Herbstlied Feldeinwärts flog ein Vögelein, Und sang im muntern Sonnenschein Mit süßem wunderbarem Ton: Ade! ich fliege nun davon, Weit! weit! Reis' ich noch heut. Ich horchte auf den Feldgesang, Mir ward so wohl und doch so bang; Mit frohem Schmerz, mit trüber Lust Stieg wechselnd bald und sank die Brust: Herz! Herz! Brichst du vor Wonn' oder Schmerz? Doch als ich Blätter fallen sah, Da sagt ich: Ach! der Herbst ist da, Der Sommergast, die Schwalbe, zieht, Vielleicht so Lieb und Sehnsucht flieht, Weit! weit! Rasch mit der Zeit. Doch rückwärts kam der Sonnenschein, Dicht zu mir drauf das Vögelein, Es sah mein tränend Angesicht Und sang: die Liebe wintert nicht, Nein! nein! Ist und bleibt Frühlingesschein. Ludwig Tieck
Ludwig Tieck (1773 – 1853), deutscher Dichter, Dramatiker, Schriftsteller, Übersetzer, Kritiker, Herausgeber
aus: „Gedichte“ von Ludwig Tieck. Erster Theil. Neue, unveränderte Ausgabe. Verlag: Dreseden, Grimmer’scher Buchhandlung, 1834. Seite 120 – 121