Wir sind viel zu unaufmerksam und zu sehr mit uns selbst beschäftigt, um unsere Mitmenschen zu ergründen. Wer auf einem Ball die Masken beobachtet hat, wie sie verliebt miteinander tanzen, einander an den Händen halten und sich im nächsten Augenblick ohne das geringste Bedauern auf Nimmerwiedersehen trennen - der kann sich eine Vorstellung vom Wesen der Welt machen.
Lu de Clapiers
Lu de Clapiers Marquierde Vauvenargues (1715 – 1747) französischer Schriftsteller, Philosoph, Moralist
Der Brombeerzweig
Sieh', da will ein dorn'ger Zweig
Uns den Pfad verwehren -
Sieh' die Beeren überreich,
Die ihn sanft beschweren.
Beeren, schwarz und rot und grün -
Wie sie mählich reifen
Bei der Strahlen heißem Glüh'n,
Die im Wald sie streifen.
So viel Wünsche sonder Zahl
Trag' ich tief im Herzen,
Das dir schlägt in holder Qual
Und geliebten Schmerzen.
Mancher, schon verblutend, mag,
Daß er ward, bereuen -
Doch es reift ein jeder Tag
Seilig einen neuen!
Ferdinand von Saar
Ferdinand von Saar (1833 – 1906), österreichischer Schriftsteller, Lyriker und Dramatiker.
Gedicht ist ein Lied aus. Erstdruck: : ‚Gedichte‘, im Georg Weiß Verlag, Kassel. 1904
Sonnet - The lotus
Love came to Flower asking for a flower
That would of Flowers be undispated gienn,
The lily and the rose, long, long had been
Rivals for that high honoar. Bards of power
Had sung their claims. "The rose can never tower
Like the pale lily with her Juno mien"-
"But is the lily lovelier?" Thus beer between
Flower - factions rang the strife in Psyche's lowers.
"Give me a flower delrcious as the rose
And it ately as the lily in her pride"-
"But of what colours?" ... "Rose - red", "Love first chose,
Then prayed, - "No, lily - whtie,- or bath pride".
And Flora gave the lotun, "rose-red dyed,
And "Lily-white, " - the queenliest flower that blows.
Tour Dutt
Toru Dutt (1856 – 1877), bengalische Dichterin, Übersetzerin, Autorin. Veröffentlichte auf englisch und französisch
Gedicht aus ‚Ancient Ballads and Legends of Hindustan‘ von Toru Dutt, 1882 (Alte Balladen und Legenden von Hindustan“, 1906)
‚Ancient ballads and legends of Hindustan‘, 1906. Mit einer Einführung von Edmund W. Gosse (1849 – 1928),
Der zahme Vogel
Der zahme Vogel, war in einem Käfig, der freie Vogel war im Walde.
Als ihre Zeit gekommen war, trafen sie sich;
so wollte es das Schicksel.
Der freie Vogel ruft: "O Liebster, laß uns zum Walde fliegen:"
Der Vogel im Käfig zwitschert: "Komm her, laß uns beisammen im Käfig leben."
Sagt der freie Vogel: "Wo ist denn Platz hinter Stäben, seine Flügel zu spreiten?"
Der freie Vogel ruft: "Mein Liebling, singe die Lieder der Wälder."
Der Vogel im Käfig sagt: "Setz Die zu mir, ich will Dich unterweisen in der Sprache der Gelehrten."
Der Waldvogel ruft: "Nein, ach nein" Lieder können niemals gelehrt werden."
Der Vogel im Käfig sagt: "Weh mir, ich weiß sie nicht, die Lieder der Wälder."
Ihre Liebe ist heiß, voll Verlangen; doch können sie nie Schwinge fliegen. Durch die Stäbe des Käfigs schauen sie und sehen sich vergebens, einander zu kennen.
Sie flattern sehnsüchtig mit ihren Flügeln und singen: "Komm näher, mein Lieb!"
Der freie Vogel ruft: "Es geht nicht, ich fürchte die verschlossenen Türen des Käfigs. Der Vogel im Käfig zwitschert: "Weh, meine Flügel sind kraftlos und tot."
