Ode an Cassandra

Die Rose, die heut früh nach langen Warten

Ode an Cassandra

Geliebte, lass uns sehen, ob im Garten
Die Rose, die heut früh nach langen Warten
Ihr Purpurkleid der Sonne hingereicht.
Noch nicht die morgenfrische Pracht verloren,
Nicht ihr Gewand aus Purpurgglut geboren,
Und nicht den Schmelz, der deiner Wange gleicht.

Weh! Sieh nur hin, wie in so wenig Stunden,
Geliebte, aller Glanz dahingeschwunden.
Weh! Sieh nur hin, wie in so wenig Stunden.
Weh! Weh! und wie die Schönheit schnell verdirbt.
Lässt nicht Natur , die stiefgsinnte, schauern?
Selbst solche Blüte darf nicht länger dauern,
Als dass sie, früh erwacht, am Abend stirbt.

Glaub mir, Geliebte, lass das eitle Mühen.
Solange deine jungen Jahre blühen
Und lichte Freude grünt in deinem Sinn.
So pflücke, pflück die Rosen deiner Jugend:
Das Alter kommt, ihm wehrt nicht Wunsch noch Tugend
Und wie die Rose welkt die Schönheit hin.

Pierre de Ronard

Pierre de Ronard (1524 – 1585), französischer Schriftsteller, Dichter. Er wurde auch ‚Dichterfürst‘ genannt.