Mutter Erde Mitternächtges Dunkel spinnt um die Welt ein heimlich Träumen; leise singt der Frühlingswind in den knospenschweren Bäumen. Fern noch einer Lampe Schein, und der Himmel schwarz verhangen – – in den dunklen Birkenhain bin ich einsam ausgegangen. Schmeichelnd um die Stirne streicht mir der Lenznacht weicher Odem, aus den feuchten Beeten steigt Erdgeruch und Nebelbrodem. Aus dem Schoß der Wolken fällt groß und warm der erste Tropfen – und mir ist, das Herz der Welt hör ich in der Stille klopfen. Durch die Nacht, so kirchenstill, 30geht ein Raunen und ein Regen, jedes kleinste Pflänzchen will Zwiesprach mit dem Schöpfer pflegen. Was in dunklen Tiefen schlief, ruft ans Licht ein neues Werde – und die Kniee beug ich tief 31zur gebenedeiten Erde. – Clara Müller-Jahnke
Clara Müller-Jahnke, geborene Müller (1860 – 1905, deutsche Dichterin, Journalistin, Frauenrechtlerin
aus: „Gedichte“ von Clara Müller-Jahnke. Erstdruck der Gesamtausgabe, herausgegeben von Oskar Jahnke. Berlin (Buchhandlung Vorwäets, Hans Weber), 1910.
Textgrundlage ist die Ausgabe:
Clara Müller-Jahnke: Gedichte, herausgegeben und illustriert von Oskar
Jahnke (1858 – 1898) , Berlin: Buchhandlung Vorwärts, Hans Weber, [1910], Seite 28