Rabindranath Tagore
Die einzige autorisierte deutsche Ausgabe. Nach der von Rabindranath Tagore selbst veranstalteten englischen Ausgabe. 1921. Übertragung vom englischen ins Deutsche: Hans Elfenberger / Jan Śliwiński (1884 – 1950)
Es ist
Es ist nicht mehr Tag, der Schatten liegt auf der Erde. Es ist Zeit, daß zum Fluß ich gehe, den Kurg zu füllen.
Die Abenluft ist schwanger von dunkler Musik des Wasser - es ruft mich ins Zwielicht hinaus. In der einsamen Gasse geht Niemand vorüber, der Wind ist auf, die Wellen kräuselnd sich auf dem Flusse.
Ich weiß nicht, ob ich je heimwärts wiederkehre, ich weiß nicht, wen mir der Zufall entgegenführt. Dort bei der Furt in dem kleinen Boot spielt der Unbekannte auf seiner Flöte.
Rabandranath Tagore
Licht
Licht! O, wo ist das Licht? Entzünd es am brennenden Feuer der Sehnsucht! Da ist die Lampe, doch weh, kein Flackern der Flamme - ist das dein Schicksal mein Herz!
Dann wäre dir besser bei weitem der Tod.
Elend klopft an die Tür, seine Botschaft kündet: dein Herr ist wachsam, er ruft durch das Dunkel der Nacht dich zum Stelldichein.
Der Himmel verhängen Wolken; der Regen ist endlos. Ich weiß nicht, was in mir sich regt, weiß nicht seinen Sinn.
Ein Blitzstrahl zieht tieferes Dunkel mir übers Aug, und mein Herz tastet den Pfad, auf den die Stimmen der Nacht mich rufen.
Licht! O, wo ist das Licht? Entzünd es am brennenden Feuer der Sehnsucht. Es donnert, der Wind stürzt kreischend durchs Leere. Die Nacht ist schwarz, schwarz wie ein Stein. Laß nicht die Stunden vergehen im Dunkeln. Zünde die Lampe der Liebe mit deinem Leben.
Rabindranath Tagore
Das Kind
Das Kind, dem
ein fürstlich Kleid
man anzog,
und das Juwelen
um seinen Nacken trägt,
verliert alle Freude an seinem Spiel,
behindert vom Kleid
bei jedem Schritt.
Aus Furcht, es könnte zerreißen,
vom Staube befleckt sein,
hält es sich fern
von der Welt und fürchtet
beinah sich zu regen.
Mutter, es ist kein Gewinn
im Zwang deines Putzen,
wenn er uns ausschließt
vom heilsamen Staube der Erde,
wenn er des Rechts uns beraubt,
hinzutreten zum großen Markt
des gemeinen menschlichen Lebens.
Rabindranath Tagare
aus: ‚Gitanjali – Sangesopfer‘. Übersetzerin ins Deutsche: Marie Luise Gothein (1863 – 1931). Verlag: Kurt Wolff, München, 1921
Kurt Wolff / Kurt August Paul Wolff (1887 – 1963), Verleger, gründete den Kurt Wolff Verlag, hauptsächlich für expressionistische Literatur, der von 1913 – 1940 existiert. 1938 mußte er mit seiner Familie aus Deutschland fliehen.
‚Gitanjali (Song offerings), Verfasser: Rabindranath Tagore. Verlag: St. Martins’s Street, London, 1913. Gewidmet William Rothenstein (1872 – 1945)
Hohler Ton, Violenton, Bang im Herbste, Stöhnte mit ein- Töniger Pein Lang im Herzen.
Ganz verstummt, Wenn Turm summt. Stunden schlagen, Bleich und wach Wein ich nach Früheren Tagen.
Und ich geh Im Wehn und Weh Hingetrieben, Da, dort, Wo verdorrt Blätter stieben.
Paul Verlaine
Paul Verlaine (1844 – 1896) französischer Lyriker, Dichter, Schriftsteller
Übersetzer: Alfred Wolfenstein (1883 – 1945
Gedicht aus: Armer Lelian‘, Gedicht der Schwermut, der Leidenschaft und der Liebe. Übertragung von Alfred Wolfenstein, Paul Cassainer-Verlag, Berlin, 1925