Freund, noch einen Kuss mir gib, Einen Kuss von deinem Munde, Ach! ich habe dich so lieb! Freund, noch einen Kuss mir gib. Werden möcht ich sonst zum Dieb, Wärst du karg in dieser Stunde; Freund, noch einen Kuss mir gib, Einen Kuss von deinem Munde. Küssen ist ein süßes Spiel, Meinst du nicht, mein süßes Leben? Nimmer ward es noch zu viel, Küssen ist ein süßes Spiel. Küsse, sonder Zahl und Ziel, Geben, nehmen, wiedergeben, Küssen ist ein süßes Spiel, Meinst du nicht, mein süßes Leben? Gibst du einen Kuss mir nur, Tausend geb ich dir für einen. Ach wie schnelle läuft die Uhr, Gibst du einen Kuss mir nur. Ich verlange keinen Schwur, Wenn es treu die Lippen meinen, Gibst du einen Kuss mir nur, Tausend geb ich dir für einen. Flüchtig, eilig wie der Wind, Ist die Zeit, wann wir uns küssen. Stunden, wo wir selig sind, Flüchtig, eilig wie der Wind! Scheiden schon, ach so geschwind! Oh, wie werd ich weinen müssen! Flüchtig, eilig wie der Wind, Ist die Zeit, wann wir uns küssen. Muss es denn geschieden sein, Noch nur einen Kuss zum Scheiden! Scheiden, meiden, welche Pein! Muss es denn geschieden sein? Lebe wohl, und denke mein, Mein in Freuden und in Leiden, Muss es denn geschieden sein, Noch nur einen Kuss zum Scheiden! Adelbert von Chamisso (1829)
Louis Charles Adélaïde de Chamissot de Boncourt (1781 – 1838), deutscher Dichter und Naturforscher
aus: „Gedichte“ von Adelbert von Chamisso.2. Auflage. Verlag: Weidmann’sche Buchhandlung, 1834, Lieder und lyrische-epische Gedichte. Fraunenliebe und Leben. Gedicht 1, Seite 18 – 19