Märchen Er war einmal ein Kaiser, der über ein unermeßlich großes, reiches und schönes Land herrschte. Und er besaß wie jeder andere Kaiser auch eine Schatzkammer, in der inmitten all der glänzenden und glitzernden Juwelen auch eine Flöte lag. Das war aber ein merkwürdiges Instrument. Wenn man nämlich durch eins der vier Löcher in die Flöte hineinsah - loh! was gab es da alles zu sehen! Da war eine Landschaft darin, klein, aber voll Leben: Eine Thomasche Landschaft mit Böcklinschen Wolken und Leistikowaschen Seen. Rezniceksche Dämchen rümpften die Nasen über Zillesche Gestalten, und eine Bauerndirne Meuniers trug einen Arm voll Blumen Orliks - kurz, die ganze moderne Richtung war in der Flöte. Und was macht der Kaiser damit? Er pfiff drauf. anonym Ulk, 22.11.1907, Nr. 47, wieder in: Mit 5 PS Kurt Tucholsky
Kurt Tucholsky (1890 – 1935) deutscher Schriftstellerin, Journalist, Lyriker, Kabarettautor, Satiriker, Romanautor. Jurist, Liedtexter, Literatur-, Film-, Musikkritiker. Texter für Bühnenstücke
Foto: Kurt Tucholsky (1890 – 1935)
Es war Kurt Tucholsky einer seiner erste journalistisch Arbeit.
‚Märchen‘ wurde am 22. November 1907 in der deutschen Satire-Zeitschrift ‚Ulk‘, 36. Jahrgang, Nummer 47, Seite 5
Die Satirezeitschrift ‚Ulk‘ erschien von 1872 bis 1933 als Gratisbeilage des Berliner Tageblatts. Von September 1910 bis November 1930 war ‚Ulk‘ auch der ‚Berliner Volks-Zeitung‘ beigelegt.
Kurt Tucholsky wollte mit den Kriegswitzen und dem Durchhaltehumor Schluss machen und den Ruf des jüdisch-demokratischen ‚Ulk‘ wiederherstellen.