Das öde Haus Tiefab im Tobel liegt ein Haus, Zerfallen nach des Försters Tode, Dort ruh' ich manche Stunde aus, Vergraben unter Rank' und Lode; 'S ist eine Wildniß, wo der Tag Nur halb die schweren Wimpern lichtet; Der Felsen tiefe Kluft verdichtet Ergrauter Aeste Schattenhaag. Ich horche träumend, wie im Spalt Die schwarzen Fliegen taumelnd summen, Wie Seufzer streifen durch den Wald, Am Strauche irre Käfer brummen; Wenn sich die Abendröte drängt An sickernden Geschiefers Lauge, Dann ist's als ob ein trübes Auge, Ein rothgeweintes drüber hängt. Wo an zerrißner Laube Joch Die langen magern Schoßen streichen, An wildverwachs'ner Hecke noch Im Moose Nelkensprossen schleichen, Dort hat vom tröpfelnden Gestein Das dunkle Naß sich durchgesogen, Kreucht um den Buchs in trägen Bogen, Und sinkt am Fenchelstrauche ein. Das Dach, von Moose überschwellt, Läßt wirre Schober niederragen, Und eine Spinne hat ihr Zelt Im Fensterloche aufgeschlagen; Da hängt, ein Blatt von zartem Flor, Der schillernden Libelle Flügel, Und ihres Panzers goldner Spiegel Ragt kopflos am Gesims hervor. Zuweilen hat ein Schmetterling Sich gaukelnd in der Schlucht gefangen, Und bleibt sekundenlang am Ring Der kränkelnden Narzisse hangen; Streicht eine Taube durch den Hain, So schweigt am Tobelrand ihr Girren, Man höret nur die Flügel schwirren Und sieht den Schatten am Gestein. Und auf dem Heerde, wo der Schnee Seit Jahren durch den Schlot geflogen, Liegt Aschenmoder feucht und zäh, Von Pilzes Glocken überzogen; Noch hängt am Mauerpflock ein Rest Verwirrten Wergs, das Seil zu spinnen, Wie halbvermorschtes Haar, und drinnen Der Schwalbe überjährig Nest. Und von des Balkens Haken nickt Ein Schellenband an Schnall' und Riemen, Mit grober Wolle ist gestickt "Diana" auf dem Lederstriemen; Ein Pfeifchen auch vergaß man hier, Als man den Tannensarg geschlossen; Den Mann begrub man, tot geschossen Hat man das alte treue Thier. Sitz ich so einsam am Gesträuch Und hör' die Maus im Laube schrillen, Das Eichhorn blafft von Zweig zu Zweig, Am Sumpfe läuten Unk' und Grillen – Wie Schauer überläuft's mich dann, Als hör' ich klingeln noch die Schellen, Im Walde die Diana bellen Und pfeifen noch den toten Mann. Annette von Droste
Anna Elisabeth Franzisca Adolphina Wilhelmina Ludovica Freiin von Droste zu Hülshoff (1797 – 1848), deutsche Schriftstellerin, Komponistin
aus: „Lyrische Gedichte“ von Annette von Droste-Hülshoff. Herausgegeben von Levin Schücking. Verlag: der Cotta’schen Buchhandlung, Stuttgart, 1879. Seite 126 – 128