Lebenstraum

Lebenstraum

Ich saß an einer Tempelhalle
Am Musenhain, umrauscht vom nahen Wasserfalle,
Im sanften Abendschein.
Kein Lüftchen wehte; und die Sonn’ im Scheiden
Vergüldete die matten Trauerweiden.

Still sinnend saß ich lange, lange da,
Das Haupt gestützt auf meine Rechte.
Ich dachte Zukunft und Vergangenheit, und sah
Auf einem Berg, dem Thron der Götter nah,
Den Aufenthalt vom heiligen Geschlechte,
Der Sänger alt’ und neuer Zeit,
An deren Liede sich die Nachwelt noch erfreut.
Tot, unbemerkt, und längst vergessen schliefen
Fern in des Tales dunkeln Tiefen
Die Götzen ihrer Zeit,
Im Riesenschatten der Vergänglichkeit.

Und langsam schwebend kam aus jenem dunkeln Tale,
Entstiegen einem morschen Heldenmahle,
Jetzt eine düstere Gestalt daher,
Und bot (in dem sie ungefähr vorüberzog)
In einer mohnbekränzten Schale
Aus Lethes Quelle mir Vergessenheit!

Betroffen, wollt ich die Erscheinung fragen:
Was dieser Trank mir nützen soll?
Doch schon war sie entflohn: ich sah’s mit stillem Groll,
Denn meinen Wünschen konnt’ ich nicht entsagen.

Da kam in frohem Tanz, mit zephyrleichtem Schritt,
Ein kleiner Genius gesprungen
Und winkt und rief mir zu: Komm mit,
Entreisse dich den bangen Dämmerungen
Sie trüben selbst der Wahrheit Sonnenschein!
Komm mit! Ich führe dich in jenen Lorbeerhain,
Wohin kein Ungeweihter je gedrungen.
Ein unverwelklich schöner Dichterkranz
Blüht dort für Dich im heitern Frühlingsglanz
Mit einem Myrtenzweig umschlungen.
Er sprach’s, und ging mir schnell voran.
Ich folgte, voll Vertrauen, dem holden Jungen,
Beglückt in meinem süßen Wahn.

Es herrschte jetzt die feierlichste Stille
Im ganzen Hain. Das langersehnte Ziel,
Hellschimmernd sah ich’s schon in ferner Schattenhülle
Und stand, verloren ganz im Lustgefühl.
“Nimm” (sprach er jetzt) “es ist Apollons Wille.
Nimm hin dies goldne Saitenspiel!
Es hat die Kraft in schwermutsvollen Stunden
Durch seinen Zauberton zu heilen all’ die Wunden,
Die Mißgesschick und fremder Wahn dir schlug.”
Mit zärtlich rührenden Akkorden,
Tönt es vom Süd bis zum Norden,
Und übereilt der Zeiten schnellen Flug
Sei stolz, sei stolz auf dein Besitz! Und denke:
“Von Allem, was die Götter sterblichen verleihen,
Ist dies das höchste der Geschenke!”
Und Du wirst es nicht entweihen.

Noch nicht vertraut mit ihrer ganzen Macht,
Sang ich zuerst nur kleine Lieder;
Und Echo hallte laut und fröhlich wieder.

Gabriele von Baumberg

Text: Gabriele Bacsányi (geborene von Baumberg (1785 – 1789), österreichische Dichterin, Schriftstellerin

Vertonung: Franz Schubert (1797 – 1828), österreichischer Komponist