Einsamkeit Frohen Herzens bin ich in die Welt gegangen Und voll Sonne war mein junger Blick, Doch nun kehrt' ich mit verhärmten Wangen Wieder zu der Einsamkeit zurück. Und ich sehe wunschbefreit und weise In das bunte Schicksalseinerlei, Kaum verspür ich's noch, so leise, leise Rinnt an mir die Jugendzeit vorbei. Immer werden meine Blicke weiter, Selig halt' ich eine Welt umspannt, Denn ich blicke froh und wissensheiter In des Lebens unbegrenztes Land. Hieher dröhnt kein Wächterschritt der Stunden, Unbemerkt verbraust mein herbes Leid, Langsam narben meine tiefen Wunden Von der weichen Hand der Einsamkeit. Meiner Seele nahm ich dumpfe Riegel, Und geöffnet prangt der Wunderschrein, Ewig lernend blick' ich in den Spiegel Meiner eignen neuen Welt hinein. Was sich dort im Leben ohne Ende Streitet, blendet, schlägt und überschreit Liegt hier, Farben, Töne, wie in Bände, Meinem Willen nach, geformt, gereiht. Jedes Wesen fürchtet meinen Willen Hier im engen – unbegrenzten Raum Jede Sehnsucht weiß ich zu erfüllen. – Wirklichkeit entblüht dem Dichtertraum. Und wenn heimlich dann an manchen Tagen Meine Sehnsucht hin zum Leben zieht Brauch ich dieses Buch nur aufzuschlagen Und die Seele schaut und wird nicht müd . . . Stefan Zweig
Stefan Zweig (1881 – 1942), österreichischer Schriftsteller, Übersetzer, Pazisfist
aus: „Silberne Saiten. Gedichte“ von Stefan Zweig. Titelblatt und Randleisten von Hugo Steiner. Verlegt bei Schuster & Loeffler Berlin und Leipzig, 1901