Ein jeder Tag wird mir so lang. Ach, wie so schwer die Nacht Wenn ich sie wieder hingebracht Traumlos und jesusbang. Der Orgelton beim Abendmahl Macht mir vor Leid die Wangen fahl Und betend fall' ich nieder. Wie duftet süß der Flieder Wie lag das Land in Blüten weiß. Mir ist bei Gott die Seele heiß Ich bin so fremd geworden. Ich hab' der Tage viel verweint, Bin froh, wenn keine Sonne scheint Bis an des Todes Pforten. O, käm doch wer und trüge mich Wohl in ein fernes Land, Hast mir die Seele wundgebrannt Ich wollt' dein Buhle schlüge dich. Es steht ein Baum auf grüner Heid Gar einsam in der Frühlingszeit, Will träumen, will träumen, Muß halt sein Glück versäumen. Im Schlaf erschreckt mich dein Gesicht, Es blinkt das scheue Morgenlicht Ins Fenster meiner Kammer. Ich krieche furchtsam aus dem Stroh Und nehme des Erwachens froh Die Kutte von der Klammer. Wie liegt das Land in Blüten weiß, Es kräht der Hahn, es springt die Gais Wie müd' sind meine Hände! Du weißt ja nicht, wie Liebe thut. Oh hätt' ich nur ein Särglein gut Damit ich Ruhe fände. Jakob Wassermann
Jakob Wassermann (1873 – 1934), deutscher Schriftsteller
aus: „Simplisissimus, 1. Jahrgang, Heft Nr. 4, Seite 8