Die Birke I. Die junge Frühlingssonne Mit zarten Strahlenfädchen Flirrt um die Jungfer Birke Mattgoldenes Filigran. Wie eine Braut im Schmucke, So schäumig schön, jungfräulich, Steht zwischen schwarzen Tannen Die schlanke junge Birke. Könnt ich ein Bildchen malen Mit zartgehauchten Farben, Ich malte meine Birke In junger Frühlingssonne. Der Himmel sollte sie küssen, Der heiter helle Himmel, Und eine weiße Wolke Schwömme über sie hin. Das Gras zu ihren Füßen, Halb hoch im Halm, durcbflockt ich Mit zarten Rosakelchen Und blassen Margeriten. Die sollten still wie Kinder Aufblicken mit bellen Auge Zur holden Jungfer Birke In junger Frühlingssonne. II. Birke, wie warf du schön, Als du im grünen Kleid, Zierliche Jungfrau, standst Und dir der Frühlingswind Leise durchs zage Gezweig Strich, wie des Bräutigams Hand Zärtlich der Braut durch die schimmernden Locken streicht. Birke, wie bist du scbön, Die du im goldnen Kleid, Schöne Matrone, stehst. Ruhig in klarer Luft Hängt nun das fahle Gezweig, Wie die Arme der Frau Lässig herab im ermüdeten Schoße ruhn. Otto Julius Bierbaum
Otto Julius Bierbaum (1865 – 1910), deutscher Schriftsteller, Dichtre, Journalist, Redakteur. Pseudonym: Martin Möbius.
aus: „Irrgarten in der Liebe. Verliebte – launenhafte und moralische Lieder, Gedichte und Sprüche aus den Jahren 1885 – 1900“ von Otto Julius Bierbaum. Mit Leisten und Stuecken geschueckt von Heinrich Voegler (1872 – 1942). Verlag: Insel-Verlag, Leipzig, 1901. Gedichte. Landschaften und Stimmungen. Seite 135 -136