheine.

Im kalten Monschein, der trübe Pracht die Vögel träumen lässt auf ihren Zweigen, um der die Wasserstrahlen weinen mocht, die schlank aus weissen Marmorschalen steigen.

Paul Verlaine

Paul Verlaine (1844 – 1896) französischer Lyriker, Dichter, Schriftsteller

Übertragung von Graf Wolf von Kalckreuth (1887 – 1906)

Gedicht aus:

‚Ausgewählte Gedichte‘, übertragen von Graf Wolf von Kalckreuth, 1906, Insel-Verlag Leibzig

Das kleine Kind schläft

ich lüpfe das Flortuch und schaue lange

Das kleine Kind schläft

Das kleine Kind schläft in seiner Wiege; ich lüpfe das Flortuch und schaue lange, und behutsam scheuch‘ ich die Fliegen mit meiner Hand. Der Knabe und das rotbäckige Mädchen werden sich die Flanke des behuschen Hügels hinauf, von seinem Gipfel aus nehm ich sie wahr.

Walt Whitman

Walt Whitman (1819 – 1892) US-amerikanischer Schriftsteller, Dichter, Schriftsetzer, Lehrer, Essayist

aus: ‚Gesang mit mir selbst‘, übersetzt aus dem Amerikanischen ins Deutsche von Max Hayer. Verlag Leipzig und Wien. Wiener Graphische Werkstätte, 1902.

Der alte Kirschbaum

eine Erinnerung

Der alte Kirschbaum

Der alte Kirschbaum

blüht; eine Erinnerung

an vergangene Jahre.

姥桜さくや老後の思ひ出

Ubazakura

saku ya rōgo no

omoiide

Matsuo Basho

Matsuo Basho (1644 – 1894) einer der bedeutensten Haiku Dichter

Übersetzt von: Marianna Barbierie-Nini (1818 – 1887)

Die Liebe

um so stärker ist sie

Die Liebe darf

Die Liebe darf nicht nur fleischlich sein. Je weniger fleischlich sie ist, um so stärker ist sie.

Charles Ferdinand Ramus

Charles Ferdinand Ramus, 1878 – 1947, Schweizer Schriftsteller, Lyriker, Dichter,

Der Regen bringt

Der Regen bringt den Schmerz zur Ruh.

Marina Iwanowna Zwetajewa

Marina Iwanowna Zwetajewa (1892 – 1941), russisische Schriftstellerin, Dichterin

So mondlos die Nacht

vergeht mein Herz im Feuer

So mondlos die Nacht.
Kein Weg ihn zu sehen,
verlangen quält mich.
Mein Busen pocht, und lodernd
Vergeht mein Herz im Feuer.

Ono no Komachi

Ono-no Komachi, 825 – 900, japanische Dichterin. Zählt zu den ‚Sechs besten Waka-Dichter‘ und zu der Gruppe ‚Sechsunddreißig weiblichen Unsterblichen der Dichtkunst‘.

Gedicht übersetzt von Dr. Karl Florenz (1865 – 1939), ‚Gedichte der japanischen Literatur‘, C.F. Amelangs Verlag, Leipzig 1906. Gedicht Seite 140.

Krähen

Krähen

Ich will den Tag verbringen in den Feldern,
will lächerlich wie jene Scheache stehen;
die groen Vögel möchten aus den Wäldern
auch so auf mein Gewand herniederwehn.

Um Schultern krallen, flüstern in mein Ohr,
aus Mären, die im grünen Buch sie lassen,
von Hugin und von Munin, Thyr und Thor,
von Yggdrasil, dem Weltenbaum der Asen.

Und was der Väter Dienstwenok beim Adepten,
des Roten Leuen Such, dem Blumengift,
der Mauerspalte, drein sie bergend schleppten
des sie den Herrn geheim erfundene Schrift,

und anderes Gewinde, blumiges Kraus,
altfränkisch duftend wie Leukojenblüten,
was ihnen Nachtrab schrieb und Fledermaus
und was sie selbst in kluges Häuptlein hüten.

Doch manche würden gleich die Scholle hacken,
um meine Füße, die zum Kosten lädt
so wie ein Weißbrot, feucht und frisch vom Backen,
bereitet mit dem blanken Feldgerät.

An weißen Mandeln und dem Zitronat,
an Engerlingen sich und Würmern letzten,
der Süße endlich satt und Rast und Rat
und schweigend sich auf meine Hände setzen.

Und einmal schlügen Schwärme, Riesenwehen,
den wilden Flug aus Mitternacht mir nach
mit harten Liedern, die nur ich verstehe,
in ihrem scharfen, ungefügen Krah.

Mit unheilvollen Braus im düsteren Kleid
und mit erzürnten, drohendem Bewegen;
so fielen sie in gottlose Zeit
und auf die Länder als ein schwarzer Regen.

Die Welt verstummte. Bis der Weile stöhnte.
Und weithin klagte heulend eine Stadt.
Zerfreßnes Auge, das der Vater höhnte
und seiner Mutter Herz verstoßen hat.

Gertrud Kolmar

Gertrud Käthe Choziesner 1894 – 1943, ermordet in Ausschwitz) deutsche Lyrikerin, Schriftstellerin

Gedicht aus: Gesamtausgabe ‚Das lyrische Werk Gedicht aus: Gesamtausgabe Das lyrische Werke