Der Frühling Des Winters Hülle deckte nicht mehr die öde Flur; der Hauch des Lenzes weckte die schlafende Natur. Es wurden schon die Schatten, es duftete der Pfad, den Flora mit dem Gatten jüngst, Hand in Hand, betrat. Blauäugige Amoene, ertönete mein Lied; verändert ist die Szene, der rauhe Winter flieht, kein Nordwind drohet weiter der zarten Haut Gefahr, ein West, wie du so heiter, spielt um dein blondes Haar. Des Frühlings erste Blume, komm, suche sie mit mir! Zu Venus' Heiligtume bring' ich sie dann mit dir, dass sie das Denkmal kränze des Dichters, dessen Lied unsterblich, gleich dem Lenze, dem er es weihte, blüht. Dann schleichen wir zur Laube bei meiner Flöte Schall; dort girrt die Turteltaube, dort ächzt die Nachtigall. Dort wollen wir im Kühlen, des Neides Aug' entrückt, die Macht des Gottes fühlen, der alles neu beglückt. Sie teilte das Verlangen, das meine Brust empfand; es glüht' auf ihren Wangen, es schlug in ihrer Hand. Doch schnell benetzten Zähren den unruhvollen Blick; mit jungfräulichem Wehren zog sie die Hand zurück. Du weigerst dich, Amoene? Ist's Misstrau'n? Ist es Scherz? O trockne diese Träne, du kennest Damons Herz! Auch in verschwieg'nen Lauben ist's, wie die Quelle, rein und ohne Falsch, wie Tauben, und ganz, Amoene, dein! Friedrich Wilhelm Gotter
Friedrich Wilhelm Gotter (1746-1797)deutscher Schriftsteller, Dichter
aus: „Gedichte“ von Friedrich Wilhelm Gotter.Verlag: Carl Wilhelm Ettinger, Gotha, 1787. VII: Seite 26 – 29